Süddeutsche Zeitung

Die Golfstaaten und der Arabische Frühling:Innen Restauration, außen Revolution

Die arabische Revolution hat Geburtstag, doch die Golfstaaten feiern nicht mit. Auch den dortigen Monarchen bläst der Wind des Wandels ins Gesicht. Bislang begegnen sie ihm mit einer wohlkalkulierten Doppelstrategie: Sie zementieren im Inneren den Status quo und unterstützen die Neuordnung in den umliegenden Ländern - zumindest ein bisschen. Die EU sollte sich einmischen.

Nora Müller

Die arabische Revolution begeht ihren ersten Geburtstag. Nicht für jeden ein Grund zum Feiern - am allerwenigsten für die Monarchen auf der Arabischen Halbinsel. Denn ihnen weht seit dem Sturz des tunesischen Präsidenten Ben Ali und des ägyptischen Staatschefs Hosni Mubarak der Wind des Wandels als steife Brise entgegen: das Damoklesschwert des Volkszorns hängt auch über den Potentaten am Golf. Das hat das Beispiel Bahrain gezeigt, wo es immer wieder zu massiven Protesten gegen die politische Führung kommt. Nur eine Frage der Zeit, sagen manche, bis die "Arabellion" auch die anderen Golfstaaten erfasst.

Mag sein, dass es eines Tages so kommen könnte. Doch in der Zwischenzeit wappnen sich die Monarchien am Golf mit einer wohlkalkulierten Doppelstrategie gegen stürmische Zeiten: Im Innern setzen sie auf die Zementierung des Status quo, in den Außenbeziehungen gestalten sie die Neuordnung der Region aktiv mit. Bisher mit Erfolg, denn die so oft gestellte Frage nach dem "Who's next?", wenn es um das Kippen weiterer Regime im Diktatoren-Domino der arabischen Revolution geht, konnten alle Mitglieder des Golf-Kooperationsrates (GCC), zu dem außer Bahrain auch Katar, Kuwait, Oman, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate gehören, bislang mit einem beherzten "Not us" beantworten.

Auch wenn sie sich langfristig den Forderungen nach Veränderung nicht verschließen können: Ihnen ist es - mit Ausnahme von Bahrain - weitgehend gelungen, mit einer Mischung aus spärlich dosierten Reformen und üppigen "Beschwichtigungsgeschenken" für ihre Bürger die innere Stabilität zu wahren. Das "Prinzip Füllhorn" hat seine Wirkung nicht verfehlt.

Hinzu kommt, dass gerade die bevölkerungsarmen, aber ressourcenreichen Kleinstaaten am Golf schnell und flexibel auf Veränderungen reagieren können. Bestes Beispiel dafür ist das nur 1,7 Millionen Einwohner zählende Emirat Katar, das sich binnen weniger Jahre als Sponsor des Nachrichtensenders al-Dschasira, Vermittler in regionalen Konflikten und - im Fall von Libyen und Syrien - erklärter Gegner der herrschenden Machthaber in die Oberliga der regionalen Akteure katapultiert hat.

Dass Restauration nach innen und ein wenig Revolution nach außen - zumindest das aktive Befördern der von der arabischen Revolution in Gang gesetzten Trends - kein Widerspruch sein müssen, hat das Verhalten der Golfstaaten in den vergangenen Monaten deutlich gezeigt. Gezielt unterstützen sie Kräfte des Wandels - allerdings nur solche, die mit dem politisch und gesellschaftlich konservativen Weltbild der Golf-Monarchien konform gehen. Säkulare Reformkräfte in den Transformationsstaaten Nordafrikas beklagen immer häufiger, dass sich die Geldgeber der erstarkten Salafisten, die für eine besonders strenge Auslegung des Islam eintreten, auf die Arabische Halbinsel zurückverfolgen lassen.

Keine Solidarität mit Assad

Auch in der "Causa Gaddafi" haben die GCC-Staaten von Anfang an Wandel, nicht Regimeerhalt auf ihre Fahnen geschrieben: Statt dem Obersten aus Sirte die Stange zu halten, haben sie sich schon früh für eine Flugverbotszone über Libyen ausgesprochen - und sich an deren Umsetzung aktiv beteiligt. Ebenso kann Baschar al-Assad nicht auf die Solidarität der Golf-Monarchen zählen.

