Die Kanzlerin und ihr Kabinett:Angela Merkel - die Alleinunterhalterin

Die Regierung Merkel ist nach sieben Monaten so erschöpft wie die Regierung Schröder nach sieben Jahren. Der Kanzlerin fehlen die Partner - und am Wochenende probiert die Koalition wieder einmal einen neuen Anfang.

Nico Fried

Die drei Parteivorsitzenden wollten sich ein bisschen feiern lassen. Für die Kameras nahmen Angela Merkel, Guido Westerwelle und Horst Seehofer den langen Weg über die Flure des Reichstags, als sie ihren Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten vorstellten. Es war ein Anblick, der einem den ersten Satz aus der Zueignung in Goethes Faust in den Sinn rief: "Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten." Denn diese Koalition taumelt trotz Christian Wulff noch immer eher auf den Abgrund zu als von ihm weg. Der eine kleine Erfolg, den Nachfolger für Horst Köhler einigermaßen zügig bestimmt zu haben, betont gerade auch die zahllosen Probleme, die noch der Lösung harren.

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Angela Merkel steht nach sieben Monaten schwarz-gelber Koalition so schlecht da wie selten.

(Foto: afp)

Deutschland sei ein wunderbares Land, hat die Kanzlerin verkündet, und Wulff sei ein wunderbarer Kandidat. Jetzt fehlt nur noch eine wunderbare Regierung. Deshalb probiert die Koalition am Wochenende wieder einmal einen neuen Anfang. Davon hat es schon mehrere gegeben, den ersten zelebrierte Schwarz-Gelb beim fröhlichen Verzehr von Hackfleisch in einem Promi-Restaurant. Diesmal muss binnen zwei Tagen in einer Klausur im Kanzleramt ein ganzer Haushalt verhackstückt werden. Zehn Milliarden Euro zum Einsparen will die Koalition finden; aber eine Legitimation ihrer weiteren Existenz wäre fast noch wichtiger. Die aber wird nicht kommen. Nicht mit dieser Kanzlerin.

Um die Tiefe der schwarz-gelben Krise zu ermessen, reicht ein Blick in die vergangene Woche. Der Gesundheitsminister macht am Wochenanfang Vorschläge für eine Reform, die er später korrigiert und noch etwas später kassiert. Der Verteidigungsminister erwägt, die Wehrpflicht auszusetzen, zu deren Erhalt er just im Kabinett einem Gesetzentwurf zugestimmt hat. Der Kanzleramtsminister, der Umwelt- und der Wirtschaftsminister sowie einige Länderchefs zoffen sich über Restlaufzeiten von Atomkraftwerken und beschließen am Ende, nichts zu beschließen. Und dann ist auch noch der Bundespräsident verschwunden.

Eine Kanzlerin ohne Partner

Das wunderbare Land könnte ein Wunder gut gebrauchen. Aber es hat nur Angela Merkel. Die Kanzlerin ist mittlerweile zu einer Art politischer Alleinunterhalterin geworden. Sie muss bisweilen handeln und interpretieren zugleich. Sie ist in der Politik quasi Bastian Schweinsteiger und Günther Netzer in einer Person. Wenn Horst Köhler zurücktritt, soll Merkel im Fernsehen die Motive des Präsidenten erklären. Sie ist wie eine letzte Instanz. Und alle anderen, die über die Motive des Rücktritts reden, erklären ihn auch mehr oder weniger mit Merkel.

Angela Merkel ist Angela Merkels größtes Pfund - und ihr größtes Problem. Die Fokussierung auf diese Kanzlerin ist nicht zuletzt aufgrund der medialen Verdichtung vielleicht stärker, als sie bei Helmut Kohl je war. Der hatte Hans-Dietrich Genscher als Partner, Richard von Weizsäcker als Korrektiv und Franz Josef Strauß als Widersacher. Merkel hatte mal Franz Müntefering, Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier als Partner und Widersacher in einem. Das hat ihr nicht geschadet. Dann aber hatte sie plötzlich nur noch Horst Köhler und Guido Westerwelle.

