Süddeutsche Zeitung

Die Anfänge:Von Adenauer bis Kiesinger

Westbindung, Wiederaufbau und erste Wirtschaftsflauten - das waren die wichtigsten Themen der ersten drei Kanzler der Republik, allesamt gestellt von der CDU.

Markus Schulte von Drach

Konrad Adenauers Regierungserklärung vom 20. September 1949

Der zeitgeschichtliche Kontext

Als Konrad Adenauer am 15. September 1949 zum ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt wurde, litt die Bevölkerung Deutschlands im Westen und Osten noch stark unter den Folgen des Krieges: zerstörte Infrastruktur, Flüchtlingselend, Millionen von Arbeitslosen.

Deutschlands Teilung war besiegelt: Die westlichen Alliierten hatten in ihren Besatzungszonen die Demokratie wieder eingeführt, während sich in der sowjetischen Besatzungszone ein zweiter deutscher Staat nach dem sozialistischen Strickmuster bildete.

Zwar war der Zweite Weltkrieg vorbei, doch der Kalte Krieg hatte schon begonnen. Für die erste Bundesregierung stellte sich vor allem die Frage, ob man sich mit den westlichen Staaten verbünden sollte oder ob es geraten wäre, sich unter Rücksichtnahme auf das "gesamtdeutsche" Interesse neutral zu verhalten.

Die Botschaft

Bundeskanzler Konrad Adenauer machte bereits in seiner ersten Regierungserklärung seinen Wunsch nach einer Westbindung der Bundesrepublik deutlich: "Es besteht für uns kein Zweifel, dass wir [...] zur westeuropäischen Welt gehören."

Weitere wichtige Punkte waren der Wiederaufbau und die Neu-Organisation des Lebens nach dem Krieg sowie das Zusammenleben der verschiedenen Bevölkerungsgruppen. So war es unter anderem notwendig, Millionen von Flüchtlingen aus den früheren deutschen Ost-Gebieten zu integrieren.

Auf Drängen des kleinen Koalitionspartners Deutsche Partei (DP) erklärte Adenauer, die Denazifizierung sollte sich in Zukunft nur noch auf die Bestrafung der "wirklich schuldigen" Nationalsozialisten beschränken.

Zugleich kündigte er an, die Regierung werde die Frage einer Amnestie prüfen.

Wichtig war es Adenauer auch zu erklären, warum es zur Bildung einer Koalition zwischen den Unionsparteien, der FDP und der DP gekommen war.

Hintergrund war eines der damals wichtigsten Themen in Deutschland: die Frage nach dem zukünftigen Wirtschaftssystem. Eine große Koalition, so Adenauer, wäre die Zusammenarbeit zwischen Befürwortern der sozialen Marktwirtschaft (CDU und CSU) und Befürwortern (SPD) der Planwirtschaft gewesen - was nicht dem Willen des Volkes entsprochen hätte.

Bereits in der ersten Regierungserklärung einer bundesdeutschen Regierung ging es auch um Steuersenkungen: "Die jetzigen überhöhten Steuersätze führen in der Wirtschaft zu unwirtschaftlichem Verhalten, sie hindern die Rationalisierung der Betriebe und damit die Preissenkung für die erzeugten Waren. Eine Senkung der Einkommenssteuer ist nicht nur steuerpolitisch, sondern auch wirtschaftspolitisch absolut notwendig." Bereits für 1950 kündigte Adenauer eine umfassende Steuerreform an.

Die Bilanz

Unter Adenauer kam es zu einer Integration Deutschlands in Westeuropa - sowohl verteidigungs- als auch wirtschaftspolitisch - und einer starken Annäherung an den früheren Erzfeind Frankreich. Das waren Entwicklungen, die letztendlich die Grundlage für die spätere Europäische Union bildeten.

