Süddeutsche Zeitung

Engagement für SPD:Günter Grass, der Parteisoldat

Lesezeit: 4 Min.

Es war auch seine Unterstützung für die Sozialdemokratie, die Günter Grass berühmt machte. Er suchte die Nähe zur Macht - und sah sich gerne als republikanischen Wanderprediger.

Von Willi Winkler

Es begann mit einer Bewerbung. Willy Brandt, Regierender Bürgermeister von Berlin und als Spitzenkandidat für die Bundestagswahl 1961 nicht ohne Aussichten, lud die Schriftsteller der Gruppe 47 zu einem Gespräch ein. Günter Grass, als Autor der "Blechtrommel" bereits berühmt und berüchtigt sogar bei den Literaturfernen, meldete sich sofort zum Gespräch und wollte dabei sein, wollte beim Verfertigen der Reden des Kandidaten helfen. "Aber du bist doch Anarchist!" soll Gruppenchef Hans Werner Richter erstaunt gerufen haben. Richter hatte selbstverständlich recht und täuschte sich doch. Einen besseren Parteisoldaten als Grass hat die SPD bis heute nicht vorzuweisen.

Günter Grass (Nachruf Seite Drei) war ein anarchistischer Dichter, aber er suchte früh die Nähe zur Macht. Brandt wurde sein Mann, populär in Berlin und Emigrant, einer der sich Hitler widersetzt und nicht in der Partei mitgemacht hatte wie sein eigner Vater, nicht in der SS für den Endsieg gekämpft hatte wie er selber.

In diesen frühen Sechzigerjahren gab es noch Gegner, die sich auf die alten Schmähbegriffe verstanden. Der allzeit regierenden CDU fielen so schöne Vokabeln ein wie "Reichsschrifttumskammer" für die Gruppe 47 oder "Pinscher" für die Schriftsteller im Allgemeinen. Und zeigten die Springer-Zeitungen nicht mit Begeisterung auf den Schmuddel-Dichter Grass? Der Öffentlichkeit, und nicht bloß der von Springer geformten, galt Grass keineswegs als früh weltberühmter Autor und kommender Nobelpreisträger, sondern als "Pornograf", als der Mann, der seinen Oskarzwerg schweinische Dinge tun oder das heilige Nazi-Ritterkreuz in "Katz und Maus" an ganz unpassender Stelle baumeln ließ.

Der alte Traum, dass der Dichter Einfluss auf die Politik nehmen könnte, wird bei Grass zur Pflicht. Streng geht er mit den Freunden, geht mit Böll und Andersch, mit Walser und Enzensberger ins Gericht, weil sie dem eifrig zur Mitte strebenden Kandidaten nicht mit der gleichen Begeisterung huldigen wollen wie er.

Melancholische VW-Bus-Tour über die Dörfer und Kleinstädte

Brandt scheiterte im ersten Anlauf. Aber Grass gab nicht auf. Im Stil der Wehgesänge der Brecht'schen Mutter Courage gab er 1965 die Parole aus: "Glaubt dem Kalender - im September / beginnt der Herbst, das Stimmenzählen; / ich rat euch, Es-Pe-De zu wählen."

Damit politisiert er eine ganze Generation. In der Dauersubventionsruine West-Berlin verschafft das von Grass begründete Wahlkontor der jungen Intelligenz Arbeit wenigstens auf Zeit: Peter Schneider, F. C. Delius, Michael Krüger, Klaus Roehler schreiben Reden für Brandt und den Wirtschaftssenator Karl Schiller; die Germanistikstudentin Gudrun Ensslin ist als Sekretärin dabei. Später wird Grass wegen dieses unbezweifelbaren Einsatzes für Berlin und die gute Sache eine gigantische Steuerbefreiung fordern.

Willy Brandt scheitert zunächst wieder, greift aber zu, als sich die Gelegenheit zu einer Großen Koalition bietet. Grass warnt vor der Verbindung mit dem ehemaligen NSDAP-Mitglied Kiesinger, doch der neue Außenminister ist staatsmännisch und antwortet einfach nicht. Grass steckt das noch sportlich weg, denn bald schon gilt es die nächste Kampagne, und diesmal, im dritten Anlauf, gelingt das große Projekt. Im Jahr 1969, nach zwanzig Jahren konservativer Herrschaft, bekommt die Bundesrepublik ihren ersten SPD-Kanzler, der auch gleich, eine von Günter Grass zumindest inspirierte Formulierung, "mehr Demokratie wagen" will.

