Die Atomkraft und die Union:Merkel und der Atomschwenk

Wie bringt man der Partei und der Öffentlichkeit bei, warum eine über Jahrzehnte gepflegte, als richtig erachtete Politik nun falsch ist? Der Atomschwenk zwingt die Kanzlerin zum großen Auftritt - sie könnte von Joschka Fischer lernen. Allerdings nicht von Gerhard Schröder.

Stefan Braun

Joschka Fischer musste es tun, Gerhard Schröder musste es, und Angela Merkel wird es nun auch müssen. Die Kanzlerin steht vor einer Aufgabe, die sich im Frühjahr 1999 dem grünen Außenminister und vier Jahre später dem sozialdemokratischen Kanzler gestellt hat. Es geht um die Frage, wie man der Partei und der Öffentlichkeit beibringt, dass und warum eine über Jahrzehnte gepflegte, von der eigenen Truppe als richtig erachtete Politik falsch ist. Fischer musste den Grünen den Bundeswehreinsatz im Kosovokrieg erklären. Schröder kämpfte mit den Sozialdemokraten, um die Agenda 2010 durchzusetzen.

Angela Merkel (bei der Turn-EM 2011 in Berlin): Lernen vom Ex-Außenminister Fischer

Angela Merkel (bei der Turn-EM 2011 in Berlin): Lernen vom Ex-Außenminister Fischer

(Foto: dapd)

Und Merkel muss nicht nur ihre Partei vom neuen Atomkurs überzeugen. Sie muss der Öffentlichkeit glaubhaft machen, dass der Schwenk nicht Taktik, sondern ernst gemeint ist. Gelingt das nicht, wird sich ihre Glaubwürdigkeit nicht mehr erholen.

Sicher, die Zeiten werden immer hektischer. Regierungen müssen immer schneller Probleme lösen. Selbst der Wähler wechselt immer flexibler die Seiten. So gesehen überrascht es wenig, dass auch die Parteien heute oft mit quietschenden Reifen auf Kurvenfahrt gehen.

Vorbilder Schröder und Fischer

Doch wenn jetzt, vier Wochen nach dem Atomunglück von Fukushima und zwei Wochen nach dem Machtverlust im Südwesten immer mehr Christdemokraten erklären, mit der angekündigten Energiewende habe die taumelnde schwarz-gelbe Koalition endlich ihr ganz großes, ja identitätsstiftendes Thema gefunden, so ist das, gelinde gesagt, nicht mehr als eine unverschämt kühne Hoffnung. Bevor die Menschen Merkels Regierung den neuen Kurs abnehmen, müssen sie von deren Redlichkeit überzeugt werden. Unmöglich ist das nicht. Aber es verlangt von der Kanzlerin etwas, das sie als Kanzlerin noch nie gemacht hat: offen und mit vollem Einsatz vor die Menschen zu treten.

Dabei kann sie auf historisches Anschauungsmaterial zurückgreifen. Joschka Fischer hat gezeigt, wie man das schaffen kann; an Schröder könnte sie studieren, wie man an so einer Aufgabe scheitert. Als Rot-Grün sich wenige Monate nach der Koalitionsbildung am Krieg auf dem Balkan beteiligte, begann Fischer mit großem Einsatz, dafür in der eigenen Partei zu werben. Dies gipfelte in der Farbbeutelattacke auf dem Sonderparteitag in Bielefeld - was natürlich nicht stilbildend sein soll, aber die Dimension der Gegnerschaft zeigte.

Basta war schädlich

Dieser parteiinterne Großkonflikt schadete den Grünen nicht. Für die übergroße Mehrheit der Menschen lebte die Partei eine innere Zerrissenheit vor, die viele von sich selbst nur allzu gut kannten. Das hat den Grünen nach der Abstimmung von Bielefeld jene besondere Glaubwürdigkeit beschert, die sie nach dem Kursschwenk zum Erfolg brauchten.

Das Gegenmodell lieferte Gerhard Schröder. Über seine Agendapolitik stimmte zwar auch ein Sonderparteitag ab. Anders als bei Fischer aber prägte sehr früh Schröders "Basta", ausgesprochen vor Gewerkschaftern, die Debatte, und des Kanzlers weitere Ausstrahlung. Er benahm sich wie Bismarck, nicht wie ein mit seiner leidenden Partei ringender Vorsitzender. Selten hat ein einziges Wort eine politische Großdebatte so überlagert und einen Kanzler in letzter Konsequenz so wehrlos gemacht gegen seinen Absturz.

Für Merkel ergibt sich daraus eine klare Botschaft. Es bleibt ihr nichts anderes übrig, als mit offenem Visier am besten auf Regionalkonferenzen und einem abschließenden Parteitag für die Energiewende einzutreten. Nur so können die Menschen transparent und mehrfach erleben, ob es ihr ernst ist. Kein Testen mehr, keine Halbwahrheiten, stattdessen ein klarer Ausstiegsbeschluss unter Offenlegung aller Konsequenzen. Dann und nur dann kann für die Union daraus eine Chance werden. Bei den Menschen könnte das Gefühl wachsen, dass eine Kanzlerin sie regiert und nicht eine Expertin für politische Taktik.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: