Die Linke:Gegen alle und alles

Die Linken haben ihre eigenen Wahlziele übertroffen. Doch in der Stunde ihres größten Triumphes steht die Partei vor ihrer schwierigsten Richtungsentscheidung.

Daniel Brössler, Berlin

Vor dieser Bundestagswahl hat Gregor Gysi ein Wort geprägt, das den Erfolg der Linkspartei zu verstehen hilft: "Konsenssoße". Ohne Unterlass hämmerte Gysi den Anhängern ein, nur eine Stimme für die Linkspartei sei eine Stimme gegen den Krieg in Afghanistan, gegen Hartz IV und überhaupt gegen alles, was alle anderen falsch machen im Lande.

Gysi, Lafontaine, dpa

In welche Richtung geht die Reise? Gregor Gysi (links) und Oskar Lafontaine nach dem Erfolg bei der Bundestagswahl.

(Foto: Foto: dpa)

Auf diese Weise hat die Linkspartei ihr Plansoll mit 11,9 Prozent der Stimmen übererfüllt. Das Resultat der Linken ist kaum weniger sensationell als das Debakel der Sozialdemokraten. Das beweist der Triumph der Partei bei den Direktmandaten. 16 dieser Mandate hat die Linkspartei errungen, vor vier Jahren waren es gerade mal drei.

Dieser Erfolg zeigt aber auch, dass die Linke immer noch eine geteilte Partei ist. Alle Direktmandate wurden im Osten gewonnen. Dort erübrigt sich die Frage, ob Gysis Truppe eine Volkspartei ist. Im Westen ist an solche Erfolge nicht zu denken. Hier sprang die Linke in den großen Bundesländern zwar mühelos über fünf Prozent, blieb aber stets unter den kleinen Parteien die kleinste. Im Osten findet Gregor Gysis Linke ihre Wähler mitten in der Gesellschaft. Im Westen kommen die Stimmen für Oskar Lafontaine vom wachsenden Rand.

Diese Teilung ist nicht neu. Aus mehreren Gründen wird sie in den kommenden Jahren aber deutlicher zu Tage treten. Vor allem dürfte es in der vergrößerten Bundestagsfraktion den Altvorderen Gysi und Lafontaine schwerer als bisher fallen, die Widersprüche zu überdecken. Auf der einen Seite stehen durch östliche Direktmandate gestärkte Pragmatiker, unter denen sich übrigens auch Wessis wie Jan Korte befinden.

Auf der anderen Seite gruppieren sich Linke aus stramm sozialistischen Landesverbänden wie jenem in Nordrhein-Westfalen, für den nicht zufällig die ostdeutsche Kommunistin Sahra Wagenknecht in den Bundestag einzieht. Die Linkslinken werden sich auf den Wählerwillen berufen und auf einen Wahlkampf, der gegen alle und alles gerichtet war.

Reichen wird das nicht. Entstanden ist die Linke als west-östliches Gemeinschaftsprojekt gegen die als sozial kalt empfundene Sozialdemokratie. Eine gebeutelte SPD in der Opposition bugsiert die Linkspartei in eine neue Lage. Ihr erwächst nun eine Konkurrenz auf den Oppositionsbänken. Die Versuchung auf Seiten der Linken wird groß sein, die SPD in einen ruinösen Überbietungswettbewerb zu treiben. Sie wird sich dann aber auch fragen müssen, mit welchem Partner sie eines Tages die schwarz-gelbe Regierung abzulösen gedenkt.

Antworten verspricht die bevorstehende Debatte über ein Parteiprogramm. Seit der Vereinigung von WASG und PDS behilft die Linke sich mit programmatischen Eckpunkten. Nun, nach der Bundestagswahl, kann sie die Diskussion nicht mehr aufschieben. Traditionelle Marxisten, sozialromantische Verfechter eines bedingungslosen Grundeinkommens, eingefleischte Gewerkschafter und verkappte Sozialdemokraten werden um ein Programm ringen, das entweder das einer linken Regierungspartei im Wartestand ist oder das Manifest einer ewigen Oppositionspartei.

So steht die Linkspartei nach ihrem größten Triumph vor ihrer schwierigsten Richtungsentscheidung. Sie kann sich entweder verführen lassen vom Lockruf des Populismus. Das verspricht kurzfristig Stimmen und garantiert langfristigen Bedeutungsverlust. Oder sie kann sich beflügeln lassen von der Phantasie einer Machtperspektive mit SPD und Grünen. Diese Perspektive eröffnet sich allerdings nur, sollte die Linke die Kraft zu einer Kurskorrektur finden - was nach einem Erfolg ungleich schwieriger ist als nach einer Niederlage. Gregor Gysi hat die Konsenssoße beklagt, die angeblich alle anderen den Wählern servieren. Er wird zeigen müssen, ob ihm Dissens auch dann schmeckt, wenn er in der eigenen Partei köchelt.

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