Die Linke:Schaukampf um den Fraktionsvorsitz

Nach Lafontaines Rückzug streitet die Linke in aller Offenheit über seine Nachfolge. Das Ungleichgewicht zwischen Ost und West stellt die Partei vor Probleme.

Daniel Brössler

Berlin - Auf dem Gruppenfoto wird noch gelächelt. Männer und Frauen, Wessis und Ossis präsentieren sich in idyllischer Umgebung als traute Truppe. So war die Fraktionsklausur der Linken im brandenburgischen Rheinsberg am Wochenende ja auch gedacht. Wenige Tage danach aber ist klar, dass der Schein trügt. Mit seinem Rückzug vom Fraktionsvorsitz hat Oskar Lafontaine die 76 Abgeordneten in erhebliche Nöte gestürzt. In ziemlicher Offenheit nämlich wird nun der Kampf um die Nachfolge Lafontaines ausgetragen. Zwei Jahre nach dem Zusammenschluss von PDS und WASG wird dabei offenbar, wie zerrissen die Partei immer noch ist.

Seinen Rückzug hatte Lafontaine während der Fraktionsklausur mit dem leicht vergifteten Vorschlag verbunden, es solle weiterhin eine Doppelspitze geben. Gregor Gysi, dem Mann aus dem Osten, solle eine Frau aus dem Westen zur Seite gestellt werden. Er selber wiederum wünsche sich nach der angestrebten Wiederwahl zum Parteichef im Mai eine Frau aus dem Osten als Kovorsitzende. Das überraschte, denn in der Parteisatzung ist die Doppelspitze nur für eine Übergangszeit vorgesehen. Bislang galt die Parole, die Partei sei nun auf Ost-West-Proporz nicht mehr angewiesen.

Die Linke müsse sich zwar "gesamtdeutsch" ausrichten, erläuterte Lafontaine nun indes den verblüfften Abgeordneten. Noch aber sei sie gespalten. Im Osten agiere sie als Volks-, im Westen als Interessenpartei. In der Tat kommen im Osten die Unterstützer aus allen Schichten, im Westen vor allem aus dem Milieu der Gewerkschaften und sozialen Bewegungen. Das lässt sich auch in Zahlen ausdrücken: In Brandenburg erzielte die Linke 28,5, in Hessen 8,5 Prozent.

Ost-Frauen bekannter und erfahrener

Am Dienstag nun überraschte die Parlamentarische Geschäftsführerin der Links-Fraktion, Dagmar Enkelmann, die Genossen aus dem Westen per Agenturmeldung mit der Feststellung: "Ossi, Wessi - das spielt keine Rolle mehr bei uns." Wenn Gysi eine Frau an der Fraktionsspitze zur Seite gestellt werde, könne diese auch aus dem Osten kommen, erklärte sie der Deutschen Presse-Agentur und löste so in der Partei ein mittleres Beben aus. "Wir haben genug Frauen. Offen ist aber, dass es tatsächlich eine Frau aus dem Westen sein muss", versicherte Enkelmann. Entscheidend müssten Kompetenz, Inhalte und Profil sein.

Die Botschaft darf getrost als kleine Bosheit an die Adresse der West-Frauen in der Fraktion verstanden werden, denn die bekannteren und parlamentarisch erfahreneren Links-Frauen in der Fraktion kommen unbestreitbar aus dem Osten. Das frühere SED-Mitglied Enkelmann etwa ist schon seit 2005 Parlamentarische Geschäftsführerin. Die Vize-Fraktionschefin Gesine Lötzsch, ebenfalls einst in der SED, sitzt seit 2002 im Bundestag und ist bekannt als Finanzpolitikerin.

Vor allem linke Neu-Abgeordnete aus dem Westen reagieren empört auf den Vorstoß Enkelmanns. "Es ist immer einfacher für Frauen, die schon ein oder zwei Legislaturperioden im Bundestag waren, sich als profilierter darzustellen", sagt Nicole Gohlke aus München, die 2004 in die WASG eingetreten ist und nun als Neuling im Parlament sitzt.

"Kulturelle Unterschiede"

Ähnlich sieht das Christiane Buchholz, die Mitglied im Parteivorstand ist und über die hessische Landesliste erstmals in den Bundestag gewählt wurde. Tatsächlich fehle es an profilierten Frauen aus dem Westen, räumt sie ein. "Die Anstrengung muss sein, dass in zwei Jahren eine Frau mit West-Hintergrund so weit aufgebaut ist, dass sie auch neben Gysi bestehen kann", fordert sie. So lange könne mit der Wahl einer zweiten Fraktionsvorsitzenden getrost gewartet werden.

50.000 der 76.000 Mitglieder der Linken stammen nach einer Zählung von 2008 aus den Ost-Bundesländern und Berlin. "Wenn wir nicht den Eindruck erwecken wollen, dass es um eine Westausweitung der alten PDS geht, dann müssen wir das durch das Personal deutlich machen", warnt der Vize-Parteichef und Fraktionsvorsitzende Klaus Ernst, einst Mitbegründer der WASG. "Ob es uns passt oder nicht", mahnt er, "es gibt große kulturelle Unterschiede zwischen unseren Wählern im Osten und im Westen." Insgesamt habe die Linke im Westen aber schon mehr Wähler als im Osten. "Diese Wähler", fordert der Gewerkschafter Ernst, " müssen sich repräsentiert fühlen."

Ein Kompromiss wird in der Fraktion schon diskutiert: Gysi bleibt alleiniger Vorsitzender. Der Ost-West-Streit wäre entschärft, die Frauen allerdings hätten das Nachsehen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: