Die Frage, die die Linke auf ihrem Parteitag in Halle an der Saale verhandeln will, ist nichts anderes als die Existenzfrage: Was soll werden aus dieser Partei, die in aktuellen Umfragen auf etwa vier Prozent kommt, die im Bundestag nach dem Austritt unter anderem von Sahra Wagenknecht ihren Fraktionsstatus verloren hat, und die droht, in der politischen Bedeutungslosigkeit zu verschwinden? Und für viele Mitglieder fast noch wichtiger: Was bedeutet es für das Land, in dem eine rechtspopulistische Partei Wahlen gewinnt, während die eine linke Stimme droht unterzugehen? Denn als die sehen sie sich an diesem Wochenende.
Lena Bödeker, 27 Jahre alt und zum ersten Mal auf einem Bundesparteitag, fasst die Lage folgendermaßen zusammen: „Natürlich ist es dramatisch, dass wir so dastehen. Und ehrlicherweise muss man auch anerkennen, dass wir selbst dazu beigetragen haben“, sagt sie. „Aber“, da ist sie überzeugt: „Es braucht diese Partei. Weil die Verhältnisse immer schlimmer werden. Weil sich die Menschen ganz normale Dinge nicht mehr leisten können. Weil wir einen immensen Rechtsruck erleben.“
Mit persönlichen Gesprächen will man Wähler zurückgewinnen
Ein Grund für sie also diesem Parteitag, der von Freitag bis Sonntag auf dem Messegelände in Halle stattfindet, positiv entgegenzublicken. Die Linke aufzugeben, kommt für sie nicht infrage, seit vier Jahren ist sie Mitglied. In Göttingen, wo sie zum Studieren hingezogen ist, führte sie bereits Haustürgespräche für ihre Partei und wird auf diesem Parteitag von ihren Erfahrungen berichten. Mit Leuten ins Gespräch kommen, erfahren, was die Menschen bewegt, darum geht es ihr, darum soll es in Zukunft der ganzen Partei gehen. Ein Versuch, verloren gegangene Wähler zurückgewinnen.
Noch 2017 war Die Linke mit 9,2 Prozent die größte Oppositionspartei im Deutschen Bundestag, knapp vor den Grünen. Heute befindet sie sich in einer schweren Existenzkrise, erst recht nach den desaströsen Landtagswahlen im Osten, wo die Partei von Sahra Wagenknechts neuem Bündnis bei Weitem überholt wurde.
Die bisherigen Vorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan kündigten bereits im Sommer ihren Rückzug an und machten den Weg frei für zwei neue Gesichter an der Spitze. Für ihre Nachfolge werden Ines Schwerdtner und Jan van Aken gehandelt. Sie ist eine 1989 im sächsischen Werdau geborene Journalistin und Publizistin, die erst 2023 in die Linkspartei eingetreten ist. Er ist 63 Jahre alt, geboren in Reinbek bei Hamburg, hat mal als Inspekteur für Biowaffen für die UN gearbeitet und saß schon acht Jahre für Die Linke im Deutschen Bundestag. Zwei Kandidaturen, über die sich die Philosophiestudentin Lena Bödeker freut. „Ich glaube, das bringt neuen Wind“, sagt sie. „Ich bin ein großer Fan von Jan van Aken und seiner empathischen Art. Und auch Ines Schwerdtner bringt großartige Qualitäten mit.“
Optimismus und Geschlossenheit wollen sie verbreiten
Hört man sich in der Partei um und bei den designierten Vorsitzenden, erscheint es, als hätte sich eine ganze Partei dazu entschlossen, Optimismus und Zuversicht zu verbreiten. Jan van Aken sagt dazu der SZ: „Ich glaube, dass die Stimmung auf dem Parteitag extrem gut sein wird, weil alle wissen: Jetzt sind wir angelangt an der Talsohle und entweder wir versinken da oder wir kommen dort jetzt raus.“
Tatsächlich dürfte eine der Hauptaufgaben der neuen Parteispitze werden, in dieser so oft so zerstrittenen Partei so etwas wie Einigkeit herzustellen. Eine Herausforderung, der sich van Aken aber gewachsen fühlt: „Ich kann diplomatisch Menschen zusammenbringen.“ Auch Lena Bödeker wünscht sich einen Parteitag, der in die Zukunft weist und bei dem alle an einem Strang ziehen. „Die Aufgabe ist, 2025 in den Bundestag einzuziehen“, sagt sie. „Das muss klappen.“
Nur wie soll das gelingen? Ines Schwerdtner und Jan van Aken präsentierten dazu bereits genaue Vorstellungen. Im Zentrum soll van Aken zufolge das Thema soziale Gerechtigkeit stehen, das aber mehr sein müsse als eine Phrase: „Ich bin dafür, dass wir das auf sehr konkrete Forderungen runterbrechen.“ Forderungen wie beispielsweise einen Mietendeckel, bei denen die Menschen wüssten: „Das verbessert mein Leben sofort und niemand sonst kümmert sich darum.“ Und auch für Schwerdtner gilt: „Wir stellen Klassenkampf, nicht Kulturkampf ins Zentrum.“
Sahra Wagenknecht, der Elefant im Raum
Womit man wieder bei Sahra Wagenknecht wäre, in Halle wohl der Elefant im Raum. Sie war in den zurückliegenden Wahlen mit ihrem Bündnis deutlich erfolgreicher als die Partei, die sie zurückgelassen hat. Ihr Hauptvorwurf an die Linke: Man habe die Arbeiterklasse verraten, um sich vor allem um „Lifestyle-Themen“ und „skurrile Minderheiten“ zu kümmern.
Trotzdem will man sich in Halle möglichst wenig am BSW abarbeiten. „Das ganze Projekt entlarvt sich gerade selbst“, findet Lena Bödeker. Sie kritisiert, wie Wagenknecht sich über Asylsuchende äußert, mit einer linken Partei habe das nichts mehr zu tun. Für die Studentin ist die Haltung der Linken in dieser Frage immens wichtig. „Jeder Mensch, der hierherkommen will, soll hierherkommen, wenn er um sein Leben fürchtet.“
Eine Position, die auch van Aken klar vertritt: „Wir sind die einzige Partei, die jetzt noch ganz klar sagt: Wir verteidigen das Asylrecht. Wir stehen ohne Ausnahme an der Seite aller Menschen, egal, welche Hautfarbe, welcher Pass und welcher Nachname.“ Es gebe diese neue Normalität, rassistisch daherzureden und Ausländer in gute und schlechte zu unterteilen. „Da halten wir klar dagegen. Da gibt es auch kein Rumgeeiere. Wenn sich Menschen davon abgeschreckt fühlen, dann sollen sie uns nicht wählen.“
Wofür man die Linke noch braucht? Zumindest der designierte Vorsitzende scheint darauf eine Antwort gefunden zu haben.