Die erste deutsche Mega-Church:"Hey, der Herr ist hier, wir geben ihm mal einen richtigen Applaus"

Wo der Heilige Geist lauert: Eine Kirchengemeinde in einem Stuttgarter Industriegebiet lockt jedes Wochenende Tausende in die Gottesdienste.

Matthias Drobinski

Wie er das schafft, dass er nicht von der Bühne fällt, so wie Peter Wenz da an der Kante steht. Wie er die Sohlen seiner glänzenden Schuhe über den Rand hinaus geschoben hat, die Hände und den hemdsärmligen Oberkörper rhythmisch zu seinen Zuhörern hin federn lässt, als wolle er gleich mit einem Sprung ins Publikum tauchen. ¸¸Hey, der Herr ist hier", ruft Pastor Wenz. ¸¸wir geben ihm mal einen richtigen Applaus!" Er legt den Kopf in den Nacken, blickt hinauf zur Hallendecke und hebt die Hände; 2300 Menschen klatschen mit ihm. Die Jugendlichen wie auf einem Popkonzert, viele Frauen und Männer mit geschlossenen Augen, einige Ältere bewegen ihre Hände verlegen in Brusthöhe. Die Stimmung ist gut, eine Viertelstunde schon hat die Lobpreisgruppe die Gläubigen mit Schlagzeug und Gitarre aufgewärmt. Und jetzt ist er da, Gott. ¸¸Halleluja", ruft Pastor Wenz. ¸¸Wer ist zum ersten Mal hier?" 30 Finger heben sich. Für die Neuen gibt es Gummibärchen.

Es ist ein trüber Wintertag, an dem auch treue Christen versucht sind, vom Bett aus den Herrn zu loben. Zudem ist der Stuttgarter Pragsattel keine anziehende Gegend: Sechsspurige Ausfallstraßen zerschneiden ein zusammengewürfeltes Industriegebiet. Umso mehr fallen die Menschen auf, die von der U-Bahn-Station Richtung Junghansstraße laufen; junge Leute, Familien, die Kinderwagen schieben.

Das Gospelforum der Biblischen Glaubens-Gemeinde (BGG) könnte auch die Fertigungshalle eines Unternehmens sein: ein vielleicht 20 Meter hoher Bau mit Flachdach und Glasfronten. Drinnen lotsen Platzanweiserinnen späte Besucher zu den letzten freien Stühlen. Am Sonntagmorgen kommen mindestens 2000 Menschen hierher, am Samstagabend und Sonntagnachmittag jeweils zwischen 800 und 1000, alle aus Stuttgart und Umgebung. In den evangelischen Landeskirchen kann man lange nach vergleichbarem suchen. Ins Gospelforum kommen mehr Beter als in den Berliner Dom, sagt die BGG stolz; die Predigten werden mittlerweile in 13 Sprachen übersetzt. Verglichen mit den Mega-Churches in den Vereinigten Staaten mit 20000 und mehr Besuchern ist das immer noch bescheiden. Aber die BGG lässt ahnen, wie sich die religiöse Landschaft auch in Deutschland verändern könnte.

"Hey, der Herr ist hier, wir geben ihm mal einen richtigen Applaus"

¸¸Kommen Sie ein paar Tage vor dem Gottesdienst zu mir", hat Peter Wenz gesagt, ¸¸am Sonntag wird es hektisch". Und so sitzt man schon am Donnerstag im Büro des Pfarrers. Wenz, heute 47, war gerade Medizinstudent bei der Bundeswehr in Freiburg geworden, als ihn, es war 1978, die ¸¸innere Begegnung mit Jesus" widerfuhr, ohne die eine evangelikale Glaubensgeschichte nun einmal nicht auskommt. An der Uni zeigten junge Christen einen Film über einen Landpastor, der mit Gottes Hilfe Jugendliche aus Brooklyn von Drogen befreite. ¸¸Entweder ist das der größte Bluff der Geschichte oder eine Kraft, die du noch nicht kennen gelernt hast", sagte sich der junge Katholik und suchte Kontakt zu der freikirchlichen Gruppe.

