Es ist eine respektable und vor allem auch die richtige Entscheidung, dass Katja Kipping und Bernd Riexinger nicht erneut für den Parteivorsitz der Linken kandidieren. Laut Satzung hätten sie nach acht Jahren im Amt nicht zwingend aufhören müssen, aber es wird dort deutlich empfohlen. Es wäre turbulent geworden in der Partei, wenn sie dieser Empfehlung nicht gefolgt wären.
In Kipping und Riexinger treten Ende Oktober tatsächlich die beiden dienstältesten Vorsitzenden der im Bundestag vertretenen Parteien ab. Es ist schon eine Leistung für sich, dass sie überhaupt so lange durchgehalten haben. In der sagenhaft vergifteten Atmosphäre des Göttinger Parteitags von 2012, als das linke Zweckbündnis aus der ostdeutschen PDS und der westdeutschen WASG im fünften Jahr seiner Existenz schon wieder kurz vor der Spaltung stand, gelangte dieses Außenseiter-Duo ganz nach oben.
Die Schwergewichte der Partei, Oskar Lafontaine, Gregor Gysi und Dietmar Bartsch, waren vor allem mit den alten Grabenkämpfen beschäftigt. Und am Ende blieben als eine Art letzter gemeinsamer Nenner die damals erst 34-jährige Kipping aus Sachsen und der weitgehend unbekannte schwäbische Gewerkschaftsfunktionär Riexinger übrig. Obwohl es in den Folgejahren oft nicht viel weniger ruppig zuging, gelang es den beiden, drei Mal wiedergewählt zu werden. Heute kann man sagen: Sie haben eine Ära geprägt.
Freilich ist weiterhin unklar, wo die Linke am Ende dieser Ära steht. Kipping und Riexinger haben ihre Partei zweifellos modernisiert und im besseren Sinne des Wortes auch normalisiert. Sie haben die ideologischen Hardliner, die sich bei den Linken immer noch in nahezu allen Gremien tummeln, zunehmend an den Rand gedrängt und sich inhaltlich verstärkt auf die sogenannten Zukunftsthemen konzentriert: auf den Klimaschutz, die Digitalisierung, den Feminismus oder auch den Wohnungsnotstand in den Großstädten. Damit ist es der Partei gelungen, junge, urbane Wähler- und Mitgliedermilieus zu erschließen. Das war auch dringend nötig, um die Verluste bei der größtenteils überalterten Kernklientel in ostdeutschen Landstrichen einigermaßen aufzufangen.
Kipping und Riexinger haben ihr erklärtes Ziel von 15 Prozent im Bund nie erreicht
Unterm Strich haben Kipping und Riexinger so ihr erklärtes Ziel von 15 Prozent im Bund aber nie erreicht. Und gerade mit Blick auf die historische Schwäche der SPD hinterlassen sie auch eine Partei, die sich nur in einem Punkt wirklich einig ist: Nämlich, dass sie ihr Potenzial nicht ausschöpft.
Auf der Habenseite steht, dass die Linke heute in Thüringen den Ministerpräsidenten stellt, dass sie in Berlin am Modellversuch einer rot-rot-grünen Koalition beteiligt ist und in Bremen erstmals in einem westdeutschen Bundesland mitregiert. Sie wird von den meisten anderen Demokraten nicht mehr als Paria behandelt, sondern als streitbarer Teil des politischen Lebens dieses Landes.
Das ist das zentrale Erbe von Kipping und Riexinger. Auch eine Regierungsbeteiligung der Linken im Bund, so sie denn rechnerisch möglich sein sollte, wäre inzwischen keine komplett absurde Vorstellung mehr.
Der dafür notwendige Normalisierungskurs wird aber längt nicht von allen mitgetragen. Der Preis dafür war hoch: Eine Zersplitterung der traditionellen Lager in zahlreiche Unterlager. Die Aufgabe des nächsten Führungsduos wird es sein, einen Kurs zu finden, der diese Partei wieder mit sich selbst versöhnt.