Die Linke:Lafontaine behält die Macht

Überraschend gibt Oskar Lafontaine den Fraktionsvorsitz der Linken im Bundestag ab, aber die Partei will er weiterhin dominieren.

Daniel Brössler

Diesmal ist Oskar Lafontaine vorbereitet. Er weiß, was er sagen will. Er weiß, wie er es sagen will. Zwanzig vor zwölf rollt sein silberner Audi vor das Ifa-Hotel im brandenburgischen Rheinsberg - 40 Minuten nach dem geplanten Beginn der Fraktionssitzung seiner Linken und doch vollkommen rechtzeitig. Lafontaine weiß, dass hier heute ohne ihn nichts Wesentliches passiert. Lafontaine ist gekommen, ein Amt abzugeben, nicht die Kontrolle.

Warum er den Fraktionsvorsitz nicht mehr wolle, wird Lafontaine von Reportern gefragt. "Das sage ich Ihnen nachher", erwidert er nur. Dann schreitet er zu den wartenden Abgeordneten,

von denen viele erst am Vortag gehört haben, dass Lafontaine sie nicht mehr führen wird. Geplant hat er den Schritt schon länger. Das wird er heute des öfteren betonen. Er will jeden eines

Besseren belehren, der sich an den11. März 1999 erinnert fühlt. Jenen Tag, als er alles hinschmiss, das Amt des Finanzministers und auch den Vorsitz der SPD.

Fragende Gesichter

Zunächst aber blickt Lafontaine im Sitzungssaal in fragende Gesichter. Er hat eine Rede vorbereitet, die alles erklären soll. Aber weil - gerade heute - alles seine Ordnung haben muss, erledigt Gregor Gysi zunächst die Formalien. Routiniert lässt der Mann, der sich den Fraktionsvorsitz vier Jahre lang mit Lafontaine geteilt hat, abstimmen über Geschäftsordnung, Finanzordnung, Wahlordnung und sonst alles, was der Linken-Fraktion den organisatorischen Rahmen gibt. 76Abgeordnete zählt die Linke-Fraktion seit der Bundestagswahl. Nach dem mit 11,9 Prozent triumphalen Ergebnis der Linken sind das so viele wie nie. Fast die Hälfte der Fraktionsmitglieder ist neu im Parlament.

Vielleicht deshalb holt Lafontaine so weit aus. Er wiederholt, wo man doch eigentlich unter sich ist, was schon so oft vor laufenden Kameras gesagt wurde und sagt Sätze wie: "Wir sind die einzige Partei, die die Politik der letzten Jahre abgelehnt hat." Die Analyse, doziert Lafontaine, "ist eindeutig, dass wir ohne klares inhaltliches Profil dieses Ergebnis nicht haben könnten." Am inhaltlichen Profil, schlussfolgert er, dürfe sich deshalb nichts ändern. Es ist die Absage Oskar Lafontaines an alle in der Partei, die das radikale Auftreten der Linken abschleifen und schon jetzt den Weg ebnen wollen für ein Zusammengehen der Linken mit den Sozialdemokraten nach der Bundestagswahl in vier Jahren. Langfristig gebe es nun zwei Aufgaben, erklärt Lafontaine: "Die Mobilisierung der linken Wähler weiter festigen und den organisatorischen Aufbau weiter vorantreiben".

Ein Kniff macht ihn unangreifbar

Nun also kommt Lafontaine langsam zum Punkt und erteilt den linken Parlamentariern eine kleine Lektion. Es ist nämlich so, dass viele von ihnen bislang nicht recht verstanden haben, wie Lafontaine sich einen Rückzug vorstellt, der keiner ist. Sie wissen, dass Lafontaine den Fraktionsvorsitz im Bundestag aufgeben, im Bundestag bleiben, sich an der Spitze der Partei im nächsten Mai bestätigen lassen will. Und sie haben gehört, dass dies irgendwie mit der Regierungsbildung im Saarland zusammenhänge, obwohl doch vorerst keiner weiß, ob die Linken an ihr überhaupt beteiligt sein werden. Führende Linke hatten am Morgen zugegeben, das sei schon alles ziemlich schwer zu erklären.

Lafontaine tut es. Mit einem Kniff, der ihn fürs Erste unangreifbar macht. "Ihr wisst, dass ich mich immer dafür eingesetzt habe, dass wir demokratische Strukturen auch bei uns beachten müssen", sagt er. Und dann zaubert er sein Kaninchen aus dem Hut: Auch weiterhin solle es zwei Doppelspitzen geben, eine für die Fraktion und eine für die Partei - und zwar mit doppeltem Proporz. Eine Frau aus dem Osten solle künftig ihm als Wessi an der Parteispitze zur Seite stehen; Fraktionschef Gregor Gysi soll eine weibliche Kollegin aus dem Westen bekommen. Nun sind die Abgeordneten baff. Auf einen Schlag hat Lafontaine alle Ängste zerstreut, er strebe nach dem Rückzug des Co-Vorsitzenden Lothar Bisky im Frühjahr nach der Alleinherrschaft. Lafontaine teilt die Macht, um sie zu behalten. Wer es noch nicht verstanden hat, dem erklärt er wenig später, es handele sich nicht um "Rückzug in irgendeiner Weise".

Weniger Arbeit ohne Machtverlust

Nun ja. Lafontaine ist 66 Jahre alt; während des langen Wahlkampfes um das Saarland und den Bund ging es ihm nicht gut. Unablässig kämpfte er nicht nur um Wähler, sondern auch gegen eine Angina, die nicht weichen wollte. Wenige, auch Lafontaine selbst wohl nicht, können sich den Saarländer 2013 erneut als Spitzenkandidaten vorstellen. Deshalb versucht Lafontaine nun ein kleines Kunststück.

Er will deutlich weniger arbeiten, ohne deutlich an Macht einzubüßen. Später vor den Kameras demonstriert er seine Entschlossenheit mittels einer ironisch verpackten Drohung. Was er jenen sage, die nun an den Anfang seines Rückzugs glaubten, wird er gefragt. "Denen sage ich", antwortet er mit spöttischem Lächeln, "dass sie in den nächsten Wochen und Monaten erleben werden, wie zurückgezogen ich lebe."

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