Deutschlands neuer EU-Kommissar:Berliner Prestigefrage

Es geht um einen wichtigen Posten: Sitzt auch künftig ein Sozialdemokrat in der EU-Kommission - oder kommt ein Union-Mann nach Brüssel? Als CDU-Kandidat gilt neben dem Hessen Koch ein alter Widersacher der Kanzlerin.

Stefan Braun

Bis zuletzt hatte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht geäußert zu der Spitzenpersonalie. Nun aber, am Tag der Europawahl, brach sie ihr Schweigen - wenn auch ganz anders als von manchen Medien und Politikern gewünscht. Seit Monaten streiten Union und SPD mal lauter, mal leiser über die Frage, welche Partei den nächsten deutschen Vertreter in die künftige EU-Kommission entsenden darf.

Deutschlands neuer EU-Kommissar: Sportlich beim Hessentag: Ministerpräsident Roland Koch gilt als möglicher CDU-Kandidat für den Posten in Brüssel.

Sportlich beim Hessentag: Ministerpräsident Roland Koch gilt als möglicher CDU-Kandidat für den Posten in Brüssel.

(Foto: Foto: dpa)

Die SPD stellt bisher den EU-Industriekommissar Günter Verheugen - und will ihn durch einen eigenen Mann ersetzen. Die Union dagegen, die seit fast zwanzig Jahren keinen Kommissar mehr entsandt hat, pocht auf ihr Recht, als größte Partei im Bundestag und wohl auch stärkste Kraft bei der Europawahl einen der Ihren nach Brüssel zu schicken.

Daran lässt auch Merkel keinen Zweifel. Aber wo andere am liebsten über Personen spekulieren, bemüht sich die CDU-Chefin, den Blick auf die Sachfragen zu lenken. Nach der Europawahl werde Deutschland überlegen, für welches Ressort in Brüssel man sich bewerben wolle. Bereiche wie Wettbewerb, Binnenmarkt oder Industrie seien dabei aus ihrer Sicht besonders interessant. Erst danach entscheide sich "die Frage nach der geeigneten Persönlichkeit", sagte Merkel der Bild am Sonntag. Ihre Botschaft: erst die Sache, dann die Person.

Das klingt gut und wäre als oberstes Kriterium auch richtig. Trotzdem kann sich die Kanzlerin als CDU-Vorsitzende nicht nur danach ausrichten. Längst werden immer wieder zwei CDU-Politiker genannt, die besonders in Frage kommen. Da ist zum einen der Wirtschaftsexperte Friedrich Merz, der im Herbst den Bundestag verlassen wird, aber im Innersten seines Herzens noch längst nicht mit der Politik abgeschlossen hat.

Er bringt als ehemaliger EU-Abgeordneter nicht nur Europa-Erfahrung mit, er wird inzwischen auch von prominenten Unionspolitikern wie Wolfgang Schäuble vehement unterstützt. Und Merz hat zuletzt durchblicken lassen, dass er sich ein politisches Amt nach wie vor vorstellen könnte.

Und da ist Hessens Ministerpräsident Roland Koch, der zwar schon mehrfach nein gesagt hat - aber mit Sicherheit dreimal überlegen würde, bevor er im konkreten Fall ablehnen dürfte. Beide gelten als profilierte Wirtschaftsexperten, beide gehören dem konservativen Flügel an, beide könnten als Nominierte noch vor der Bundestagswahl Merkel im eigenen Lager Pluspunkte verschaffen.

Das freilich könnte genau das sein, was die SPD sich für den Bundestagswahlkampf wünschen würde. Sie hat sich früh auf ihren Kandidaten Martin Schulz festgelegt - der über seine Berufung durch den damaligen SPD-Chef Kurt Beck zunächst nicht nur erfreut war. Eine frühe Nominierung von Koch oder Merz könnte die SPD zu nutzen versuchen, um den vermeintlichen Marktradikalismus des CDU-Kandidaten zu geißeln; eine Zuspitzung, die Merkel bislang gescheut hat. Auch deshalb spricht vieles dafür, dass es vor der Bundestagswahl Ende September keine Entscheidung über den nächsten Kommissar geben wird.

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