Er fing Feuer, brach das Studium ab, absolvierte ein freikirchliches Seminar. Und kam, gerade 28 Jahre alt, 1984 in eine sterbende Gemeinde in betulicher württembergisch-pietistischer Tradition. Paula Gassner hatte sie 1937 gegründet und über die NS-Zeit gerettet, 1964 baute die Gemeinde ein kleines Zentrum, wo heute die Büros der BGG sind. Nach dem Tod der strengen Gründerin 1981 waren keine 100 Gemeindemitglieder geblieben. Wenz tauschte die Orgel mit dem Schlagzeug und die Erbauungspredigt mit der hemdsärmligen Ansprache. 1987 waren 305 Leute im Gottesdienst, 1992 1000, seit 2001 steht das Gospelforum. Ein Wunder, sagt Pastor Wenz. Ein Sieg Gottes im Kampf gegen den Teufel.

An diesem trüben Sonntagmorgen predigt Christian Ziegler, dem Gott einen Klassiker ans Herz gelegt hat. Paulus an die Epheser, vom rechten christlichen Leben. ¸¸Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter wie dem Herrn Christus, denn der Mann ist das Haupt der Frau, wie auch Christus das Haupt der Kirche ist!" Ziegler steht nicht so weit vorne an der Rampe wie Wenz; seine Emotionen schlagen auch seltener Purzelbäume als die des BGG-Chefs. Ist nicht gegen die Frauen gerichtet, beruhigt er. Es ist aber eine alte Lebensweisheit, dass eine Ehe, die aus Machtkämpfen besteht, nicht gut geht. ¸¸Und schließlich verpflichtet die Bibel auch den Mann, sich zum Wohl der Frau und der Familie einzusetzen", weshalb in einer guten christlichen Ehe der Missbrauch des männlichen Primats ausgeschlossen sei.

Die Theologie der BGG ist schlicht: Es gilt, was in der Bibel steht. Die BGG tritt längst nicht so aggressiv, fundamentalistisch und politisch eindeutig auf wie die Glaubensgeschwister jenseits des Atlantiks, der Kern des Glaubens ist jedoch der gleiche: Alles steht in der Schrift, vom Anfang bis zum Ende der Welt. Hinzu kommt das Bewusstsein, dass der Heilige Geist praktisch immer im Gospelforum lauert, die Gläubigen zur religiösen Ekstase beflügelt, in Zungen reden lässt, Wunder bewirkt. ¸¸Das Theologisieren interessiert die Leute nicht", hat Pastor Wenz gesagt. ¸¸Gott hat Antworten für die, die suchen, nicht für die, die schon alles wissen." Und: ¸¸Gott hat gute Gedanken, er ist positiv." Zweifel sind da nur Zeichen der Schwäche.

Im Gegensatz dazu steht die Modernität der Form. Die Musik fetzt, die Predigten sind schlicht und eingängig, es gibt eine Betreuung für Kinder von der Geburt bis ins Teenager-Alter. Statt der Orgel gibt es ein fest installiertes Schlagzeug; der Altarraum ist zur Bühne geworden. Ein Kreuz fehlt - und darauf, dass das Vaterunser gebetet wird, wartet man vergebens. Dafür gibt es nach dem Gottesdienst für 3,50 Euro eine CD mit der gerade gehaltenen Predigt zu kaufen.

¸¸Und nun darf ich Euch eine wunderbare Frau vorstellen", ruft Peter Wenz. Sabine Wenz, seine Frau. Die ankündigt, dass es nach dem Gottesdienst ¸¸Fleischkäsbrötle" gibt, die um Spenden für Afrika wirbt (¸¸Wir spenden nicht Geld, wir retten Leben"), und um Teilnehmerinnen für den Frauentag. Männer deuten die Bibel, Frauen sind fürs soziale Netz zuständig. Es gibt kaum einen Bereich des Lebens, für den die Gemeinde kein Angebot hat. Es gibt eine eigene Jugendarbeit und einen christlichen Sportverein mit eigener Halle neben dem Gospel-Forum. Es gibt Gruppen für Alleinerziehende, einen eigenen Kindergarten, Arbeitslosenprojekte und eine Drogenhilfe; werktags sollen sich die Christen in Hauskreisen zusammenfinden. Das Milieu ähnelt dem katholischen Milieu der 20er und 30er Jahre: Auch die Katholiken schufen sich damals eigene Existenzformen parallel zu einer unverständigen Außenwelt.

