Der belgische Spitzenpolitiker Didier Reynders, bis vergangenen Samstag noch EU-Kommissar, steht unter dem Verdacht der Geldwäsche. Nach übereinstimmenden Medienberichten haben belgische Ermittler den 66-jährigen Politiker am Dienstag vernommen und seine Häuser in der Brüsseler Gemeinde Uccle sowie in der Nähe von Lüttich durchsucht.
Die Ermittlungen betreffen demnach einen Zeitraum von mehreren Jahren und reichen bis mindestens ins Jahr 2023 hinein. Sollten sich die Vorwürfe erhärten, hätte Didier Reynders als EU-Kommissar für Justiz kriminelle Handlungen begangen. Seine Amtszeit endete regulär am 30. November.
Reynders ist einer der bekanntesten belgischen Politiker
Die Brüsseler Zeitung Le Soir und die Rechercheplattform Follow the Money machten die Affäre am späten Dienstagabend publik. Die Brüsseler Generalstaatsanwaltschaft bestätigte die Ermittlungen am Mittwoch, wollte sich aber zu Details des Falles nicht äußern. Auch von Didier Reynders selbst gab es zunächst keinen Kommentar. Woher das mutmaßliche Schwarzgeld stammen soll, blieb unklar. Reynders soll jedenfalls versucht haben, große Summen durch systematisches Glücksspiel bei der staatlichen belgischen Lotterie reinzuwaschen.
Didier Reynders, ein Jurist, aufgewachsen in der Nähe von Lüttich, ist einer der bekanntesten Namen in der belgischen Politik. Er führte 2004 bis 2011 die im französischsprachigen Landesteil Wallonien beheimatete liberale Partei, genannt Mouvement Réformateur (MR), der zum Beispiel auch der vormalige Ratspräsident Charles Michel angehört.
Von 1999 bis 2011 war Reynders belgischer Finanzminister, von 2011 bis 2019 Außenminister. Danach nominierte ihn die belgische Regierung für die EU-Kommission. Präsidentin Ursula von der Leyen vertraute ihm die Themen Justiz und Rechtsstaatlichkeit an. Federführend war Reynders beispielsweise mit den Rechtsstaatsverstößen in Ungarn vertraut, die dazu führten, dass die Kommission Fördergelder in zweistelliger Milliardenhöhe für die Regierung von Viktor Orbán sperrte.
In früheren Jahren war Didier Reynders als Minister selbst verantwortlich für die staatliche belgische Lotterie, die er nun für die Geldwäsche genutzt haben soll. Laut den Medienberichten liegt den Ermittlungen eine Meldung der belgischen Finanzaufsichtsbehörde zugrunde, die regelmäßig verdächtigen Transaktionen bei der staatlichen Lotterie nachgeht. Reynders soll über einen längeren Zeitraum hinweg Summen in beträchtlicher Höhe eingezahlt haben, einen Großteil davon in bar.
Glücksspiel gilt als gängiges Mittel der Geldwäsche
Reynders hat mit dem Geld angeblich sogenannte „E-Tickets“ gekauft, Gutscheine im Wert von einem bis zu 100 Euro, die in allen Verkaufsstellen in Belgien erworben und auf ein Spielkonto bei der Nationallotterie überwiesen werden können. Die angefallenen Gewinne sollen dann auf das Girokonto von Reynders überwiesen worden sein. Falls sich die Vorwürfe erhärten, hätte Reynders also große Verluste in Kauf genommen, um sein Schwarzgeld zu waschen. Das Online-Glücksspiel gilt allerdings mittlerweile als ein sehr beliebtes Mittel der Geldwäsche.
Nach Angaben der Zeitung Le Soir laufen die Ermittlungen gegen Reynders unter strengster interner Geheimhaltung bereits seit dem Jahr 2023. Die Generalstaatsanwaltschaft habe allerdings mit Vernehmungen und Hausdurchsuchungen gewartet, bis Reynders turnusmäßig aus dem Amt als EU-Kommissar ausscheidet. Damit habe man vermeiden wollen, dass Reynders frühzeitig von den Ermittlungen erfährt. Denn für Vernehmungen und Hausdurchsuchungen hätten die Beamten vorab das Einverständnis der Kommission einholen müssen.
Reynders zeigte sich zuletzt „tief enttäuscht“, dass er für keine zweite Amtszeit nominiert worden war. Die belgische Regierung schickte stattdessen Außenministerin Hadja Lahbib in die Kommission, die derselben Partei wie Reynders angehört. Vergeblich bemühte sich Reynders in diesem Jahr auch darum, zum Vorsitzenden des Europarats gewählt zu werden, also der wichtigsten Menschenrechtsorganisation in Europa mit Sitz in Straßburg.
Schon vor fünf Jahren kursierten Vorwürfe von Korruption und Geldwäsche gegen Didier Reynders. Ein Geheimdienstagent beschuldigte ihn laut Medienberichten, Bestechungsgelder im Zusammenhang mit öffentlichen Aufträgen erhalten zu haben. Das Geld habe er durch den Kauf von Kunstwerken und Immobilien gewaschen. Die Ermittlungen wurden nach kurzer Zeit ergebnislos eingestellt. Weil er mehrere Affären heil überstanden hat, wird Reynders in Belgien manchmal „Teflon-Didier“ genannt.
Der Nachricht über Didier Reynders überschattet den Amtsantritt der neuen EU-Kommission, die an diesem Mittwoch erstmals zu einer Sitzung zusammenkam. Eine Sprecherin erklärte hinterher, ihre Behörde habe keinerlei Kenntnis von den Ermittlungen gehabt, und es liege kein Antrag vor, die Immunität von Reynders aufzuheben. Diese Immunität, die vor strafrechtlicher Verfolgung schützt, gilt bei Kommissionsmitgliedern über das Ende der Amtszeit hinaus, bezieht sich allerdings ausdrücklich nur auf Amtshandlungen der Kommissare. Für Straftaten, die Reynders mutmaßlich in seiner Zeit als belgisches Regierungsmitglied begangen haben könnte, müsste das belgische Parlament die Immunität aufheben. Solange das nicht der Fall ist, kann Didier Reynders nicht in Untersuchungshaft genommen werden.
Die belgische Justiz hat mit den Ermittlungen gegen Reynders nun einen zweiten spektakulären Kriminalfall, der sich auf die Institutionen der Europäischen Union bezieht. Vor zwei Jahren erschütterte der Korruptionsfall namens Katargate das Europaparlament, im Zentrum stand die stellvertretende Parlamentspräsidentin Eva Kaili aus Griechenland. Eine Anklageschrift liegt allerdings bis heute nicht vor.