Es wäre sicherlich übertrieben zu sagen, dass sich wieder alle gerne haben in der Linksfraktion. Aber bei ihrer Fraktionssitzung am Dienstagnachmittag haben die Linken immerhin eine weitere Eskalation ihres Selbstzerfleischungsprozesses abgewendet. Vorerst. Nach dreistündiger Debatte verkündete Fraktionschef Dietmar Bartsch: "Wir haben versucht, dass wir gemeinsam aus dieser Sitzung herauskommen. Das haben wir hingekriegt." Der Parlamentarische Geschäftsführer Jan Korte konnte berichten: "Es gibt keine Verletzten." So was hat in diesen Tagen Nachrichtenwert bei den Linken.
Am Ende einer "sehr umfangreichen" (Bartsch), aber "bemerkenswert vernünftigen" Debatte (Korte) stand sogar ein gemeinsamer Beschluss, in dem es heißt: "Für die Mitglieder der Fraktion Die Linke bilden das Parteiprogramm, das Wahlprogramm und die Beschlüsse der Parteitage die Grundlage ihrer Arbeit. Die grundgesetzlich garantierte freie Mandatsausübung bleibt dabei gewährleistet."
Bundestag:Linken-Chef spricht von massivem Schaden für die Partei
Nach einer polarisierenden Bundestagsrede von Sahra Wagenknecht zum Verhältnis zu Russland ist die Linke in heller Aufregung. Die Politikerin verteidigt ihre Worte.
Das klingt nach aneinandergereihten Selbstverständlichkeiten. Aber es klingt nur so. Denn wer in dieser Fraktion zu welchem Thema mit welchen Thesen im Plenum reden darf, das ist eine Frage, die die Linke zuletzt bis an den Rand ihrer Spaltung geführt hat.
Auslöser war eine Rede der Abgeordneten Sahra Wagenknecht vom 8. September. Darin hatte sie die Ampelkoalition als "die dümmste Regierung in Europa" bezeichnet und dann gesagt: "Das größte Problem ist Ihre grandiose Idee, einen beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten vom Zaun zu brechen." Gemeint war ganz offensichtlich ein Wirtschaftskrieg gegen Russland, den die Bundesregierung vom Zaun gebrochen haben soll.
Wagenknecht war am Dienstag per Video zugeschaltet
Wagenknechts Auftritt hatte zu heftigen Verwerfungen und mehreren prominenten Parteiaustritten geführt. Die Fraktion diskutiert seither in aller Offenheit über ihre Spaltung. Für maßgebliche Linke ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch Wagenknecht und ihre engsten Mitstreiter austreten.
Wagenknecht selbst war bei der Fraktionssitzung am Dienstag nicht anwesend, wurde aber per Video zugeschaltet. Laut Teilnehmern soll sie in ihrem etwa zweiminütigen Statement gesagt haben, dass sie sich bei ihren Äußerungen selbstverständlich an die Beschlusslage der Partei halten werde.
Ein Antrag von acht Abgeordneten, der auf eine Maßregelung Wagenknechts hinausgelaufen wäre, wurde am Dienstag zurückgezogen. Stattdessen verabschiedeten die Abgeordneten auf Vorschlag der Fraktionsspitze mit großer Mehrheit eine Kompromissvereinbarung: Man will sich nun zwar einerseits schon etwas mehr an die Beschlusslage der Partei halten, andererseits darf aber das Mandat weiterhin frei ausgeübt werden.
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Damit können alle Streitparteien ein bisschen zufrieden sein, aber auch niemand so richtig. Die Unterzeichner des ursprünglichen Antrags, zu denen der einstige Parteichef Bernd Riexinger sowie die Abgeordnete Caren Lay gehört hatten, zogen eher bedröppelt von dannen. Fraktionschef Bartsch stänkerte ihnen hinterher: "Diese Art der Wichtigtuerei muss aufhören."
Wurde die Fraktionsspitze erpresst?
Neben Wagenknecht geraten aber zunehmend auch Bartsch und seine Co-Vorsitzende Amira Mohamed Ali in den Fokus der innerparteilichen Kritik. Die stellvertretende Parteivorsitzende Katina Schubert sagte der Süddeutschen Zeitung: "Meine Erwartung an die Bundestagsfraktion ist gar nicht hoch, ich möchte nur, dass sie nicht weiter torpediert, was an mühsamer Arbeit aufgebaut wird." Die Fraktionsvorsitzenden müssten dafür Sorge tragen, dass das, was in der Partei mehrheitlich beschlossen worden sei, sich auch in den öffentlichen Äußerungen im Namen der Fraktion ausdrücke. "Die Fraktionsspitze muss mal anfangen, Politik zu machen und nicht nur ihre eigene Haut verteidigen", sagte Schubert.
In einer gemeinsamen Erklärung von neun Landesvorsitzenden der Linken bekamen Bartsch und Mohamed Ali den Unmut am Dienstag auch noch einmal schriftlich übermittelt. "Einer Privatisierung von Mandaten treten wir, auf welcher politischen Ebene auch immer, entschlossen entgegen. Wir lassen uns dabei auch nicht erpressen", heißt es in dem Brief an die Fraktionsspitze. Neun Landesvorsitzende, darunter auch die von Bartschs Heimatverband Mecklenburg-Vorpommern, sind also offenbar der Ansicht, dass Wagenknecht die Fraktionsspitze erfolgreich erpresst hat, um es in der Haushaltswoche auf die Redeliste zu schaffen. Das birgt noch reichlich Zündstoff für die kommenden Tage.
"Wir sind eine komplizierte Partei, das sind wir immer schon gewesen", sagte Mohamed Ali: "Wenn ich eine Formel dafür hätte, wie man dafür sorgt, dass ab jetzt nur noch Dinge geschehen, die uns in Einigkeit erstrahlen lassen, hätte ich es schon gemacht." Bis diese Formel gefunden ist, wird es jedenfalls nicht langweilig bei den Linken.