Der Fall Guttenberg:Merkels Blick in den Abgrund

Das Missmanagement der Bundeskanzlerin in der Affäre um Karl-Theodor zu Guttenberg kommt langsam auch beim Bürger an. Dass Merkel schnell ihr Kabinett umgebaut hat, wird ihr kaum helfen. Ein Wahlkampfauftritt in Stuttgart wurde bereits zum Fiasko.

Thorsten Denkler

Gestern Abend. Stuttgart. Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel wird ausgebuht. Keine acht Stunden nach dem Rücktritt von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg. Der Wahlkampfauftritt gerät zum Fiasko. "Lügenpack" steht auf Transparenten. Merkel kann sagen was sie will. Etwa, die CDU müsse sich "von niemandem sagen, was Anstand und Ehre ist!". Das sagt sie mit erhobenem Zeigefinger.

CeBIT 2011 - Merkel

Der Rücktritt von Verteidigungsminister Guttenberg und ihr Krisenmanagement bringen Kanzlerin Angela Merkel in Bedrängnis. Das Foto zeigt Merkel auf der Computermesse Cebit in Hannover - hier wurde sie von der Nachricht überrascht, dass ihr beliebtester Mitarbeiter ihr Kabinett verlassen würde.

(Foto: dpa)

Ein Johlen geht durch die Halle. Dazu Pfiffe. Die Menge ist aufgebracht. Merkel reagiert gereizt, regelrecht angefasst: "Wenn ich Argumente habe, stehe ich hier auch nicht mit der Trillerpfeife im Maul."

Merkel spürt erstmals harten Gegenwind aus dem Volk. Es muss ihr vorgekommen sein wie ein Blick in den Abgrund. So muss es sich anfühlen, wenn die Tage im Amt gezählt sind, weil das Volk einen nicht mehr will. So erging es Helmut Kohl in seinem letzten Wahlkampf 1998.

Lange war sie es, die die Beliebtheitsranglisten der deuten Politiker anführte. Jetzt schaut sie in Stuttgart in die Gesichter von Menschen, die ihr alles wünschen - nur nichts Gutes mehr.

Am nächsten Tag wollte Merkel wenigstens Handlungsfähigkeit beweisen. Keine 26 Stunden nach dem Rücktritt des gefallenen Superstars der CSU steht die Nachfolgeregelung. Die Lösung, auf die sich CDU und CSU in vielen Telefonaten in der Nacht und an diesem Morgen geeinigt haben: Innenminister Thomas de Maizière wird Karl-Theodor zu Guttenberg im Amt des Verteidigungsminister nachfolgen. Weil der aber ein CDU-Mann ist, muss nach der Berliner Macht-Arithmetik ein CSU-Mann auf den Posten des Innenministers. Das wird der bisherige CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich. Erst darf CSU-Chef Horst Seehofer sie in München verkünden. Dann stellt sich um 15 Uhr auch Merkel vor die Presse (alle Entwicklungen des Tages können Sie im Nachrichten-Ticker von sueddeutsche.de nachlesen).

Für Kanzlerin Angela Merkel ist das eine elegante Lösung. Mit de Maizière hat sie einen erfahrenen und ruhigen Strategen auf den Schleudersitz des Bundesverteidigungsministers gesetzt. De Maizière hat als Kanzleramtsminister und auch als Innenminister stets den Eindruck erweckt, dass er weiß, was er tut. Keine Ungereimtheiten, keine Seltsamkeiten, keine Skandale werden mit ihm in Verbindung gebracht. Das dürfte der Truppe nach den doch eher aufregenden Monaten mit Guttenberg guttun.

Die CSU wiederum ist ein Ministerium los, mit dem sie schon einmal schlecht gefahren ist. Vor Guttenberg hat es erst einen CSU-Mann als Oberkommandierenden der Bundeswehr gegeben, das war Franz Josef Strauß. Wie Guttenberg musste auch Strauß am Ende zurücktreten. Dafür kann sie nach Hermann Höcherl in den sechziger und Friedrich Zimmermann in den achtziger Jahren zum dritten Mal das Innenministerium besetzen.

Für Hans-Peter Friedrich wird das der saure Apfel sein, in den er zu beißen hatte. Als Landesgruppenchef ist er in Berlin ein mächtiger Mann, nimmt an allen Koalitionsgesprächen teil. Als Innenminister ist er nur eines: Innenminister. Aber offenbar hatte CSU-Chef Horst Seehofer wenig Lust, dass das Beben, das Guttenberg mit seinem Rücktritt ausgelöst hat, auch noch Schneisen in seine Landesregierung schlägt. Der zwischenzeitlich diskutierte Plan, Bayerns Innenminister Joachim Herrmann zum Innenminister im Bund zu machen, wurde jedenfalls nicht in die Tat umgesetzt. Angeblich aus privaten Gründen.

Die überraschte Kanzlerin

Kanzlerin Angela Merkel hat damit nach Wochen des Lavierens in der Causa Guttenberg zumindest Handlungsfähigkeit beweisen. Doch das wird nicht reichen, um die Zweifel an Merkels Führung zu zerstreuen.

Guttenbergs Rücktritt hat Merkel offenbar so überrascht, dass Fragen zum politischen Instinkt der Kanzlerin aufkommen. Zuletzt war ja weniger offen ob, sondern lediglich wann Guttenberg aufgeben würde. Merkel aber traf Guttenbergs Schritt wohl mehr oder minder unvorbereitet. Die wilde Telefoniererei der vergangenen 26 Stunden lässt jedenfalls vermuten, dass es keinen Plan gab, für den nicht gerade unwahrscheinlichen Fall, dass Guttenberg die Segel streicht.

Weitaus schwerer aber als die Klärung einer dringenden Personalie dürfte für Merkel nun werden, das verlorene Vertrauen wieder gutzumachen. Die CDU wird zu einem nicht unerheblichen Teil von einer konservativen Bildungsschicht getragen. Einige Vertreter dieser Wähler hat sie bei ihrem Auftritt in Stuttgart kennengelernt. Sie nehmen der Physikerin übel, dass und vor allem wie sie sich in der Plagiats-Debatte hinter Guttenberg gestellt hat.

Ihre Botschaft lautete: Ob der Guttenberg seinen Doktortitel gekauft, gestohlen oder erschummelt hat, ist egal. Hauptsache er macht seinen Job als Verteidigungsminister ordentlich.

Merkel hat damit eine wichtige Wählerklientel brüskiert: Konservativ und gebildet. Besonders deutlich zu erkennen in der Wissenschaftsgemeinde, in der auch als Rechtsausleger bekannte Juristen nur noch den Kopf schütteln konnten, dass der Doktorbetrüger Guttenberg von Merkel sogar gedrängt wurde, im Amt zu bleiben.

Und das so kurz vor den Wahlen in einem so wichtigen Land wie Baden-Württemberg. Erste Umfragen deuten darauf hin, dass es mit der CDU, die sich vor der Guttenberg-Affäre so gerade wieder stabilisiert hat, wieder abwärts gehen könnte.

Merkel hat offenbar völlig unterschätzt, was sie mit ihren leichtfertigen Bemerkungen zu akademischen Graden und ihrem sturen Festhalten an Guttenberg angerichtet hat. Wenn Baden-Württemberg für die CDU verlorengeht, wird das vor allem Merkel angekreidet werden. Die Plagiatsaffäre ist auf dem besten Weg, sich zu einer handfesten Regierungskrise auszuweiten. Und an deren Ende könnte sogar das Ende der Kanzlerin Angela Merkel stehen.

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