Die Linke und der Verfassungsschutz:Aus dem Osten? Oh, verdächtig!

Der Verfassungsschutz beobachtet 27 Abgeordnete der Linken, darunter Radikale, aber auch Reformer. Eine Systematik ist nicht zu erkennen, ein Merkmal sticht unter den Betroffenen allerdings deutlich heraus. Innenminister Friedrich hat darauf nun reagiert: Er will die Liste überprüfen lassen.

Thorsten Denkler und Oliver Das Gupta

Schon der Name Gregor Gysi lässt aufhorchen. Auch der Name Petra Pau. Ersterer ist Fraktionschef der Linken im Bundestag. Die andere ist Bundestagsvizepräsidentin und Mitglied der Linksfraktion. Beide haben gemeinsam, dass sie in grauer Vergangenheit in der DDR mal Mitglied der SED gewesen sind.

Sitzung Linke-Bundestagsfraktion

Gregor Gysi (links) - Fraktionschef der Linken - wurde offenbar vom Verfassungsschutz beobachtet. Genossin Sahra Wagenknecht dagegen steht nicht auf der Liste der beobachteten Politiker, die jetzt öffentlich wurde.

(Foto: dapd)

Die ostdeutsche Herkunft der Linken scheint für den Verfassungsschutz von großer Bedeutung zu sein - weshalb seit geraumer Zeit das Augenmerk auf diese beiden und 25 weitere Abgeordnete der Bundestagslinken gerichtet wurde.

Anders lässt sich die Auswahl der Bundesschlapphüte kaum erklären. Auf der Liste, die jetzt öffentlich wurde, findet sich fast vollständig der ostdeutsche Reformerflügel der Partei. Von Dietmar Bartsch angefangen, der Parteichef werden will, über den Berliner Jan Korte, die beiden Parteivizes Katja Kipping und Anwältin Halina Wawzyniak bis hin zu Linke-Fraktionsgeschäftsführerin Dagmar Enkelmann und Roland Claus, ehemals Fraktionschef der damaligen PDS. Über jede dieser Personen kann viel berichtet werden. Aber kaum, dass sie die freiheitliche demokratische Grundordnung in Frage stellen.

Verständnis für die Staatssicherheit

Nun ist die Linksfraktion nicht frei von personellen Seltsamkeiten. Ulla Jelpke gehört dazu - eine der wenigen Westdeutschen auf der Liste, die schon mal ehemalige Genossen der Staatssicherheit in Schutz nimmt. Vielleicht ließe sich noch Verständnis aufbringen für die Beobachtung der ehemaligen Chefin der Kommunistischen Plattform, Sahra Wagenknecht. Sie ist inzwischen Vizefraktions- und Vizeparteichefin. Doch dann lässt sich wiederum nicht erklären, weshalb ausgewiesene Radikal-Linke wie Sevim Dagelem, Annette Groth oder Andrej Hunko nicht unter Beobachtung stehen.

Das versteht auch die Opposition nicht. Thomas Oppermann, Parlamentsgeschäftsführer der SPD, hält die Beobachtung von Abgeordneten der Linkspartei durch den Verfassungsschutz für "nicht nachvollziehbar".

Er habe zwar "nicht den geringsten Zweifel daran, dass Teile der Linkspartei solche verfassungsfeindlichen Bestrebungen verfolgen". Aber: "Gregor Gysi ist doch kein Staatsfeind. Allenfalls ein Salonbolschewist". Und dass ausgerechnet Realpolitiker wie Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau oder Fraktionsvize Dietmar Bartsch überwacht würden, sei erklärungsbedürftig. Sie stünden "eher auf der Seite der Parlamentarischen Demokratie" und kämpften "gegen die Sektierer in ihrer eigenen Partei".

