Angela Merkel und ihre Regierung:Die Basta-Kanzlerin

Kanzlerin Merkel fehlen die Worte. Deshalb wählt sie das Machtwort - so wie einst ihr Vorgänger Gerhard Schröder. Sie nimmt sogar die Gefahr in Kauf, dass ihre Autorität schwindet.

Nico Fried

Das Machtwort ist eine politische Willensäußerung, die der amtierenden Bundeskanzlerin stets sehr zuwider war. Angela Merkels wichtigstes Argument dagegen lautete, dass ein Streit, der durch ein Machtwort beigelegt werden soll, früher oder später wieder und womöglich heftiger aufflammt. Die herkömmliche Annahme, ein Machtwort sei Ausdruck von Autorität, hat Merkel nie geglaubt, im Gegenteil: Das Kanzlerinnen-Theorem besagte bislang, dass der Konflikt bleibt, aber die Autorität schwindet. Wenn jedoch die Autorität für Machtworte nicht mehr reicht, gibt es darüber nur noch eine Eskalationsstufe: die Rücktrittsdrohung. Jedenfalls bei Politikern, deren Rücktritt von den eigenen Leuten als Bedrohung empfunden würde.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist von der Vermittlerin zur Basta-Kanzlerin geworden.

(Foto: dpa)

Den empirischen Beweis für ihre Theorie hat in Merkels Augen ihr Vorgänger erbracht. Die Treppe, die Gerhard Schröder hinaufstieg vom Werben über das Machtwort bis zur Rücktrittsdrohung, war dieselbe Treppe, die ihn hinunterführte zu vorgezogenen Neuwahlen und hinaus aus dem Kanzleramt. Als Schröder in der Auseinandersetzung um die Agenda 2010 zum Basta-Kanzler wurde, war er auf dem Höhepunkt seiner politischen Durchsetzungskraft - und doch alsbald auch am Ende seiner Kräfte. Erst gab er den Parteivorsitz auf, dann die Kanzlerschaft. Merkel, damals Oppositionschefin, hat Schröder studiert. Es war der Weg, den sie nie gehen wollte. Jetzt ist sie ausgerechnet dank der Koalition, die sie doch immer haben wollte, auch schon beim Machtwort angelangt.

Das Nein zu Steuersenkungen vor einigen Wochen war noch ein Machtwörtchen. Hier war der letzte Widerstand der FDP schon durch das Wahldesaster in Nordrhein-Westfalen zerflossen wie ein Stück Butter unter einem Bunsenbrenner. Am Mittwoch nun hat Merkel gesagt, das Sparpaket werde nicht mehr aufgeschnürt: ,,Ich habe entschieden, dass das Programm ausgewogen und richtig ist'', lautete der bemerkenswerte Satz. Und ihrem Wirtschaftsminister Rainer Brüderle hat Merkel am selben Tag zur Kenntnis gegeben, dass wenn er sein letztes Wort gesprochen hat, das letzte Wort noch lange nicht gesprochen ist - selbst wenn die Kanzlerin am nächsten Tag dasselbe sagt wie er. Wie Merkel schmerzhaft erfahren musste, war dieses Machtwort eines zu viel.

Wenn die Kanzlerin, die das Machtwort als politisches Instrument fünf Jahre lang abgelehnt hat, es nun kurz hintereinander zweieinhalbmal anwendet, gibt es dafür nur eine Erklärung: Angela Merkel betrachtet den Zustand der Koalition vor einem Machtwort bereits als so schlecht, dass er danach schlimmer nicht mehr werden kann. Und wer wollte ihr da von außen widersprechen, wenn es schon in der Koalition niemand mehr glaubwürdig tut? Anders gesagt: Sie sieht sich zum Machtwort gezwungen. Angela Merkel - die Basta-Kanzlerin.

Ihre eigene Überzeugung verteidigte Merkel am ehesten beim Thema Steuersenkungen. Beim Sparpaket kämpft sie für eine Entscheidung wider ihr politisches Gespür. Sie verteidigt ein Programm, weil sie es aus Rücksicht auf FDP und CSU verteidigen muss. Dass Merkel gegen ihre Überzeugung handelt, merkt man daran, dass sie für dieses Paket keine Sprache hat. Merkel bräuchte auf die Frage nach der Gerechtigkeit einige klare Sätze. Sie hat nicht einen. Die Kanzlerin müsste verständlich erklären können, warum Banken mit Verlusten in Milliardenhöhe systemrelevant sind und 300 Euro für eine Hartz-IV-Mutter systemwidrig. Merkel aber fehlen die Worte. Deshalb wählt sie das Machtwort.

Beim Thema Opel hat sie nun ein Desaster erlebt. Beim letzten Rettungsversuch wurde sie von General Motors geleimt. Diesmal hat sie sich selbst geschadet. Merkel hat einen Minister brüskiert, Erwartungen geweckt - und stand am Ende mit leeren Händen da. Merkels eigene Befürchtung bestätigt sich nun: Machtworte schmälern die Autorität.

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