1955 wurde die Bundesrepublik in die Nato aufgenommen. Im selben Jahr gelang es Adenauer, trotz seines starken Konfrontationskurses gegenüber der DDR und der Sowjetunion, Moskau zur Freilassung der letzten deutschen Kriegsgefangenen zu bewegen.

Vor dem Hintergrund einer weltweiten Hochkonjunktur und in Verbindung mit dem Marshallplan kam es zum schnellen Wiederaufbau und zum "Wirtschaftswunder". Die Regierung setzte soziale Reformen und die große Rentenreform von 1957 durch.

Während die Politik der Regierung als Erfolg wahrgenommen wurde, geriet der Kanzler aufgrund seines autoritären Stils zunehmend unter Druck. Schließlich kürte die CDU 1963 Ludwig Erhard, Wirtschaftsminister in Adenauers Kabinett seit 1949, zum Nachfolger des Kanzlers.

Erhard galt als "Vater des Wirtschaftswunders" und erfreute sich großer Beliebtheit in der Bevölkerung. Allerdings war es mit dem Wunder inzwischen nicht mehr so weit her. Anfang der 60er Jahre kam es zu einer Abschwächung der Konjunktur.

Ludwig Erhards Regierungserklärung vom 18. Oktober 1963

Der zeitgeschichtliche Kontext

Nach mehr als zehn Jahren mit Konrad Adenauer als Bundeskanzler mehren sich die Stimmen, die nach einer Wachablösung des greisen Regierungschefs rufen.

Die FDP sammelt bei der Bundestagswahl 1961 mit einem Anti-Adenauer-Wahlkampf viele Stimmen - wählt ihn aber dennoch ein weiteres Mal zum Kanzler, wenn auch nur noch für zwei Jahre.

Die Spiegel-Affäre vom Oktober 1962 schädigt den angeschlagenen Kanzler weiter: Viele Bürger sehen in dem Vorgehen der Bundesregierung gegen das Hamburger Nachrichtenmagazin eine ernste Bedrohung der Pressefreiheit und des Rechtsstaates.

Die Wirtschaft wächst zwar weiter, die Wachstumsraten sinken allerdings. Die deutsche Teilung wird durch den Mauerbau im August 1961 manifestiert. Die Kuba-Krise zwischen den Supermächten USA und Sowjetunion bringt die Welt an den Rand eines Atomkrieges.

Die Botschaft

Als Erhard die Nachfolge Adenauers antrat, betrachtete der neue Kanzler in seiner Regierungserklärung am 18. Oktober 1963 die materiellen Kriegsfolgen als weitgehend überwunden: "Die Nachkriegszeit neigt sich dem Ende zu".

Nun, so warnte Erhard, stiegen die Ansprüche der einzelnen Interessengruppen an den Staat stark an, während das Gemeinwohl in den Hintergrund gerate. So gut ging es den Deutschen inzwischen sogar, dass Erhard ihnen eine "Stimmung des Sich-selbst-Bemitleidens und eines selbstquälerischen Pessimismus" vorhielt.

Der Bundeskanzler sah die Notwendigkeit einer neuen Sozialgesetzgebung mit dem Ziel der Chancengleichheit und einer Neuregelung der gesetzlichen Krankenversicherung. Außerdem kündigte er eine baldige Finanzreform an.

Relativ wenig Raum nahm in der Erklärung die Außenpolitik ein. Die Deutschland-Frage sei eine der Hauptursachen für die Spannungen in der Welt, erklärte Erhard, und fügte Bekenntnisse zur Nato, zu den USA, und zu Frankreich an.

Für Erhard waren - anders als für Adenauer - die Beziehungen zu den USA wichtiger als zu Frankreich.

Die Bilanz

Ludwig Erhard hatte das Amt des Bundeskanzlers mit großen Vorschusslorbeeren übernommen. Als Regierungschef konnte er aber nicht annähernd an seine Erfolge als Wirtschaftsminister anknüpfen. Im Gegenteil: Die Wirtschaft stagnierte, ihre Investitionskraft war geschwunden, die Steuereinnahmen gesunken, es kam zur Massenarbeitslosigkeit.

