Süddeutsche Zeitung

Die Linke: Kommunismus-Debatte:Frau Lötzsch antwortet sich selbst

Gesine Lötzsch bleibt hart: Bei der Berliner Rosa-Luxemburg-Konferenz verteidigt die Linken-Chefin ihren Kommunismus-Aufsatz und lässt sich von linken Splittergruppen feiern. Doch der Applaus kommt aus der falschen Ecke.

Thorsten Denkler, Berlin

Es ist berstend voll im Humboldtsaal. Über 2000 Menschen sollen es sein. Keiner kommt mehr rein. Auch Vertreter der Presse nicht. Es kommt zu Rangeleien.

Sie alle wollen zu Gesine Lötzsch, der Vorsitzenden der Partei Die Linke. Zu jener Frau, die Anfang der Woche in einem Gastbeitrag für die marxistisch orientierte Junge Welt etwas von "Wegen zum Kommunismus" fabuliert hat und dass es dahin nicht nur einen Weg gebe, sondern viele und dass die doch alle mal ausprobiert werden könnten.

Wörtlich hat sie geschrieben: "Die Wege zum Kommunismus können wir nur finden, wenn wir uns auf den Weg machen und sie ausprobieren, ob in der Opposition oder in der Regierung."

Daran schloss sich erwartungsgemäß eine Debatte an, die Lötzsch nicht völlig zu Unrecht als "hysterisch" bezeichnet hat. Was sie an diesem Abend wieder tut. Wobei auch sie diesmal leicht hysterische Züge erahnen lässt.

Sie sollte auf dem Podium sitzen an diesem Samstagabend im Veranstaltungshaus Urania im Berliner Westen, anlässlich der alljährlichen Rosa-Luxemburg-Konferenz. Unter anderem mit der Ex-RAF-Terroristin Inge Viett und der Chefin der Deutschen Kommunistischen Partei, Bettina Jürgensen. Geladen hat eben jene Junge Welt, die mit der Publikation von Lötzschs Aufsatz die Debatte ins Rollen gebracht hat.

Im Saal viele Plakate und Transparente von der Qualität "Die Presse lügt!" und "Der Hauptfeind steht im eigenen Land - Kampf dem deutschen Imperialismus". Wer schon die Linke für sehr links hält, war noch nicht auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz.

Im letzten Moment sagt Lötzsch die Podiumsdiskussion ab. Sie begründet das vor Ort nicht. Stattdessen will sie hier eine Rede halten. Eine Verteidigungsrede. Die Veranstalter lassen sie. Doch der Auftritt wird zum neuen Fehltritt der Parteichefin.

Der Saal tobt

Lötzsch wird mit viel Applaus empfangen. Während ihrer gut 20-minütigen Rede bekommt sie reichlich Zwischenapplaus. Die Kritik an ihr scheint dazu zu führen, dass viele sich mit ihr solidarisieren.

Am Ende tobt der Saal, in dem auch Egon Krenz lauscht, der letzte SED-Generalsekretär und Staatschef der DDR. Vor 25 Jahren waren Lötzsch und Krenz noch Parteifreunde. Der Beifall ist rhythmisch. Lötzsch wird gefeiert wie eine Jeanne d'Arc der roten Revolutionäre.

Der Applaus kommt von jenen, die lieber heute als morgen die Revolution ausrufen würden. Von jenen, die selbst der Linken eigentlich zu links sein müssten, um für andere wählbar zu bleiben.

Lötzsch selbst hätte sich das vor einigen Wochen wohl auch nicht träumen lassen. Der viele Beifall scheint ihr trotzdem gut zu tun. Sie kennt das nicht. Ihre Reden im Bundestag gelten regelmäßig als rhetorische Tiefpunkte. Selbst auf Parteitagen nutzen Delegierte Lötzschs Auftritte gerne für eine Kaffee-Pause.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, mit welchen Argumenten Gesine Lötzsch sich gegen ihre Kritiker verteidigt.

