Die Finanzkrise und die SPD:Erkenntnisreiche Zwangsbeglückung

Der Abend, an dem die SPD ihre Vorschläge zur Rettung der Finanzwelt feiern will, gerät zu einer Aufklärung über eigene Fehleinschätzungen.

Thorsten Denkler, Berlin

Vom Band läuft Norah Jones, während im Atrium des Willy-Brandt-Hauses die Gäste auf ihre Gastgeber warten: Parteichef Franz Müntefering, Außenminister und Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier sowie, die Hauptperson des Abends, Finanzminister Peer Steinbrück sollen jeden Moment eintreffen.

Die Finanzkrise und die SPD: Finanzminister Peer Steinbrück geriet beim SPD-Forum zur Finanzkrise in Erklärungsnot

Finanzminister Peer Steinbrück geriet beim SPD-Forum zur Finanzkrise in Erklärungsnot

(Foto: Foto: ddp)

Es muss keinen tieferen Grund geben, dass Norah Jones gespielt wird. Aber ihre samtweiche Stimme könnte dazu verleiten, die ganze Sache mit der Finanzkrise nicht ganz so schwerzunehmen. Das ist zumindest ein schöner Gedanke.

Nun ja, die drei Gastgeber werden später jede Illusion zerstören. Die Krise ist schlimm. Sie ist sogar noch viel schlimmer. Aber keine Sorge: Die SPD hat die richtigen Antworten.

Der Grund des heutigen Treffens ist weniger die Analyse des Ist-Zustandes. Eine Arbeitsgruppe der SPD mit dem steifen Titel "Mehr Transparenz und Stabilität auf den Finanzmärkten" stellt ihre Ergebnisse vor. Das Ergebnis: ein 14-Punkte-Plan, wie die internationalen Finanzmärkte in Ordnung gebracht werden können. Im Kern haben die 14 Punkte zum Ziel, üble Finanzprodukte strenger zu reglementieren, Banker besser zu kontrollieren und Steueroasen auszutrocknen.

Das zieht offenbar seltenes Publikum in die SPD-Zentrale in Kreuzberg. Auffallend viele, die mit Schlips, Kragen und perfekt gebügeltem weißem Hemd das Kürzel einer deutschen Bank auf ihren Namensschildchen tragen.

Genugtuung über die "neue Zeit" im Finanzwesen

Kurt Beck, kürzlich zurückgetretener Parteichef, hat die Arbeitsgruppe vor knapp einem Jahr eingerichtet. Er muss dabei so etwas wie eine seherische Gabe gehabt haben. Anders ist kaum zu erklären, dass die Arbeitsgruppe ihre Vorschläge mitten in den Wirren einer Finanzkrise präsentiert, mit deren entgültiger Wucht vor wenigen Monaten noch kaum einer gerechnet hat.

Das mussten auch die Mitglieder der Arbeitsgruppe erfahren. Dem 27-köpfigen Gremium unter dem Vorsitz von Peer Steinbrück gehören neben Politikern, Gewerkschaftern und Wissenschaftlern pikanterweise auch Banker an, deren Mutter-Institute in den USA heute pleite sind. So schnell ist zuweilen Wirklichkeit.

Franz Müntefering betritt wie immer federnden Schrittes und seinen Mitstreitern einige Längen voraus das Atrium. Ein paar Hände schütteln in der ersten Reihe, dann eilt er umgehend zum Pult, noch bevor sich Steinbrück und Steinmeier gesetzt haben. Das geht so schnell, als gelte es in dieser Krise nur ja keine Zeit zu verlieren.

Über eine "neue Zeit" spricht Müntefering und verzieht dabei die Mundwinkel zu einem gerade noch erkennbaren Grinsen. Ein gewisse Überraschung spricht daraus, aber auch Genugtuung. Ein Feld, auf dem die SPD gerne behauptet, es schon immer besser gewusst zu haben.

Die "neue Zeit", sie bietet der SPD auch neuen Chancen. Kaum jemals zuvor haben so viele Marktliberale das Wort Verstaatlichung in den Mund genommen, als könne nur so das Weltfinanzsystem vor dem Kollaps gerettet werden. Gerhard Schröder hatte im Wahlkampf 2002 die Elbeflut. Läuft alles in Münteferings Sinne, hat die SPD für 2009 die Finanzkrise.

Lesen Sie auf Seite zwei, wie ein Abend, der zur Lobpreisung eigener Gewissheiten werden sollte, noch zu einem Abend der Aufklärung wurde.

Erkenntnisreiche Zwangsbeglückung

Kanzlerkandidat Steinmeier dreht dafür am ganz großen Rad. Was jetzt anstehe, doziert er, seit nichts Geringeres als die Herstellung einer "neuen Ordnung des internationalen Wirtschaftens".