Bis zum Dezember 1966 waren 370.000 Menschen ohne Arbeit. Der Haushalt für das Jahr 1967 wurde mit drei Milliarden Mark überschuldet. Um die Überschuldung auszugleichen plante die Union Steuererhöhungen, die von der FDP jedoch abgelehnt wurden. Die schwarz-gelbe Koalition zerbrach.

Kurt Georg Kiesingers Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966

Der zeitgeschichtliche Kontext

Am Ende der Sechziger Jahre war in Deutschland eine gewisse Ernüchterung eingekehrt. Das Wirtschaftswachstum der "langen Fünfziger Jahre" war unwiderruflich vorbei. Erstmals gab es eine Rezession in der Bundesrepublik.

Auf der anderen Seite ist nicht nur in Deutschland der Fortschrittsglaube ungebremst. Zum Sinnbild für die neuen technischen Möglichkeiten wird die US-amerikanische Landung auf dem Mond 1969.

Die Botschaft

Die Regierung unter Kanzler Erhard bezeichnete dessen Nachfolger Kiesinger bei seinem Amtsantritt als "lange, schwelende Krise". Seine neue Regierung hielt Kiesinger für einen "Markstein in der Geschichte der Bundesrepublik."

In seiner Erklärung beschäftigte er sich vor allem mit den Finanz- und Wirtschaftsproblemen. Seine wichtigsten Punkte waren die Ordnung der öffentlichen Haushalte, eine ökonomische, sparsame Verwaltung, das Wachstum der Wirtschaft und die Stabilität der Währung.

Darüber hinaus machte sich der neue Kanzler für ein Mehrheitswahlrecht stark, um in Zukunft die Bildung von Koalitionen zu vermeiden.

Kiesinger übte heftige Kritik an den früheren - immerhin Unions-geführten - Regierungen. So warnte er vor zu erwartenden großen Deckungslücken im Haushalt aufgrund mangelnder Vorausschau.

Eine zu große Nachgiebigkeit gegenüber Interessengruppen und eine Überschätzung der Möglichkeiten der Regierung hätten zur Überschuldung des Staatshaushaltes geführt.

Es habe der politische Mut zu Einschnitten gefehlt, warf Kiesinger seinen Vorgängern vor und kündigte eine Neuorientierung der Haushaltspolitik an. Auch er kündigte eine Finanz- und Föderalismus-Reform an. Das Wirtschaftswachstum, so Kiesinger, dürfe die Stabilität der Währung nicht gefährden.

Auch müsse man die Sozialleistungen mit den Möglichkeiten und Grundsätzen einer gesunden Finanzpolitik in Einklang bringen. Die Wissenschaft müsse gefördert, Subventionen in stagnierende Bereiche dagegen verringert werden.

Wie bei Erhard nahm auch bei Kiesinger die Außenpolitik relativ wenig Raum ein. Besonders betonte Kiesinger die Bedeutung einer Zusammenarbeit mit der Sowjetunion - trotz aller Probleme in der Frage der Wiedervereinigung - und mit Frankreich.

Darüber hinaus kam es zu einem Angebot, mit osteuropäischen Staaten Gewaltverzichtserklärungen auszutauschen.

Bilanz

Kiesingers große Koalition ist in der Wirtschaftspolitik relativ erfolgreich. Union und SPD gelingt es, die Rezession zu überwinden.

Wegweisend ist das Stabilitätsgesetz vom Juni 1967, das Preisstabilität, Vollbeschäftigung, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und angemessenes Wirtschaftswachstum als Ziele gesetzlich festgeschreibt und dem Staat Mittel für eine aktive Konjunkturpolitik in die Hand gibt.

Die Einführung des Mehrheitswahlrechts scheitert an Vorbehalten der SPD. Die zunehmende Verschuldung stoppt auch die Große Koalition nicht.

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