Deutschlands Image in Europa:German Wonderland

Die Schuldenkrise hat Klischees über Deutschland zu neuem Leben erweckt. Karikaturisten zeigten Angela Merkel mit Hitlerbärtchen, als Chefin einer Kolonialmacht, die sich den europäischen Kontinent rücksichtslos unterwirft - doch hat der Ruf des Landes wirklich gelitten?

Christiane Schlötzer, Stefan Ulrich und Christian Zaschke

Hin und wieder, wenn sich die Redakteure der Daily Mail gerade ein wenig langweilen oder wenn sonst nichts los ist, müssen die Nazis ins Blatt. Nazis gehen immer. Die Daily Mail pflegt eine besondere Vorliebe für Geschichten über das Vierte Reich. Wahlweise haben getarnte Nazis es gleich nach dem Zweiten Weltkrieg zumindest in Teilen heimlich eingeführt, oder Bundeskanzlerin Angela Merkel ist gerade dabei, es unter dem leicht zu durchschauenden Vorwand, den Euro retten zu wollen, auf dem Kontinent zu errichten.

The Reichstag At Sunrise

Sonnenaufgang überm Reichstag: Wie hat sich Deutschlands Image geändert?

(Foto: Getty Images)

Der Tenor der Mail-Geschichten geht dann ungefähr so: Ganz Europa lässt sich unterjochen von den Deutschen. Wobei: Ganz Europa? Nein, eine stolze Insel in der nördlichen See, jenseits des Ärmelkanals, widersteht tapfer dem teutonischen Drängen. Man könnte die durchaus ernstgemeinten Artikel der Mail als unerhebliches Geschwurbel abtun, aber das Blatt verkauft sich täglich beinahe drei Millionen Mal.

Von Europa im Allgemeinen und den Deutschen (und den Franzosen) im Besonderen hält das Blatt eher wenig. Diese Meinung teilen nicht wenige Briten. Es wäre jedoch übertrieben, diese Menschen als die Mehrheit zu bezeichnen. Die Mehrheit findet die Deutschen irgendwie interessant. Zwar gehörte bis vor einiger Zeit zu einem gelungenen Kostümfest mindestens ein Hitler (zwei konnten auch nicht schaden), das war allerdings nicht unbedingt Deutschen-feindlich zu verstehen.

Viele Briten sehen in Hitler nicht nur das Dämonische, sondern auch die eminent lächerliche Figur - dieser Bart, diese Gestik, dieses Geschrei. Vor Kürzerem haben die Briten eine deutsche Tradition entdeckt und importiert: Im ganzen Land werden Weihnachtsmärkte aufgebaut, und zwar unverkennbar Weihnachtsmärkte deutscher Art. Wer über einen dieser Märkte schlendert, der muss annehmen, dass die Deutschen das neue Lieblingsvolk der Briten sind.

Im Hyde Park drängeln sich Londoner an Glühweinständen, sie prosten sich mit Krombacher vom Fass zu, und vor allen Dingen essen sie Bratwürste. Tausende Bratwürste brutzeln im "Winter-Wonderland" vor sich hin, weiße und rote Würste, große und kleine Würste, und Tausende Briten verzehren die Würste mit ordentlich Senf.

Mit ein wenig Phantasie und gutem Willen kann man die Weihnachtsmärkte mit ihren Wurst- und Glühweinständen als große Feiern der deutsch-britischen Freundschaft deuten. Allerdings wäre das bei aller Liebe vielleicht doch übertrieben. Zumal die Wurstverkäufer fast alle Polen sind.

Wie Pleitegriechen über Jammerdeutschen denken

Morgens am Zeitungskiosk in Athen ist die Welt noch in den Fugen. Der Verkäufer reicht die Süddeutsche aus seinem Kabäuschen und schenkt zum Wechselgeld ein Lächeln dazu. Ein Taxi stoppt, und schon wieder Glück. Der Platz neben dem Fahrer ist frei, die hinteren zwei sind schon besetzt. Dass Athener Taxis sich in Minibusse verwandeln, ist auch sonst üblich, wenn aber wieder einmal U-Bahnen und Busse gleichzeitig streiken, ist das ein Segen.

