Süddeutsche Zeitung

Die Linke:Parteichef Ernst will Urwahl einführen

Die Linkspartei könnte ihre Vorsitzenden künftig per Urwahl bestimmen: Bei einer Versammlung der Kreisvorsitzenden fordert Parteichef Ernst "mehr Mitgliederentscheidungen auf allen Ebenen" - und versucht so etwas wie ein letztes Wort im parteiinternen Antisemitismus-Streit.

Daniel Brössler, Berlin

An den Anfang stellt Caren Lay, die Geschäftsführerin der Linken, das Wichtigste: die Abbitte. Versammelt sind in einem Hannoveraner Hotel die Kreisvorsitzenden der Partei, deren Treffen der Vorstand eigentlich hatte abblasen wollen - angeblich aus Kostengründen. "Das war ein Fehler. Dafür haben wir im geschäftsführenden Parteivorstand kollektiv die Verantwortung übernommen", sagt Lay.

Tatsächlich hatte die Führung das Treffen nach Protesten aus den Kreisverbänden wieder anberaumt - offenkundig auch als Eingeständnis, dass es in der kriselnden Partei einiges zu besprechen gibt. Die Linke plagen sinkende Umfragewerte und immer neue aus dem Ruder laufende Debatten, mal um den Kommunismus, mal um den Antisemitismus.

Die Kanzlerin habe die Kreisvorsitzenden der CDU gerade erst bei so einer Konferenz "eingepeitscht" auf den Atomausstieg, sagt die Hannoveraner Linke-Chefin Maren Kaminski und schiebt hinterher: "Ich hoffe stark, dass es hier nicht darum geht, die Kreisvorsitzenden auf irgendwelche Dinge einzupeitschen."

Nun ja. Klaus Ernst, der Ko-Parteivorsitzende, versäumt es nicht, entscheidende Passagen seiner Rede zu brüllen. Er kämpft an gegen eine Depression, die sich der Partei zu bemächtigen droht. Er zählt Erfolge auf, erinnert daran, dass die Partei bundesweit mittlerweile 6000 Mandatsträger auf allen Ebenen stelle. "Diesen Erfolg dürfen wir uns von niemandem kleinreden lassen", verlangt Ernst und verrät auch, wer das angeblich tut: Er sei "schon erstaunt, mit welcher Risikofreudigkeit der eine oder andere von uns in der Öffentlichkeit unterwegs ist". Eine vereinigte Linke sei keine Selbstverständlichkeit. Öffentlich ausgetragene innerparteiliche Konflikte könnten sie zerstören, warnt Ernst.

Folgerichtig versucht er zum innerparteilichen Streit über Antisemitismus so etwas wie ein letztes Wort. "Wir erleben eine Inflationierung des Begriffs Antisemitismus", behauptet Ernst. Antisemit sei, wer jemanden benachteiligen wolle, weil er Jude ist. "Ich kenne in der Partei niemanden, der solche Ansichten vertritt", sagt der Vorsitzende. Andere, etwa Vize-Fraktionschef Dietmar Bartsch, hatten in den vergangenen Tagen eingeräumt, dass die Partei sehr wohl ein Antisemitismus-Problem habe.

Im Kern geht es um die Frage, ob die scharfe Israel-Kritik einiger Linker antisemitische Züge trägt. Es müsse möglich sein, für einen gemeinsamen Staat von Juden und Arabern einzutreten oder die israelische Regierung zu kritisieren, verlangte Ernst, räumte aber ein: "Es muss auch allen klar sein, dass die besondere deutsche Verantwortung nicht vor uns Halt machen kann." Im neuen Grundsatzprogramm der Linken solle das Existenzrecht Israels verankert werden.

Durch Vorschläge für eine Parteireform versucht Ernst, innerparteilich aus der Defensive zu kommen. Die Vorsitzenden will er künftig von der Basis bestimmen und auch über Regierungsbeteiligungen oder Tolerierungen per Mitgliederentscheid befinden lassen. Eine Mitgliederzeitschrift solle Raum bieten für innerparteiliche Debatten. In politischen Fragen müsse sich die Partei "nach außen öffnen". Als der Vorsitzende seine Rede beendet hat, ziehen sich die Kreisvorsitzenden zu Beratungen über Programmatisches und Organisatorisches zurück - unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

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SZ vom 27.06.2011/aho
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