Bereits im Sommer vergangenen Jahres rief König Abdullah von Saudi-Arabien den syrischen Machthaber zu Mäßigung und Reformen auf und beorderte aus Protest gegen Assads "Todesmaschine" als einer der Ersten seinen Botschafter aus Damaskus zurück. Dass hier freilich auch andere Interessen, nicht zuletzt das Aufbrechen der missliebigen syrisch-iranischen Achse, eine Rolle gespielt haben, steht außer Frage.

Trotzdem gilt: Auch das wahhabitische Königreich bedient sich der bewährten Doppelstrategie - zu Hause Restauration, draußen (ein wenig) Revolution. Und je länger die Krise in Syrien anhält, desto schärfer werden die Töne aus den Hauptstädten der Arabischen Halbinsel. Noch vor kurzem undenkbar, preschte der Emir von Katar kürzlich mit der Forderung nach einer bewaffneten Mission in Syrien vor.

Auffällig ist dabei, dass die Golfstaaten in regionalpolitischen Fragen häufiger als früher mit einer Stimme, nämlich der des Golf-Kooperationsrates, sprechen. Der Staatenbund, der auch institutionell ein stärkeres Zusammenwachsen anstrebt, hat seit dem Ausbruch der arabischen Revolution an politischer Statur gewonnen.

Wie so oft hat ein "externer Schock" zu einem Mehr an Integration und entschlossenem Handeln geführt. Dass die neue Geschlossenheit der Golf-Monarchien auch die Unterstützung der bahrainischen Regierung im Kampf gegen die schiitische Opposition umfasste, hatte zweierlei Gründe: einerseits die Sorge vor dem Herüberschwappen revolutionärer Ideen von dem kleinen Inselstaat auf das arabische Festland, andererseits eine klare Kampfansage an Teheran, dessen langen Arm man hinter dem Aufbegehren der bahrainischen Schiiten vermutete.

Was bedeuten diese Entwicklungen für die europäische Außenpolitik? Europa will die Umbruchprozesse in seiner unmittelbaren Nachbarschaft politisch und wirtschaftlich unterstützen, Ägypten, Tunesien und Libyen mit Investitionen, Bildungspartnerschaften und verbesserten Marktzugängen auf die Sprünge helfen. Das ist gut und richtig, wiewohl die Einflussmöglichkeiten westlicher Staaten letztlich begrenzt sind.

Gleichzeitig gilt aber auch: Im Jahr eins nach der "Arabellion" braucht die EU-Politik in der arabischen Welt neben der Unterstützung für die Transformationsstaaten auf ihrem Weg in eine - hoffentlich stabile und demokratische - Zukunft ein zweites Standbein, nämlich den Ausbau der Beziehungen zu den GCC-Mitgliedern.

Was Europa tun muss

Auch wenn die Emirate, Sultanate und Königreiche auf der Arabischen Halbinsel die Begeisterung der Europäer für das Aufkeimen der Demokratie zwischen Tripolis und Sanaa nicht so recht teilen mögen: Sie gestalten die Zukunft der Region maßgeblich mit - sei es durch ihr mitunter widersprüchliches Agieren angesichts der "Arabellion", sei es als Partner westlicher Iran-Politik in einem zusehends eskalierenden Konflikt mit der Islamischen Republik, sei es als Energielieferant, Investor oder Handelspartner.

Grund genug für die EU, gerade jetzt ihre Beziehungen zu den Golfstaaten weiter auszubauen. Welche Ziele verfolgt man in den nordafrikanischen Transformationsstaaten? Auch und vor allem über diese Frage sollte die EU mit ihren GCC-Partnern im Gespräch bleiben.

Eine Verstärkung der EU-Präsenz am Golf - bislang unterhält die Europäische Union nur in Riad ein Delegationsbüro -, die dichtere Taktung des Austauschs über die jährlichen Außenministertreffen hinaus und nicht zuletzt auch längst überfällige Fortschritte beim Abschluss der schon vor zwanzig Jahren aufgenommenen Verhandlungen über ein EU-GCC-Freihandelsabkommen wären dabei Schritte in die richtige Richtung.

Nora Müller arbeitet als Programmleiterin im Bereich Internationale Politik der Körber-Stiftung. Ihr Beitrag ist Teil einer Reihe zu aktuellen sicherheitspolitischen Herausforderungen weltweit, die Süddeutsche.de in Zusammenarbeit mit der Körber-Stiftung vor der Münchner Sicherheitskonferenz 2012 veröffentlicht. Die Autoren gehören zum Netzwerk der Munich Young Leaders, einem Kooperationsprojekt von Münchner Sicherheitskonferenz und Körber-Stiftung.

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