Bundespräsident Joachim Gauck hat die Deutschen erneut aufgefordert, mehr Engagement bei internationalen Einsätzen zu zeigen, im äußersten Fall auch militärisch. Deutschland stehe an der Seite der Unterdrückten, sagte er Deutschlandradio Kultur. "Und in diesem Kampf für Menschenrechte oder für das Überleben unschuldiger Menschen ist es manchmal erforderlich, auch zu den Waffen zu greifen." Gauck sagte, es habe "früher eine gut begründete Zurückhaltung der Deutschen" gegeben, bei internationalen Einsätzen und Konfliktfällen aktiv zu werden. Heute sei das Land aber eine "solide und verlässliche Demokratie", zu deren wachsender Verantwortung gehöre, den Einsatz militärischer Gewalt "als letztes Mittel nicht von vornherein zu verwerfen".
Gaucks Äußerung, die er in weniger konkreter Form schon bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Januar vorgetragen hatte, stieß bei der Opposition im Bundestag auf scharfe Kritik. "Menschenrechte lassen sich nicht herbeibomben", erklärte der außenpolitische Sprecher der Linkspartei, Jan van Aken. Gerade im Krieg kämen die Menschenrechte unter die Räder. Richtig sei lediglich, dass Deutschland "viel aktiver" werden müsse, um auch international die Durchsetzung von Bürgerrechten und sozialer Gerechtigkeit zu unterstützen. Dies aber dürfe nicht militärisch geschehen. "Gaucks einseitiger Blick auf das Militärische ist hochgefährlich und vom Verfassungsauftrag der Bundeswehr in keiner Weise gedeckt", so Jan van Aken. Ein Bundespräsident, der "quasi als Feldherr die Bundeswehr mit Hurra in alle Welt schicken" wolle, stelle sich gegen die Bevölkerung und begebe sich ins Abseits.
Deutschland müsse die lange Zeit gebotene Zurückhaltung aufgeben, sagte Gauck
Gauck hatte seine Bemerkungen am Ende einer dreitägigen Reise nach Norwegen gemacht. Dort war die norwegische Ministerpräsidentin Erna Solberg bei einer Pressekonferenz zu einem größeren internationalen Engagement Deutschlands befragt worden. Ihre Antwort: "Deutschland muss sein Verhältnis zur Welt normalisieren." Gauck war bei seinem Staatsbesuch immer wieder auf das Thema angesprochen worden, auch in einem Interview des Deutschlandradios. "Ich habe das Gefühl, dass unser Land eine Zurückhaltung, die in vergangenen Jahrzehnten geboten war, vielleicht ablegen sollte zugunsten einer größeren Wahrnehmung von Verantwortung, und da können wir von Norwegen zum Beispiel auch lernen", sagte er. Norwegen habe sich in Friedensprozesse fernab des eigenen Landes eingebracht, etwa in Guatemala. "Das wünsche ich mir von Deutschland auch".
Nun will Gauck seine Forderung nach mehr internationaler Präsenz aber keineswegs nur militärisch verstanden wissen. Vielmehr gehe es um ein ganzes Bündel diplomatischer, menschenrechtlicher und - als ultima ratio - auch militärischer Maßnahmen. Gefragt sei kein "deutsches Dominanzgebaren" wie im vergangenen Jahrhundert. Vielmehr könnten Konflikte in aller Welt nur im engen Verbund der EU- und Nato-Staaten gelöst werden, wie dies derzeit etwa in der Ukraine versucht werde. Nicht immer und überall komme die Diplomatie am Ende ans Ziel. "So wie wir eine Polizei haben und nicht nur Richter und Lehrer, so brauchen wir international auch Kräfte, die Verbrecher oder Despoten, die gegen ihr eigenes Volk oder gegen ein anderes mörderisch vorgehen, zu stoppen", sagte Gauck. "Und dann ist als letztes Mittel manchmal auch gemeinsam mit anderen eine Abwehr von Aggression erforderlich."