Die Energiewende der Regierung:Ausstieg in eine ungewisse Zukunft

Die Atomkraft hat keine Zukunft in Deutschland, so viel scheint sicher. Einen breiten gesellschaftlichen Konsens in der Atompolitik gibt es aber nur in den Wunschträumen der Kanzlerin. Die Details der Energiewende sind noch strittig: Wird das letzte AKW tatsächlich 2022 abgeschaltet? Wann gibt es ein Endlager? Und wie teuer wird die Umstellung auf erneuerbare Energien?

Thorsten Denkler

Die Atomfrage in Zukunft aus der politischen Auseinandersetzung heraushalten, das wäre der Bundeskanzlerin am liebsten. An diesem Freitag treffen sich erneut die Koalitionsspitzen, um über Einzelheiten zu beraten, am Montag soll das Kabinett die Energiewende beschließen. Zwar sagt Grünen-Chef Cem Özdemir, die Chancen für einen gesamtgesellschaftlichen Konsens seien jetzt greifbar, gleichzeitig misstrauen viele Grüne den Regierungsplänen und verlangen verbindliche Ausstiegszeitpläne für jedes einzelne AKW. Und die Energiekonzerne sehen ihre Wettbewerbsfähigkeit und die Stromversorgung gefährdet. sueddeutsche.de beantwortet die wichtigsten Fragen zum Thema Atomausstieg.

Brennelementesteuer bleibt erhalten

Bis 2022 will die schwarz-gelbe Regierung alle Atomkraftwerke abschalten. Die Details des Ausstieges sind allerdings noch strittig.

(Foto: dapd)

Ist 2022 wirklich Schluss mit Atomkraft?

Zumindest ist das sehr wahrscheinlich. Die schwarz-gelbe Regierungskoalition hat angekündigt, dass 2022 definitiv der letzte Meiler vom Netz genommen werden muss. Wie im rot-grünen Ausstiegsbeschluss sollen zwar Reststrommengen für die Atomkraftwerke vereinbart werden. Jedoch müssen die bis 2022 verbraucht sein. Ansonsten verfallen sie. Allerdings: Bis dahin wird es noch mindestens drei Bundestagswahlen geben. Jede neue Regierung kann den Ausstiegsbeschluss revidieren oder ändern. Unumkehrbar ist der Ausstieg schon deshalb nicht.

Wer muss dem Atomausstieg zustimmen?

Die Regierungskoalition scheint nicht auf die Zustimmung von SPD, den Grünen oder den Ländern im Bundesrat angewiesen sein zu wollen. Wenn alle mitmachen, wäre das aus Sicht von Schwarz-Gelb gut. Wenn nicht, auch gut. Eingebunden werden müssen aber die Atomkonzerne. Der Ausstiegsbeschluss beschneidet die Eigentumsrechte der Energieversorger. Das werden die nicht ohne Gegenleistung mit sich machen lassen.

Warum zieren sich die Grünen?

Der schwarz-gelbe Ausstiegsbeschluss bewegt sich auf der Linie des rot-grünen Ausstiegsbeschlusses aus dem Jahr 2000. Doch schon damals war der Kompromiss mit der SPD schwere Kost für viele Grüne. Das Motto "Ausstieg, und zwar sofort" ist zwar auch bei den Grünen nicht mehr mehrheits- weil nicht umsetzungsfähig. Doch sie wollen nach wie vor so schnell wie möglich raus aus der Atomenergie. Erst recht nach Fukushima. Nach ihren Berechnungen könnte das schon 2017 geschehen. Auch die von der FDP durchgesetzte kalte Reserve schmeckt den Grünen nicht. Vielleicht wird der endgültige Ausstieg aus der Atomkraft deshalb ohne die Zustimmung der größten Atomkraftgegner beschlossen.

Wie verhalten sich die Sozialdemokraten?

Die SPD ist zwar gegen Atomkraft, versteht sich aber auch als Infrastrukturpartei. Sichere und billige Stromversorgung gehört zum Markenkern der sozialdemokratischen Energiepolitik. Darum haben sie weniger Probleme mit dem schwarz-gelben Ausstiegsbeschluss als die Grünen. SPD-Chef Sigmar Gabriel signalisierte bereits, dass seine Partei möglicherweise zustimmen werde. Allerdings wird dies wohl maßgeblich davon abhängen, ob die SPD noch einen erkennbaren Einfluss auf die Ausgestaltung der Energiewende hat.

Wann gibt es ein Endlager?

Diese Frage ist nach wie vor völlig ungeklärt. So langsam zeichnet sich immerhin ab, dass auch die Politiker von Union und FDP nicht mehr kategorisch an Gorleben als möglichem Endlager festhalten wollen. Die von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) eingesetzte Ethikkommission empfiehlt in ihrem Abschlussbericht, die Suche nach einem Endlager zu starten. Wenn es einen Konsens mit der Bevölkerung geben soll, dann kommt die Bundesregierung nicht umhin, die Suche auf andere Standorte auszuweiten und so transparent wie möglich zu gestalten. Für ein solches Verfahren könnte die Schweiz als Vorbild dienen: Sie suchen bürgernah mit klar definierten Kriterien in einem mehrstufigen Verfahren nach Standorten. Schon in zehn Jahren peilen sie eine Volksabstimmung über den Endlagerstandort an.