Die Schwäche der anderen

Der Präsident war spätestens seit seiner Wiederwahl ein Ausfall. Mit seinem Rücktritt zog Köhler auch die Konsequenz aus der Einsicht, nicht mehr ernst, ja nicht mehr wahrgenommen zu werden, es sei denn mit seinen Fehlern. Und Westerwelle ist seit seinem Amtsantritt vor allem mit sich selbst beschäftigt. Ein Außenminister, der immer unpopulärer wird, ein FDP-Chef, der nur Monate nach einem Triumph in der eigenen Partei in Zweifel steht - für Westerwelle hängt mehr von Merkel ab als umgekehrt. Die Kanzlerin hat weder große Partner, noch große Gegner, sieht man von der speziellen Verbindung zu Wolfgang Schäuble ab. Merkel ist übrig geblieben. Sie vereint die meiste Macht in sich. So hat sie es gewollt. Aber es ist auch ihr Fluch. Jene, die sie in der CDU besiegt hat, werden nichts mehr ohne sie, zum Beispiel Christian Wulff. Diejenigen, die sie in Führungsposten gebracht hat, erwidern das derzeit noch mit Loyalität. Ein dritter Teil der Macht ist geliehen: Dass CSU und FDP Merkel freie Hand bei der Wahl des Präsidentschaftskandidaten ließen, ist nicht Freundlichkeit geschuldet, sondern Schwäche.

Zu viel Macht als Problem

Eigentlich hat Angela Merkel längst zu viel Macht. Deshalb ist sie jetzt an allem schuld, auch an Dingen, an denen sie vielleicht gar nicht schuld ist. Gerade weil aber so viel an Merkel hängt, treten ihre Defizite nun so deutlich zutage. Gerade deshalb klafft die Leere an Erklärungen und Orientierung so manifest in einer Zeit der Krise, die genau dies so nötig machte. Horst Köhler hätte das Wissen gehabt, aber er verfügte nicht über die Rhetorik. Guido Westerwelle ist ein glänzender Redner, nutzt seine Begabung aber nur zu zweifelhaften Zwecken. Irgendwo dazwischen werkelt die Kanzlerin und redet nur ungern darüber.

Angela Merkel erlebt jetzt die Kehrseite ihrer lange währenden Popularität. Der Verlust des Vertrauens in die Regierung ist immens. Und weil Merkel die Regierung ist, trifft sie der Niedergang besonders. Man merkt das an ihrer Politik: Erst wurde jedes Thema in Kommissionen und Prüfaufträge verschoben, jetzt plötzlich kann es gar nicht schnell genug gehen. Nach ihrem Wahlsieg wähnte sich Merkel in Sicherheit und trat auf die Bremse. Eine Legislaturperiode dauert schließlich vier Jahre. Jetzt versucht sie Gas zu geben. Zur Sommerpause sind es schließlich nur noch vier Wochen.

Merkels persönliche Bilanz in der Wirtschaftskrise fällt ordentlich aus, ihre Bilanz in der Euro-Krise steht noch aus. Das Afghanistan-Mandat hat sie um den Preis verlängert, den Menschen ein Ende des Krieges in Aussicht zu stellen, das sich immer weiter zu entfernen scheint, je näher der gewünschte Abzugstermin rückt. Von all dem aber, was Union und FDP als eigene Politik voranbringen wollten, ist nichts wirklich auf dem Weg. Der Koalitionsvertrag ist das Papier nicht mehr wert, auf dem er gedruckt wurde. Statt 16 Milliarden Euro Steuerentlastung müssen zehn Milliarden gespart werden - was ist einer Koalition noch zuzutrauen, die sich so verrechnet, wenn es nicht sogar mit Absicht geschah? Merkel hat das alles hingenommen.

Was ist einer Koalition zuzutrauen, in der sich in den menschlichen Beziehungen Loyalitäten allenfalls die Waage halten mit Enttäuschungen und Verletzungen. Seehofer und Merkel haben die älteste Rechnung offen: Wegen der Kopfpauschale ist Seehofer einst zurückgetreten. Jetzt ist er wieder da und lässt die Kopfpauschale scheitern. Solche Rechnungen mit Merkel gibt es reihenweise - auch Ursula von der Leyen, die Bundespräsidentin für zwei Tage, hat jetzt eine offen.

In ihrer Erschöpfung erinnert die Regierung Merkel nach sieben Monaten an die Regierung Schröder, allerdings nach sieben Jahren. Rot-Grün hatte da Entscheidungen über drei Kriege und zehrende Kämpfe über die Agenda 2010 hinter sich - Schwarz-Gelb einstweilen nur die besten Zeiten.

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