Süddeutsche Zeitung

"Die Freihandelslüge":Mobilmachung gegen TTIP

Wo bleibt der Primat der Politik? Wo die Demokratie? Vom Zorn darüber, wie diese Fragen abgebügelt werden: Thilo Bode erklärt, warum das Freihandelsabkommen eine Katastrophe ist.

Von Heribert Prantl

Die einen halten das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA für einen Knüller, die anderen halten es für eine Katastrophe. Thilo Bode schreibt einen Knüller darüber, dass das Abkommen eine Katastrophe ist. Er zieht alle Register, um auf 270 Seiten nachzuweisen, wie dieses Abkommen namens TTIP Demokratie und Rechtsstaat gefährde. Die Summe seiner Analysen steht plakativ und suggestiv im Untertitel des Buches: "Warum TTIP nur den Konzernen nützt - und uns allen schadet". Bode denkt sehr in der Gegenüberstellung von Großkonzernen und Gesellschaft, so dass er nicht auf den Gedanken kommt, es könnten womöglich auch die Konzerne gar nicht so viel von dem Abkommen haben, wie das allenthalben behauptet wird.

Nach allem, was man darüber lesen kann, wird dieses Freihandelsabkommen weit mehr sein als ein klassisches Freihandelsabkommen - weit mehr als ein Abkommen also, das den unbeschränkten Zugang zu den Märkten regelt, das die Handelsbeschränkungen zwischen den Staaten aufhebt, sie aber in ihrer Souveränität nicht einschränkt. Beim TTIP-Abkommen ist das anders: Es will auch auf die politischen Entscheidungen der Vertragsstaaten einwirken. Eines der Instrumente dafür soll der "Rat für regulatorische Kompensation" sein - ein Gremium, das in keiner Verfassung vorgesehen ist, das aber künftig schon im Frühstadium der Gesetzgebung gehört werden soll. Das Ziel: nicht nur die wirtschaftlichen, auch die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse in der EU und in den USA sollen einander angeglichen werden. Zu diesem Zweck soll so viel wie möglich dereguliert werden. Den genannten "Rat" kann man sich vorstellen wie einen gewaltigen Rührhaken, der die Rechts- und Gesellschaftsordnungen kneten und rühren soll. Wo bleibt dann der Primat der Politik? Wo bleibt die Demokratie?

Das sind Fragen, die Bode in seinem Buch bewegen. Er ist Gründer und Geschäftsführer der Verbraucherschutzorganisation foodwatch, früher war er Chef bei Greenpeace; in diesem Buch ist er nun Chefermittler gegen TTIP. Ihn erfasst heiliger Zorn darüber, wie solche Grundsatzfragen abgebügelt werden. Aktivisten der Organisation Campact, so berichtet er, wollten im Mai 2014 Unterschriften gegen TTIP an Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel und den damaligen EU-Handelskommissar Karel De Grucht übergeben. Gabriel habe die Kritiker mit dem Satz abgekanzelt: "470 000 Unterschriften zu sammeln gegen etwas, was es noch gar nicht gibt, das muss man erst mal machen." Und der Handelskommissar habe den 470 000 Unterzeichnern den überheblichen Satz entgegengehalten: "Ich vertrete 500 Millionen." Zu dieser Haltung passt es, dass die EU dem großen Anti-TTIP-Bündnis die Zulassung als EU-Bürgerinitiative verweigert hat, wie Bode beklagt. Er hat recht: Das war nicht gut, ist nicht gut, das schürt Skepsis, das fördert Ablehnung.

Die TTIP-Verhandler tun so, als müssten Kritiker bis zum Abschluss der Verhandlungen warten, um sich qualifiziert äußern zu können. Was aber dann nach dem Schluss der Verhandlungen passiert, kann man derzeit am Beispiel von Ceta, dem Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada, erleben. Die neue EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström erklärte den Kritikern jüngst, dass die Zeit für substanzielle Änderungen jetzt vorbei sei; die Verhandlungen seien im November abgeschlossen worden; jetzt gehe es allenfalls noch um "juristischen Feinschliff".

Die Freihandelslüge

Eine Leseprobe stellt der Verlag hier zur Verfügung.