Steinbrück hebt danach zu einem Lobgesang auf den deutschen Bankenplatz an, an dem die oft belächelten Sparkassen heute die Institute mit der "größten Verlässlichkeit" seien. Und fährt fort mit einem Schlag gegen jene Banker, die nicht nur nicht gewillt sind, sich unter den 480-Milliarden-Euro-Rettungsschirm des Bundes zu stellen, sondern dies überdies damit begründen, dass es für die Banken keine Anreize gäbe, den Schirm in Anspruch zu nehmen.

Steinbrück ist schon sonst nicht mit innerer Ruhe gesegnet. An dieser Stelle aber scheint es, als stünde ihm tatsächlich sein spärliches Haupthaar zu Berge: Es sei ebendieser Bankensektor selber gewsen, der nach einem solchen Rettungsschirm gerufen habe, erregt er sich. Das sei in Gesprächen mit Spitzenbankern klargeworden, in denen es zudem "keinen Mangel an Vorstößen" gegeben habe, angeschlagene Banken zu verstaatlichen.

Er hätte es jedenfalls "nie für möglich gehalten", dass diese Banken jetzt nach "Zwangsbeglückung" rufen.

Bevor aber die naheliegende Selbsterkenntnis um sich greifen kann, dass die Deutschland AG nur mit einem nationalen Bankenvorstand überleben kann, mit Steinbrück als oberstem Bankenvorstandsboss, trat ein gewisser Harald Schumann auf den Plan.

Harald Schumann, blondgelockt, schlackernder Anzug, hochgewachsen und somit physisch als auch mental auf Augenhöhe mit dem neben ihm stehenden Finanzminster, ist Journalist. Früher war er beim Spiegel, ganz früher bei der taz und heute beim Tagesspiegel. Seit 15 Jahren beschäfigt er sich mit Weltwirtschaft und Weltfinanzen. Sein jüngstes Buch heißt: "Der globale Countdown. Gerechtigkeit oder Selbstzerstörung - die Zukunft der Globalisierung."

Schumann hat an diesem Abend die Aufgabe, eine vierköpfige Expertenrunde zu moderieren mit Mitgliedern der Arbeitsgruppe. Namentlich genannt sollen hier Steinbrück und der SPD-Finanzexperte Joachim Poß sein.

Bumerang für Rot-Grün

Schumann, dass muss noch gesagt werden, gehört zu der Sorte Journalisten, die auch als Auftragsmoderatoren keine Auftragsfragen stellen. Es ging also gleich zur Sache. Vor einiger Zeit hätte an dieser Stelle Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann gestanden und über die Vorzüge von Hedgefonds und Derivaten für die Stabilität der Finanzmärkte gepredigt. Damals habe es doch recht großen Applaus der Anwesenden gegeben. Darunter fast ausnahmslos Sozialdemokraten. Ob denn die nicht auch etwas zu gutgläubig gewesen seien?, fragt Schumann.

Steinbrücks Antwort klang wie ein: "Hinterher ist man immer schlauer."

Ob es denn nicht gerade die rot-grüne Bundesregierung gewesen sei, die die heute als so gefährlich erachteten Finanzprodukte erst eingeführt habe?, fragt Schumann.

Steinbrück murmelt etwas von "Erkenntnis und Hochverrat ist eine Frage des Zeitpunktes", was auch als kleines Schuldeingeständnis gewertet werden kann. Seine Verteidigungslinie: Die heute zweifelhaften Finanzprodukte seien deshalb zweifelhaft, weil damit in großem Stil spekuliert worden sei.

Und Poß räumt ein, man könne der SPD vorwerfen, warum sie sich nicht intensiver damit beschäftigt habe.

Schumann schweigt auch nicht über Schröders ehemaligen Staatsminister im Kanzleramt, Hans Martin Bury, der heute beim deutschen Ableger der Pleitebank Lehman Brothers im Vorstand sitzt und Mitglied der SPD-Arbeitsgruppe ist. Er nennt auch Josef Ackermann, der beratend mit am Tisch saß, als Steinbrück das Rettungspaket formte.

Steinbrück will den darin versteckten Vorwurf nicht gelten lassen. Er brauche den Sachverstand der Handelnden "an Deck". Es müsse nur deutlich werden, wo die Interessen liegen. "Ich kann mir ja nicht einen Experten für Pollenflug bei Kirschblüten mit reinnehmen."

Es gibt noch viel Augenrollen während des weiteren Gespräches. Aber auch erstaunlich viel notgerungene Zustimmung zu den Thesen, die Schumann vorträgt. Am Ende gaben sich Steinbrück und Schumann noch die Hand. Doch ein Abend, der zur Lobpreisung eigener Gewissheiten werden sollte, geriet dank Schumanns Kreuzverhör zu einem Abend der Aufklärung. Vielleicht war genau das auch ganz gut so.

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