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Kanzlerkandidatur:Grüne bringen die Union in Zugzwang

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Die Partei will bald entscheiden, ob Robert Habeck oder Annalena Baerbock Kanzlerkandidat wird - ganz ohne Streit. Das erhöht den Druck auf CDU und CSU.

Von Nico Fried, Berlin

Es ist nur ein Termin in der übernächsten Woche, aber er könnte schon jetzt beträchtliche politische Wirkung entfalten: Die Grünen wollen am Montag, den 19. April, bekanntgeben, ob sie Annalena Baerbock oder Robert Habeck für die Nachfolge Angela Merkels im Kanzleramt nominieren werden. Das teilte Bundesgeschäftsführer Michael Kellner am Mittwoch in einem Brief an die Landesvorsitzenden und den Parteirat mit.

Angesichts der aktuellen Umfragen werden die Grünen damit zum ersten Mal in ihrer Geschichte einen Spitzenkandidaten oder eine Spitzenkandidatin mit einer realistischen Chance aufstellen, das höchste Regierungsamt im Land zu erobern. In der Union dürfte die Ankündigung den Druck erhöhen, selbst alsbald einen Kanzlerkandidaten zu präsentieren.

Dabei geht es auch darum, dem Eindruck entgegenzuwirken, dass ausgerechnet die Grünen, die in der Vergangenheit für chaotische Parteitage und endloses Ausdiskutieren standen, nun ein geordnetes und professionelles Verfahren hinbekommen, während in CDU und CSU Ausweichmanöver, taktische Spielchen und Fragen der Mitsprache das Bild zu bestimmen drohen.

In den Fokus der Aufmerksamkeit rückt nun immer stärker eine Klausurtagung des Vorstands der gemeinsamen Bundestagsfraktion von CDU und CSU am kommenden Sonntag, zu der sowohl Bundeskanzlerin Angela Merkel als auch die beiden Parteichefs Armin Laschet und Markus Söder eingeladen sind. Fraktionschef Ralph Brinkhaus räumte ein, dass die Erwartung unter den Unions-Abgeordneten gewachsen sei, die Frage der Kanzlerkandidatur schnell zu entscheiden: Das Interesse in der Bundestagsfraktion an dieser Entscheidung sei "natürlich riesengroß", sagte Brinkhaus am Mittwoch im Deutschlandfunk, noch bevor die Grünen ihren Verkündungstermin bekannt gaben. "Es gibt viele Kollegen", so Brinkhaus, "die wieder in ihren Wahlkreisen kandidieren, die wollen wissen, wo die Reise hingeht."

Bei den Grünen gelten Baerbock und Habeck gleichermaßen als ernsthafte Aspiranten auf die Kandidatur. Dennoch ist es ihnen zumindest in der Öffentlichkeit gelungen, weniger als Konkurrenten denn als Team zu erscheinen. So moderierten sie den Prozess für ein neues Grundsatzprogramm und präsentierten zuletzt gemeinsam das Programm für die Bundestagswahl.

Obwohl Habeck bisher nur Landesminister in Schleswig-Holstein war und Baerbock jegliche Regierungserfahrung fehlt, firmieren sie in Umfragen teilweise besser als SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz, der in Hamburg bereits eine Landesregierung geführt hat und auch im Bund als Minister bereits zum zweiten Mal in Regierungsverantwortung steht.

Im direkten Vergleich miteinander stehen Baerbock und Habeck in den Umfragen mittlerweile nahezu gleichauf, dennoch haben es beide bislang vermieden, sich auf Kosten des jeweils anderen zu profilieren. Auch gibt es praktisch keine öffentlichen Bekenntnisse führender Grüner zugunsten Baerbocks oder Habecks. Deshalb wird erwartet, dass die Partei jedwede Entscheidung mit großer Geschlossenheit mittragen wird. Formal entscheidet erst ein Grünen-Parteitag Mitte Juni über die Kanzlerkandidatur.

Von einem solchen Bild der Eintracht ist die Union noch weit entfernt. Zudem gibt es große Unterschiede in den Umfragen, die für den bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Chef Markus Söder derzeit deutlich höhere Popularitätswerte ausweisen als für den CDU-Vorsitzenden und nordrhein-westfälischen Regierungschef Armin Laschet. In beiden Parteien und insbesondere in der Bundestagsfraktion mehren sich öffentliche Festlegungen zugunsten eines der beiden Kandidaten. Allerdings ergibt sich daraus noch kein klarer Trend zugunsten Söders oder Laschets, sondern eher das Bild einer verunsicherten und gespaltenen Union.

Laschet hätte zwar als Vorsitzender der größeren Partei faktisch noch immer den ersten Zugriff, müsste sich aber gute Gründe einfallen lassen, warum er seinen schwachen persönlichen Werten keine maßgebliche Bedeutung beimisst. Söder vermied auch in zwei weiteren Fernsehauftritten am Dienstagabend und Mittwochmorgen jede Festlegung, ob er überhaupt als Kandidat zur Verfügung stünde.

Laschet bemühte sich zuletzt durch den Vorschlag eines "Brücken-Lockdowns" und einer vorgezogenen Ministerpräsidentenkonferenz um das Heft des Handelns in der Corona-Pandemie. Allerdings blitzte er damit nicht nur bei den Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen der SPD ab, nicht einmal unter den CDU-Regierungschefs stieß er mit seiner Idee auf geschlossene Zustimmung. Söder begrüßte zwar die Vorstellungen Laschets, verzichtete aber nicht auf den Hinweis, dass er vergleichbare Forderungen schon vorher erhoben habe.

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