So hochgemut der Wahlkämpfer Grass die Lande bereist, um für die SPD oder vielmehr seinen geliebten Willy Brandt zu (unvermeidliche Vokabel:) trommeln, so melancholisch wirkt diese VW-Bus-Tour über die Dörfer und Kleinstädte. Die Lage ist im heißen Sommer 1969 hoffnungslos und gleichzeitig vielversprechend. Günter Grass beschreibt sich in einer Rolle, in der er sich nicht ungern sieht: der des republikanischen Wanderpredigers, der den Ungebildeten politische Nachhilfe erteilt.

Der Schriftsteller Grass wird volkstümlich. Er spricht in Wirtschaften und auf Marktplätzen, von Norden nach Süden und zurück, über den Atomwaffensperrvertrag, die dynamische Rente, die Mitbestimmung, die Golddeckung für die Währung, spricht über die Bedeutung der Gewerkschaften und über Franz Josef Strauß, als wär's der Leibhaftige. Wenn es sein muss und der Wählerfindung dient, zieht er dafür auch eine Lederhose an.

Den Anarchisten hat er unterwegs völlig vergessen; allenfalls der Schnauzbart erinnert noch an die Anfänge. Die Gedichte, die nebenbei entstehen, verzichten zugunsten der eindeutigen Aussage auf alles Poetische. Das Hauptgeschäft ist nun die Durchsetzung der sozialdemokratischen Politik. "Aus dem Tagebuch einer Schnecke", im Jahr 1972 erschienen, ist das beste Buch des Politikers Günter Grass, der auch das Schreiben keineswegs vergessen hat, aber lieber Politik macht, wenn ihm auch schwant, dass er damit nicht weit kommen wird. Als Bericht aus der Wahlkampfhölle ist dieses Buch nur noch den Büchern von Norman Mailer und Yasmina Reza beizustellen.

Die Enttäuschung konnte nicht ausbleiben. Endlich schien in der idealischen Verbindung Brandt-Grass der Traum wahr zu werden, doch wurde nur zu bald deutlich, dass der Geist wehen kann, wie er will, wenn die Macht ganz andere Sorgen hat. Grass bombardierte seinen Freund im Bundeskanzleramt mit Sendschreiben, Statistiken, Bulletins und der beständigen Mahnung, sich dieses und jenes Problems doch bitte sofort anzunehmen. Grass' Politikberatung beschränkte sich nicht auf Personalvorschläge, nicht einmal darauf, Brandt eindrucksvolle Reden zu formulieren. "Zum Beispiel spricht Willy Brandt ein sehr gutes R. Er muss also", lautet der Schluss, "sehr viele Sätze mit R bekommen."

Der Freund aus Wahlkampftagen ging ihm zunehmend auf die Nerven

Mehr aber noch geht es ihm um Nähe, um die Nähe zur Macht, die Nähe zu dem Mann, dem er den Heiligenschein so kunstvoll zu putzen verstanden hatte. Immer wieder bittet, ja fleht er um eine Audienz, um dem Kanzler einmal unter vier Augen die ganzen Probleme vortragen zu können, unter denen die Welt ächzte und die der besorgte Staatsbürger genau erkannt hatte. Brandt aber, das zeigt der vor zwei Jahren veröffentlichte Briefwechsel, ging der Freund aus Wahlkampftagen zunehmend auf die Nerven. Als Grass immer noch dringender darum bat, seinen Willy mit nach Norwegen begleiten zu dürfen, wanderte Brandt in seinem Wohnzimmer auf und ab und grummelte erbittert: "Ich will nicht mit Grass in den Urlaub fahren!"

Die studentische Linke hat mit Begeisterung über den Wahlkämpfer Grass gespottet, der stets so staatstragend auftrat und keinerlei Sinn für die Revolution zeigte. Doch schon 1968, auf dem Höhepunkt der Revolte, wusste er, wo die Feiertagsanarchisten enden würden: "Wie viele Jungrevolutionäre werden, sobald sich ihre hochgeschraubten Erwartungen nicht eingestellt haben und sobald sie die Universität verlassen und der Berufskarriere ein wenig und dann ein wenig mehr geopfert haben werden, treu und brav CDU wählen, was nicht ausschließt, dass sie sich im engeren Freundeskreis, als wohlsituierte Mittdreißiger, bei einem Gläschen Mosel gern ihrer revolutionären Vergangenheit erinnern werden mögen."

Erst 1982, als Helmut Kohl Brandts Nachfolger Schmidt stürzte, trat Grass in die Partei ein, der er bereits zwei Jahrzehnte so eifrig gedient hatte. Als die SPD dem Asylkompromiss zustimmte, trat er unter Protest wieder aus, blieb ihr aber gleichwohl gewogen, unterstützte die Kandidaten Engholm, Scharping und Schröder, aber einen wie Willy Brandt fand er zeitlebens nicht mehr.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen für 0,99 € zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2433438
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 14.04.2015
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.