Die Linke: Führungsstreit:Kampfansage gegen Ernst und Lafontaine

Chaos bei den Linken: Partei-Vize Wawzyniak legt einen Gegenvorschlag zum neuen Grundsatzprogramm vor. Das Papier unterscheidet sich stark vom Lafontaine-Entwurf.

Daniel Brössler, Berlin

Nach den Auseinandersetzungen um Äußerungen von Parteichefin Gesine Lötzsch zum Kommunismus läuft in der Linken nun der Streit über ein neues Grundsatzprogramm aus dem Ruder. Die Vize-Vorsitzende Halina Wawzyniak und Schatzmeister Raju Sharma veröffentlichten am Mittwoch einen Alternativtext zum offiziellen Programmentwurf. Wawzyniak und Sharma gehören zum Reformerflügel. In der Partei wird ihr Gegenentwurf als Kampfansage an Ko-Parteichef Klaus Ernst und dessen Vorgänger Oskar Lafontaine verstanden. Beide hatten Reformern vorgeworfen, nur zu kritisieren und keine Vorschläge zu unterbreiten. "Davon hatten wir die Nase voll", sagte Sharma der Süddeutschen Zeitung.

Gedenken an Luxemburg und Liebknecht

Nach außen präsentierten die Spitzenfunktionäre der Linken jüngst Einigkeit: Oskar Lafontaine (li.) geht mit seinen Nachfolgern Klaus Ernst (r.) und Gesine Lötzsch sowie mit Fraktionschef Gregor Gysi (2.v.l.) über den Zentralfriedhof Friedrichsfelde an der Gedenkstätte der Sozialisten. Sie gedachten der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht am 15. Januar 1919. In den vergangenen Tagen spitzte sich der Führungsstreit innerhalb der Linken zu.

(Foto: dapd)

Der neue Text ist sprachlich weniger aggressiv als der Entwurf, den Lafontaine und sein damaliger Ko-Parteichef Lothar Bisky im März 2010 präsentiert hatten. Kritischer beurteilt er die DDR. Attestiert werden ihr "staatliche Willkür, eingeschränkte politische Freiheiten, Menschenrechtsverletzungen, Verhinderung von Bildungschancen aufgrund politischer oder religiöser Einstellungen sowie fehlende Rechtsstaatlichkeit". Der offizielle Entwurf spricht nur von "Erfahrungen staatlicher Willkür und eingeschränkten Freiheiten".

Wawzyniak und Sharma haben viele Passagen aus dem Ursprungsentwurf übernommen, in umstrittenen Fragen aber dezidiert andere Positionen formuliert. Das gilt etwa für Regierungsbeteiligungen, für die im Lafontaine-Entwurf besonders hohe Hürden aufgestellt werden. Die Linke werde sich an keiner Regierung beteiligen, "die Privatisierungen vornimmt, Sozial- oder Arbeitsplatzabbau betreibt", heißt es dort. Diese Festlegung war vor allem in ostdeutschen Landesverbänden auf Unmut gestoßen, da sie dort Personalabbau im öffentlichen Dienst nicht kategorisch ausschließen wollen. "Über Regierungsbeteiligungen der Linken muss unter konkreten Bedingungen an konkreten Orten anhand verbindlicher Kriterien durch Parteitagsbeschlüsse entschieden werden", wird nun im Gegenentwurf postuliert. Einigkeit herrscht darüber, dass sich die Linke auf Bundesebene nicht an Regierungen beteiligen dürfe, "die Kriege führt und Kampfeinsätze der Bundeswehr zulässt".

Wawzyniak und Sharma treten zudem für die "Gewährung eines bedingungslosen Grundeinkommens" ein. Dies schaffe die Rahmenbedingungen für eine gerechte Verteilung der notwendigen gesellschaftlichen Arbeit". Dies gilt als Minderheitsmeinung in der Linken.

Auch Parteichef Ernst ist bekannt als vehementer Gegner eines solchen Grundeinkommens, reagierte aber betont gelassen auf die Veröffentlichung des Gegenentwurfs. "Das ist legitim", sagte er der Süddeutschen Zeitung. Es sei möglich, dass einzelne Elemente berücksichtigt würden. Er sei nie dafür eingetreten, den bisherigen Entwurf "eins zu eins" umzusetzen. "Das ist Unfug", sagte er.

Derzeit sichtet eine Redaktionskommission alle Beiträge zur Programmdiskussion. Sie soll Vorschläge für mögliche Änderungen am Entwurf machen. "Wäre ich an Stelle der Redaktionskommission, würde ich unseren Antrag als Beratungsgrundlage nehmen", sagte Sharma. Ernst äußerte hingegen seine Erwartung, dass der bisherige Entwurf die Grundlage bleibe. Im Juli will der Vorstand eine Fassung beschließen, über den ein Parteitag im Oktober in Erfurt entscheiden wird. Dabei sollen nach dem Willen der Linken-Führung nicht zwei Entwürfe zur Auswahl stehen, sondern es soll lediglich über Änderungsanträge abgestimmt werden können.

Offenbar aufgrund der internen Konflikte, insbesondere um die Verwendung des Begriffs Kommunismus, verliert die Linke derzeit an Zustimmung. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa verschlechterte sie sich um zwei Punkte auf neun Prozent.

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