Auch der schleswig-holsteinische SPD-Chef Ralf Stegner wandte sich gegen die Beobachtung der Linken-Abgeordneten. "Das verschafft der Partei eine Märtyrer-Rolle, die sie nicht verdient", sagte Stegner zur SZ: "Die Linkspartei ist alles Mögliche, aber sie ist nicht gefährlich."

"Die Wahrheit ist viel unappetitlicher"

FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle hält zwar grundsätzlich eine Beobachtung auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln für zulässig. Jedoch nur, solange die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibe, sagt er am Mittwoch. Die große Zahl der beobachteten Linken-Parlamentarier "nährt den Eindruck, dass diese nicht gewahrt ist".

Ramelows  Verfassungsschutz Linke

"Die Brut an den Hacken": Thüringens Linken-Fraktionsvorsitzender Bodo Ramelow

(Foto: dapd)

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich hat nun auf die Irritationen reagiert, die die Liste ausgelöst hat. Die Kriterien für die Beobachtung von Parlamentariern der Linken seien, dass sie entweder eine herausgehobene Funktion hätten oder Mitglied einer offen extremistischen Teilvereinigung seien, erklärte der CSU-Politiker in Berlin. Die Liste soll nun anhand dieser Kriterien überprüft werden.

Von wegen herausgehobene Funktion: Parteichef Klaus Ernst, ein Bayer, ist nicht unter Beobachtung. Dafür aber seine Ko-Vorsitzende Gesine Lötzsch. Die stammt aus Ostberlin. Natürlich könnte sie die Verfassungsschützer auf sich aufmerksam gemacht haben, als sie vor gut einem Jahr begonnen hatte, nach Wegen zum Kommunismus zu suchen. Dass ihr das jedoch eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz einbringen würde, ist doch etwas überraschend.

Viele Jahre führte der Verfassungsschutz auch eine Akte über Bodo Ramelow. "Seit drei Jahrzehnten habe ich diese Brut an den Hacken", sagt der Thüringer Linken-Fraktionschef zur SZ. Im Jahre 2006 habe sich ihm sogar ein Mann als Mitarbeiter des Verfassungsschutzes offenbart, den er flüchtig als Besucher seines Wahlkreisbüros kannte. Bei einem Waldspaziergang erklärte er dem Linken-Politiker, er sei von dem Amt gebeten worden, "die Gelegenheit zu nutzen", Informationen über Ramelow einzuholen.

Ramelow klagte bereits gegen die Beobachtung durch den Verfassungsschutz, allerdings erklärte das Bundesverwaltungsgericht 2010 diese Maßnahme des Geheimdienstes durch allgemein zugängliche Quellen für angemessen. Der Thüringer hat Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung angelegt.

Zur Erinnerung: Bislang ging es in der Causa Ramelow nur um Beobachtung, und nicht um Oberservation mit nachrichtendienstlichen Mitteln.

"Die Wahrheit ist viel unappetitlicher", erklärte Dietmar Bartsch im Gespräch mit der SZ. Er zählt wie Ramelow zu den Pragmatikern in der Linken. Mit Blick auf die mindestens in Niedersachsen erfolgte Überwachung der Linken mit geheimdienstlichen Mitteln meinte Bartsch: "Man kann uns nicht für dumm verkaufen". Der Vize-Fraktionschef im Bundestag forderte die Bundeskanzlerin auf, "ihren offensichtlich überforderten Innenminister zur Vernunft zu bringen" und die Beobachtung der Linken einstellen zu lassen.

Auf jeden Fall ist die parlamentarische Aufklärung jetzt in vollem Gange. An diesem Mittwoch tagt das geheime parlamentarische Kontrollgremium. Das Bundesamt für Verfassungsschutz ist vorgeladen. Voraussichtlich am Donnerstag wird im Bundestag in einer Aktuellen Stunde das Thema debattiert. Viel Einfluss auf die Verfassungsschutzämter hat das Parlament jedoch nicht. Das ist Sache der jeweils zuständigen Innenminister der Länder.

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