Die Bundeskanzlerin und der Irak-Krieg:Als Merkel zur Kriegsskeptikerin wurde

Mit Gerhard Schröders kompromisslosem Nein zu einem militärischen Eingreifen im Irak ging Angela Merkel vor zehn Jahren hart ins Gericht. Doch die Irak-Erfahrungen, das Versagen der USA, für Demokratie und Sicherheit zu sorgen, lassen die Kanzlerin heute militärisch zögern.

Von Daniel Brössler

Auf die Frau, die später einmal deutsche Bundeskanzlerin werden sollte, konnten außenpolitisch interessierte Amerikaner bereits am 20. Februar 2003 aufmerksam werden. Unter der Überschrift "Schröder spricht nicht für alle Deutschen" erschien ein Gastbeitrag der CDU-Vorsitzenden und deutschen Oppositionsführerin in der Washington Post. Angela Merkel ging in dem Kommentar hart ins Gericht mit der damaligen rot-grünen Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder.

"Die wichtigste Lektion der deutschen Politik - nie wieder deutsche Alleingänge - wird mit scheinbarer Leichtigkeit von einer Bundesregierung beiseitegewischt, die genau das aus wahltaktischen Gründen getan hat", kritisierte Merkel damals Schröders kompromissloses Nein zu einem militärischen Eingreifen im Irak. "Jeder, der militärisches Handeln auch als letztes Mittel ausschließt, schwächt den Druck, der auf Diktatoren ausgeübt werden muss und macht Krieg nicht unwahrscheinlicher, sondern wahrscheinlicher", schrieb Merkel.

Die CDU-Chefin hatte sich nicht ausdrücklich für einen Krieg gegen Saddam Hussein ausgesprochen oder gar eine deutsche Beteiligung gefordert, der unvergessene Artikel erleichtert es der SPD dennoch, den deutschen Teil der Geschichte des Irak-Krieges als eine von Licht und Schatten zu erzählen. In der vergangenen Woche feierte die SPD-Bundestagsfraktion Gerhard Schröder ganz in diesem Sinne als Friedenskanzler.

Eine CDU-Regierung hätte sich am Irak-Krieg beteiligt - sagt die SPD

"Wir wollen den zehnten Jahrestag des Irakkrieges nutzen, um noch einmal an die klare Haltung zu erinnern, die wir damals angenommen haben: eine Haltung des Mutes und der Verantwortung", sagte Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. Die damalige Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul wiederholte in einem Beitrag für die Homepage der Sozialdemokraten noch einmal den Vorwurf, der Merkel schon damals verfolgt hatte: "Mit Fug und Recht kann man behaupten, unter Führung einer Bundesregierung Angela Merkels und der CDU hätte Deutschland sich an diesem Krieg beteiligt."

Wirklich belegen lässt sich dieser Vorwurf nicht. Offenkundig aber ist, dass Merkel sich in eine Position des Widerspruchs zu jenen 80 Prozent der Bundesbürger gewagt hatte, die Schröders kategorisches Nein zu militärischen Mitteln für richtig hielten. Schröder hatte sich im Wahlkampf 2002 auf dieses Nein festgelegt. "Deutschland wird sich unter meiner Führung an einer militärischen Intervention im Irak nicht beteiligen", hatte er auf deutschen Marktplätzen gelobt.

Das trug zum einen bei zum rot-grünen Wahlerfolg und erleichterte nach der Wahl die Standfestigkeit gegenüber den amerikanischen Verbündeten. Berühmt wurde das "Ich bin nicht überzeugt", das der grüne Außenminister Joschka Fischer während der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2003 US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld entgegenschleuderte.

"Kultur militärischer Zurückhaltung"

Acht Jahre nach Beginn des Irak-Krieges waren es dann Merkel und ihr FDP-Außenminister Guido Westerwelle, die einer militärischen Intervention zumindest ein Ja verweigerten. Gegen den Rat ihrer Beamten hatten sich beide zu einer Enthaltung bei der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat über eine Flugverbotszone über Libyen entschlossen.

Ungeachtet der höchst unterschiedlichen Umstände müssen dabei die prägenden Erfahrungen der Irak-Auseinandersetzung eine Rolle gespielt haben. Am vordergründigsten jene, dass mit einem Nein zum Krieg in Deutschland Wahlen vielleicht nicht unbedingt gewonnen, mit einem Ja aber sicher verloren werden können. Immerhin standen wichtige Landtagswahlen an.

Hinzu kommen die ernüchternden Fakten aus dem Irak, sowohl den Kriegsgrund als auch das Kriegsziel betreffend. "Die Gefahr aus dem Irak ist nicht fiktiv, sondern real", hatte Merkel in ihrem Beitrag für die Washington Post geschrieben. Später musste sie erkennen, dass die Chemiewaffen eine Fiktion gewesen waren. Als ebenso enttäuschend erwies sich das Versagen, für Demokratie und Sicherheit im Irak zu sorgen. Das Kriegsziel blieb verfehlt.

Merkel sieht den Einsatz militärischer Mittel heute mit großer Skepsis

Überdies steckt Merkel, wie der gesamten politischen Klasse, die afghanische Erfahrung in den Knochen, wo in mehr als zehn Jahren von westlichen Truppen weder Frieden erzwungen noch die Basis für wirkliche Demokratie geschaffen werden konnte. Auch zehn Jahre nach ihrem Artikel in der Washington Post lehnt Merkel den Einsatz militärischer Mittel zwar nicht grundsätzlich ab, sieht ihn aber mit großer Skepsis.

Das begründet nicht gleich eine Doktrin, fügt sich aber doch zu einem Bild. Merkel will, wo immer möglich, örtliche Kräfte "ertüchtigen", für Stabilität zu sorgen - in der Praxis vor allem durch Waffenlieferungen. Wo nötig, ist sie auch zu logistischer Hilfe bereit wie gerade beim französischen Eingreifen in Mali. Ansonsten aber gilt jene "Kultur militärischer Zurückhaltung", die Außenminister Westerwelle predigt. Das ist keineswegs nur, aber auch eine Folge der Auseinandersetzung um den Irakkrieg.

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