Süddeutsche Zeitung

Die Bischöfe und die AfD:Verirrte Schafe am rechten Rand

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Die Kirchen suchen ihre Haltung zu den AfD-Anhängern, die mit christlichen Werten argumentieren. Auch der Vatikan hat sich schon eingeschaltet.

Von Matthias Drobinski, Schöntal/München

Frau Petry? Man sieht dem Münchner Kardinal Reinhard Marx an, dass er die Frage nach der AfD-Vorsitzenden gar nicht mag. Eine steile Falte zeigt sich auf der Stirn des Bischofskonferenzvorsitzenden, seine Wangen röten sich. Er raunzt, dass es durchs barocke Kloster Schöntal hallt: "Wir reden hier über die AfD, und jede Woche ersaufen die Leute im Mittelmeer!" "Das sind die Prioritäten!", schiebt er nach. Der Grund für den Ausbruch ist ein Interview, das Frauke Petry der Stuttgarter Zeitung gegeben hat. Sie halte "die Position der Kirche in der Flüchtlingspolitik für verlogen", hat sie da gesagt, und dass "einige Amtsträger der deutschen Kirchen ihre Stimme offenbar mehr für Muslime als für die eigenen Glaubensbrüder" erhöben. Stimmt doch gar nicht, schimpft der Kardinal: "Wir tun als Kirche alles, um allen zu helfen."

Die beiden Kirchen sind inzwischen die treuesten Verbündeten von Angela Merkel

Zu behaupten, dass ein tiefer Graben die AfD und die christlichen Kirchen in Deutschland trennt, ist eine Untertreibung. Auf ihrer Frühjahrsversammlung in Schöntal hat die katholische Bischofsversammlung noch einmal erklärt, dass sie gegen Obergrenzen bei den Flüchtlingszahlen ist; dass die Kirche den Flüchtlingen helfen muss, trotz aller Schwierigkeiten, "sonst geben wir unsere Identität auf", wie Kardinal Marx sagt. In der evangelischen Kirche klingt das nicht anders: Die beiden Kirchen mit ihren fast 50 Millionen Mitgliedern sind inzwischen die treuesten Verbündeten von Angela Merkels "Wir schaffen das"-Politik. Die AfD setzt dagegen auf Abschottung, geschlossene Grenzen und die Sicherung des Eigenen statt der Solidarität mit Armen und Fremden - aus Sicht der Bischöfe ist das unchristlicher Egoismus, garniert mit fremdenfeindlichen Tönen.

Zunehmend wird aus der unterschiedlichen Weltwahrnehmung handfester Streit. In Erfurt lässt seit Oktober der dortige katholische Bischof Ulrich Neymeyr jedesmal das Licht am Dom löschen, wenn auf dem Patz davor die AfD mit dem Polemiker Björn Höcke an der Spitze demonstriert - Höcke nannte daraufhin den Bischof einen "Hobby-Politiker". Heinrich Bedford-Strohm, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, warf der AfD "menschliche Kälte" vor. Der Berliner evangelische Bischof Markus Dröge stellte infrage, dass AfD-Vertreter in Kirchengemeinderäten vertreten sein dürften, wenn die Partei sich weiter nach rechts entwickle. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken hat sich da schon entschieden: Im Mai, beim Katholikentag in Leipzig, sind AfD-Vertreter dezidiert nicht auf die Podien geladen.

Für die AfD ist das vor allem im Westen ein Ärgernis, wo die Partei auch als Hüterin des christlichen Abendlandes samt seiner Werte gesehen werden möchte und versucht, unter konservativen Christen Anhänger zu gewinnen. Tatsächlich sind in diesen Kreisen Radikalisierungstendenzen zu beobachten: Man fühlt sich von der Politik übersehen und von den Medien diffamiert - setzt aber selber mit einiger Aggressivität Kritiker unter Druck. Es gibt, wie eine interne Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung im Juni 2015 feststellte, Verbindungen zu rechten Gruppen; Vertreter der Szene sind auch schon zum Familienkongress nach Moskau gereist, um Präsident Wladimir Putin als Retter vor Homo-Ehe und Sittenverfall zu preisen.

Das Wählerpotenzial für die AfD bleibt dennoch begrenzt. Es verbindet die Wut aufs angeblich linke Establishment und die Angst vor dem Islam. Oft aber treiben die christlichen Konservativen andere Themen um: Ihnen geht es um Abtreibung, Homosexualität, Familie, den Verlust traditionellen Glaubenswissens und der Moral - da tun sich auch bei machen AfD-Vertretern Lücken auf. Und dann haben sich auch konservative Kirchenvertreter klar vom Rechtspopulismus distanziert, der Passauer katholische Bischof Stefan Oster genauso wie der evangelische Bischof von Dresden, Carsten Rentzig: Die teils latente, teils offene Fremdenfeindlichkeit von AfD-Vertretern ist auch aus ihrer Sicht abzulehnen. Aus Rom hat sich jetzt gar Erzbischof Georg Gänswein gemeldet und vor der AfD gewarnt, aber auch gesagt: "Populistisches Handeln hat immer dann große Anziehungskraft, wenn Menschen den Eindruck gewinnen, dass ihre Sorgen und Ängste nicht ausreichend ernst genommen werden."

Für die katholischen wie evangelischen Pfarrer und Bischöfe stellt sich aber zunehmend die Frage: Wie umgehen mit den verirrten Schafen von der AfD, von denen im Westen viele zumindest laut Lohnsteuerkarte Kirchenmitglied sind? Sie ignorieren? Oder doch mit ihnen reden, streiten, um sie zurückzugewinnen? Auch diese Frage ließ im Kloster Schöntal die Falte auf der Stirn von Kardinal Marx tiefer werden: Nein, grundsätzlich ausschließen solle man solche Gespräche nie, grummelte er. Er wisse aber nicht, was das jetzt bewirken solle.

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SZ vom 20.02.2016
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