Die Generalmobilmachung gegen TTIP fällt Bode angesichts solcher Erfahrungen nicht schwer. Sie fällt ihm schon deswegen nicht schwer, weil die Verhandlungen nach dem Motto "Im Dunkeln ist gut munkeln" verlaufen sind. Bode macht sich grimmigen Spaß daraus, die Klandestinität der Verhandlungen und die "Katzentisch-Rolle" des EU-Parlaments zu beschreiben: wie der SPD-Europaabgeordnete Bernd Lange, Vorsitzender des Parlamentsausschusses für den internationalen Handel, "sein Handy abgeben muss wie ein Drittklässler vor der Mathearbeit", wenn er TTIP-Unterlagen einsehen will, auf dass er ja keine Fotos davon machen könne.

Vor ein paar Monaten, es war Ende 2014, verkündete der SPD-Chef und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel im Bundestag, wie er die Sache mit TTIP sieht: "Wenn der Rest Europas dieses Abkommen will, dann wird Deutschland dem auch zustimmen. Das geht gar nicht anders." Das war ein Satz, der zu seinen vorherigen Versprechungen gar nicht passte, auch nicht zur Beschlusslage seiner Partei. Im Anhang zu Thilo Bodes Buch ist (als Teil der Korrespondenz von foodwatch mit Regierungsmitgliedern) eine dieser Versprechungen, in einem Brief Gabriels vom 31. Juli 2014, abgedruckt: "Das bestehende Schutzniveau im Gesundheits-, Lebensmittel- und Verbraucherbereich steht nicht zur Disposition." Nach einigen rhetorischen Achterbahnfahrten ist Gabriel soeben wieder bei dieser Aussage angelangt. Im SZ-Interview vom vergangenen Samstag garantiert er, es werde mit ihm und keine Herabsetzung der genannten Standards geben.

Aber was ist, wenn diese Standards in Deutschland oder in der EU erhöht werden sollen? Kann das Schadenersatzersatzansprüche von Investoren nach sich ziehen, die dann vor den umstrittenen Schiedsgerichten geltend gemacht werden können?

Bode schildert die Auswirkungen von TTIP auf seine Leib-und-Magen-Themen, den "Kampf ums gute Essen" und die Landwirtschaft; bedauerlicherweise klingt seine Kritik stellenweise weniger nach Analyse denn nach berechtigtem Frust über die Landwirtschafts- und Lebensmittelpolitik der EU. Konkreter, als Bode dies in seinen Beispielen tut, lassen sich die Vorbehalte gegen TTIP am Beispiel Datenschutz zeigen: Der liegt bekanntlich in den USA weit unter europäischem Niveau. Gabriel und Co. garantieren nun (siehe oben), dass der EU-Standard gesichert sei und durch TTIP keinerlei Abstriche gemacht würden. Aber: Die EU-Datenschutzgrundverordnung ist noch nicht in Kraft; und es kann gut sein, dass vorher TTIP in Kraft tritt. Sie soll datenschutzrechtliche Verbesserungen im Bereich der Privatwirtschaft bringen. Werden Investoren dann, auf den TTIP-Investorenschutz pochend, Schadenersatz wegen erhöhter datenschutzrechtlicher Anforderungen geltend machen können?

Die goldenen Aussichten, die die TTIP-Befürworter den deutschen Autobauern verheißen, hinterfragt Bode nicht weiter. Sie zählen in allen Diskussionen zu den Hauptargumenten für TTIP: Es sei so segensreich für die Autoindustrie, wenn es endlich zu einer gegenseitigen Anerkennung der technischen Standards käme, wenn die europäischen Autobauer also für den US-Markt nicht mehr geänderte Modelle produzieren müssten. Die Frage lautet: Fahren die Autos auf diese Weise nicht in eine US-Produkthaftungsfalle? Es ist nämlich ungewiss, ob die US-Justiz akzeptiert, dass nach Abschluss des TTIP-Abkommens EU-zertifizierte Fahrzeuge in den US-Markt gebracht werden. Es könnte gut sein, dass das US-Klägeranwälten eine neue Angriffsfläche bietet: Sie werden argumentieren, dass die EU-Autos nicht den gesetzlichen Mindestanforderungen des US-Marktes entsprächen. Ob solche Klagen per TTIP ausgeschlossen werden können ("preemption") ist zweifelhaft. Das heißt: Um gewaltige Haftungsrisiken auszuschließen, werden die EU-Hersteller weiter Fahrzeuge in den US-Markt bringen, die allein nach US-Standards zertifiziert sind . . . Man sieht, die Risiken gehen über die bekannten Argumente hinaus.

Thilo Bode hat eine eindrucksvolle Philippika geschrieben. Man wünscht sich, es gäbe einen TTIP-Befürworter, der es vermag, Positiva so packend zu schildern, wie dies Bode bei den Negativa gelingt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2406627
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 24.03.2015
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.