An diesem Abend ist das anders. Jeder Satz wie ein Peitschenhieb gegen den politischen Gegner. Und das sind erstmal alle, die sie für ihre Kommunismus-Äußerungen angegriffen haben. Wenn Politiker der Meinung seien, sie stehe nicht auf dem Boden des Grundgesetzes, "dann ist das eine Unverschämtheit", donnert Lötzsch los.

Wer völkerrechtswidrige Kriege zu verantworten habe, der soll "mir nicht erklären, was Demokratie ist". Es klingt wie ein Kreischen, als sie das sagt. Und wäre es nach der CSU gegangen, dann würde es in Südafrika "die Apartheid heute noch geben", damit die bayerischen Konzerne dort gute Gewinne machen könnten.

Gedacht, nicht geschrieben

Immerhin, sie findet ein paar Worte zu den Opfern von "autoritärem Sozialismus und Stalinismus". Sie hat ja in dem Text für die Junge Welt nicht nur das Wort Kommunismus gebraucht, sondern auch keinen Satz über die Opfer verloren - auch das wurde ihr vielfach zum Vorwurf gemacht.

Beim Schreiben des Textes habe sie "natürlich an die Opfer gedacht", sagt sie. Wobei man sich fragen kann, ob es das besser macht: An die Opfer zu denken, dann aber nicht über sie zu schreiben.

Schon auf dem Gründungsparteitag der damaligen PDS habe die Partei mit dem Stalinismus gebrochen und sich bei den Opfern entschuldigt, verteidigt sich Lötzsch. Das muss an dieser Stelle wohl reichen.

Inhaltlich nimmt sie nichts zurück. "Nicht das Nachdenken über eine andere Gesellschaft, sondern der Kapitalismus heutiger Prägung, dass ist der Skandal." Der Kapitalismus sei nicht das Ende der Geschichte. Und dem demokratischen Sozialismus gehöre die Zukunft. Es sei aber "falsch, den Mantel des Schweigens über die Idee des Kommunismus auszubreiten".

Damit widerspricht sie ausdrücklich Fraktionschef Gregor Gysi. Der findet den Begriff Kommunismus schwierig, weil da alle gleich an Stalin denken würden. Da habe Gysi Recht, sagt Lötzsch. "Gysi hat aber nicht Recht, wenn er meint, dass man den Begriff des Kommunismus nicht mehr verwenden darf." Die Leute müssten eben aufgeklärt werden.

Das mag naiv klingen. Aber Lötzsch sagt auch, die Ideen der Linken seien "so bestechend und einfach, das wir dafür Mehrheiten in dieser Gesellschaft erreichen können." Im Moment sieht es danach nicht aus.

Das Volk hört die Signale

Im Saal hätten viele lieber eine Revolution. Hier gehört Lötzsch nicht zu den Linken - eher zu den Rechten. Unter normalen Umständen hätte eine wie sie hier mit Buhrufen rechnen müssen. Wahrscheinlich wäre das besser gewesen für Lötzsch: Sich bei dieser Konferenz ausbuhen zu lassen, weil sie den demokratischen Sozialismus will und keinen Kommunismus.

Die Linken-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke, die den Abend moderiert und ansonsten gerne ehemalige Stasi-Mitarbeiter verteidigt, versucht Lötzschs Auftritt wieder ins rechte Licht zu rücken. Das sei "ganz eindeutig ein Reformerbeitrag" gewesen, sagt sie und sieht aus, als würde es ihr schwerfallen, so ein Wort wie Reformer überhaupt in den Mund zu nehmen. Außerdem sei dieser Beitrag einer gewesen, der "nicht zur Revolution aufruft". Jelpke fügt generös an: "Ich respektiere das". In der Linken gebe es da ja auch andere Positionen.

Zum Abschluss der Konferenz singen alle die Internationale, viele mit gereckter rechter Faust. Das Volk scheint die Signale zu hören. Zumindest, wenn den Umfragen zu trauen ist, in denen die Linke partout kein Land gewinnen will.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1043988
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
sueddeutsche.de/aho
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.