FDP will Alt-AKW als kalte Reserve

Ein Altmeiler als kalte Reserve für schlechte Tage - geht das?

Die Idee, einen der sieben Altmeiler, die jetzt für immer vom Netz bleiben sollen, als eine Art kalte Reserve einzusetzen, stammt von der FDP. Sie konnte sich nicht durchsetzten mit der Forderung, auf ein Enddatum zu verzichten und stattdessen einen zeitlichen Korridor zu definieren. Jetzt soll zur Sicherung der Stromversorgung in Zeiten ohne Sonne und ohne Wind ein Alt-AKW notfalls wieder hochgefahren werden können.

Realistisch ist das nicht. Ein kaltes AKW braucht gut drei Tage, bis es wieder einsatzbereit ist. Deshalb gehören Atomkraftwerke seit eh und je zu den Trägern der sogenannten Grundlast. Um Leistungsspitzen abzudecken werden Gaskraftwerke oder Pumpspeicherkraftwerke eingesetzt, weil die nahezu umgehend ans Netz gebracht werden können, wenn irgendwo mal nicht ausreichend Wind bläst.

Wie schnell können die Atomkraftwerke durch erneuerbare Energien ersetzt werden?

Wenn es nur um den Atomausstieg geht, kann das rein technisch gesehen sehr schnell gehen. Bis 2017, einige Studien sagen sogar bis 2014 könnte die Atomkraft vollständig ersetzt werden. Alle AKW in Deutschland zusammen erbringen eine Leistung von 20 Gigawatt. Derzeit werden bereits Gas- und Kohlekraftwerke gebaut, die zusammen eine Leistung von zehn Gigawatt erbringen. Bleibt eine Lücke von zehn Gigawatt für erneuerbare Energien. Schon allein die geplanten Off-Shore-Windparks in der Nordsee bringen diese Leistung.

Die 20 Gigawatt Atomstrom allein durch erneuerbare Energien zu ersetzen ginge technisch zwar auch, würde aber den Strompreis wohl kurzfristig dramatisch in die Höhe treiben. Darum gehen Experten davon aus, dass bis spätestens 2025 die Erneuerbaren gut 50 Prozent der deutschen Stromproduktion zu einem dann akzeptablen Preis übernehmen können. Dann wären neben den Atom- auch Kohlekraftwerke überflüssig

Stehen nicht die Klimaziele in Frage, wenn neue Gas- und Kohlekraftwerke gebaut werden?

Nicht direkt. Die Gas- und Kohlekraftwerke würden ohnehin gebaut. Sie sorgen für den nötigen Puffer, um den Ausbau der erneuerbaren Energien schneller vorantreiben zu können. Je schneller das passiert, desto eher können auch die Kohlekraftwerke vom Netz genommen werden beziehungsweise kann auf einen Neubau weiterer CO2-Schleudern verzichtet werden. Das größte Klimaschutzpotential steckt ohnehin in den Gebäuden mit ihren oft überalterten Heizanlagen und schlechter Isolierung. Etwa 40 Prozent des gesamten Endenergieverbrauchs wird in Deutschland dafür verwendet, dass es im Wohnzimmer auch im Winter kuschelig warm ist und stets heißes Wasser aus dem Hahn kommt. Um gut die Hälfte kann der Endenergieverbrauch mit einer energetischen Sanierung reduziert werden.

Ist der Ausstieg teuer erkauft?

Darüber gibt es unterschiedliche Ansichten. Die einen rechnen vor allem die direkten Kosten für den Umbau der deutschen Kraftwerkslandschaft. Dazu zählen der Neubau von Stromtrassen, um Windenergie vom Norden in den Süden transportieren zu können. Der Neubau von Windkraftparks, Photovoltaikanlagen und Stromspeichern, Investitionen in Energieeffizienz. Auf 40 bis 50 Milliarden Euro werden diese Kosten geschätzt. Es kursieren aber auch Zahlen von bis zu 140 Milliarden Euro.

Allerdings werden dabei nicht die möglichen postiven Effekte gegengerechnet. Ein steigender Strompreis ist dann nicht relevant, wenn entsprechend weniger Strom verbraucht wird. Der zu erwartende Boom bei den erneuerbaren Energien wird erheblich zum Wirtschaftswachstum des Landes beitragen. Unterm Strich also könnte der Umbau mehr Gewinn bringen als er kostet. Das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) prognostiziert einen solchen volkswirtschaftlichen Nutzen von mehreren hundert Milliarden Euro bis zum Jahr 2050.

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