"Hey, der Herr ist hier, wir geben ihm mal einen richtigen Applaus"

Es kommen die Menschen, die diese eigene Welt suchen. Weil sie Halt in klaren Glaubensgrundsätzen und einer wärmenden Gemeinschaft wollen, weil sie die liberale Außenwelt satt haben. Wie Cordula Wendschlag. 49 Jahre ist sie alt, in ihrem früheren Leben war sie bei den sozialistischen Falken, spielte politisches Theater, diskutierte in Frauengruppen - ¸¸ich war ziemlich links", sagt sie und lacht. Und unzufrieden mit dem Leben, ¸¸das so dahinging". Jetzt ist sie zufrieden, verheiratet, Mutter von zwei Kindern, und die Predigt von Jean Ziegler hat ihr aus dem Herzen gesprochen: ¸¸Das sind die Werte, die unserer Gesellschaft fehlen." Unterordnung - kein Problem, ¸¸ich bin selbstbewusst genug dafür."

Andere suchen noch mehr: Heilung. Ein Wunder. Während des Gottesdienstes gehen Frauen durch die Reihen und sammeln Zettel ein. Elmar, 61, Krebs. Albrecht, 42, Herzinfarkt, Wolfgang, 40, vom Bullen schwer verletzt, Gerhard, 71, inoperabler Lebertumor, Daniel, zwei Jahre, Morbus Crohn. Bittet für uns, auch gegen alle ärztliche Prognose.

Dauernd passieren ihm Wunder, sagt Peter Wenz. Die Frau, die an ihm vorbeihumpelt, doppelter Bänderriss. ¸¸Darf ich für Sie beten?" hat er gefragt, und während des Lobpreises sei ¸¸ein warmer Strom" durch sie gefahren, der Fuß war wieder belastbar. Oder das Mädchen, 12, mit Rückenschmerzen, fünf Freundinnen beteten für sie - weg war der Schmerz. Die vielen Paare mit Kinderwunsch. Die verschwundenen Krebstumore, Hautausschläge, Hörsturzfolgen. Gott greift ein, jetzt, hier, sofort.

Luigi Ceddia ist der berühmteste Geheilte der Gemeinde. 32 Jahre ist er jetzt alt und Leiter der italienischsprachigen BGG-Mitglieder. Er hatte Lymphdrüsenkrebs, Morbus Hodgkin, ¸¸die Ärzte behandelten mich nur noch mit Schmerzmitteln", erzählt er. Und dann, auf einmal, der Traum: Ich sterbe nicht, ich heirate. Und der Moment, in dem er ein großes Stück geronnenes Blut in eine Nierenschale spuckte und sich mit einem Mal besser fühlte und die Ärzte überrascht den Kopf schüttelten. Die Hodgkinsche Krankheit hat eine gute Prognose, Heilungen sind auch im fortgeschrittenen Stadium möglich. Aber Luigi ist überzeugt: ¸¸Gott hat geholfen". Und die ganze Gemeinde ist es mit ihm.

Solche Heilungsgeschichten wecken gerade bei verzweifelten Menschen unrealistische Erwartungen, hat Hansjörg Hemminger, Weltanschauungsbeauftragter der Württembergischen Landeskirche, kritisiert. Seitdem geht die Gemeinde vorsichtiger mit dem Thema um: ¸¸Uns ist es genauso wichtig, dass Menschen mit ihren Krankheiten leben lernen", sagt Wenz. Ansonsten stecke hinter der Kritik der Neid einer Kirche, der die Mitglieder wegliefen: ¸¸Ich glaube, es war der Fehler der evangelischen Kirche, die Emotion zu verbannen."

12 Uhr - zwei Stunden hat der Gottesdienst gedauert. Noch einmal treten 30 Frauen und Männer nach vorne und übergeben, untermalt von den Akkorden des Keyboards, ihr Leben demonstrativ dem Herrn. Man trifft sich noch ein bisschen im Foyer vor dem Gottesdienstraum, auch Tobias und Joachim, Jessica und Manuela, die Jugendlichen, zwischen 12 und 17 Jahre alt. Cool sei die Gemeinde, finden sie. Egal, was sie in der Schule über die ¸¸Fundis vom Pragsattel" sagen. Besonders, wenn eine der christlichen Rockgruppen spielt. Oder wenn sie dabei sind, wenn die Gläubigen wie in Trance sich selbst vergessen. Neulich hätten sie für einen gebetet, ¸¸den hat es voll umgehauen, der ist einfach umgekippt". Sowas erlebt man nur hier.

In einer Ecke sitzt Peter Wenz bei einem Fleischkäsbrötle, müde, verausgabt. Gleich hat er eine Stunde Ruhe, dann kommt der Nachmittagsgottesdienst. ¸¸Jeder vierte Christ ist inzwischen ein Charismatiker", sagt er. ¸¸Da stehen wir in Deutschland erst ganz am Anfang."

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