Irgendwann steigen die anderen Fahrgäste aus, und der Blick des Fahrers fällt auf meine Knie, eigentlich auf die Zeitung darauf. Germanida?, fragt er, noch vorsichtig. Ich nicke. Es folgt ein Orkan, Windstärke zwölf. "Was hat dein Land gegen mein Land?", wettert der Mann am Steuer, tritt aufs Gas und nimmt eine rote Ampel im Flug. Das große Deutschland und das kleine Griechenland, immer mehr verlange die Kanzlerin aus Berlin von den Griechen, den ganzen Tag sitze er nun in diesem Taxi und habe doch immer weniger zum Leben.

"Alles wegen Merkel", sagt der Mann, nichts kann ihn mehr beruhigen. Über das Ziel sind wir längst hinausgeschossen. Wenden auf der dicht befahrenen Piraeus-Straße? Selbstmord. In einem Gassengewirr tastet sich das Taxi zurück. Später an diesem Tag ein Treffen mit Horst Reichenbach, dem Deutschen aus Brüssel, der in Athen eine EU-Sondereinheit führt, die der Regierung bei Reformen helfen soll. Er sagt, er habe unterschätzt, was es bedeute, in diesem Job Deutscher zu sein. Das Wort "Reich" aus seinem Namen haben Zeitungen groß gedruckt, in Erinnerung an die Zeit, als Deutsche auf griechischem Boden schreckliche Verbrechen begingen.

Später berichtet ein deutscher Bekannter, er fahre seit Jahren in dasselbe griechische Dorf, immer hätten ihn die Nachbarn mit Kuchen empfangen. Nur in diesem Jahr nicht. Als ich einer griechischen Freundin all dies erzähle, wird sie wütend. "Ich habe jetzt genug von euch Deutschen, eurem Gejammer über die Griechen, die euch nicht mehr mögen. Immer wollt ihr den Lehrer spielen. Und überhaupt, wer hat denn angefangen mit dem Geschimpfe über die Pleitegriechen?" Der Taxifahrer hat mir übrigens seine Karte gegeben. Er würde mich gerne wieder fahren, hat er gesagt. Und dabei gelächelt.

Merci, les Allemands!

Madame la dentiste ist gut ausgestattet. Stolz zeigt die Zahnärztin dem deutschen Patienten ihre Errungenschaft: ein Gerät einer bundesrepublikanischen Firma, mit dem sich die Zähne samt den Verwüstungen durch Karius und Baktus von allen Seiten auf einem Computerschirm am Behandlungsstuhl betrachten lassen. So genau wollte man das gar nicht sehen. Doch Madame ist begeistert. "Ein Gerät dieser Qualität produzieren nur die Deutschen."

Dann schüttelt sie den Kopf: "Ich verstehe das nicht. Die deutschen Kinder werden später eingeschult als die französischen und kommen nachmittags viel früher nach Hause. Trotzdem ist Deutschland so erfolgreich. Warum?"

Viele Franzosen blicken verblüfft, anerkennend und ein wenig beunruhigt auf den Nachbarn, der offenbar großartig durch die Wirtschaftskrise kommt. Auch sonst entdecken die Franzosen Erstaunliches bei den Allemands. Die Internetzeitung slate.fr klärt sie auf, die Fräuleins von heute trügen nicht mehr nur Gesundheitssandalen und rasierten sich sogar die Beine; die deutsche Bahn gelte als genauso unpünktlich wie die französische SNCF; und in Berlin seien "die Straßen schmutzig und die Fußgänger undiszipliniert". Das macht die Nachbarn sympathisch.

Daneben lauert noch das Deutschland mit Pickelhaube. In der Satiresendung "Les Guignols de l'Info" wendet sich Madame Merkel vor einer Trikolore an die Franzosen. "Mes chers compatriotes", schnarrt sie, "die lustigen Zeiten sind vorbei. Ich werde mich um alles kümmern - und ihr werdet euch an die Arbeit machen!" Dann folgen Bilder von Fähnchen schwingenden Franzosen, unter ihnen Nicolas Sarkozy, die am Schlagbaum dankbar deutsche Panzer begrüßen ("Merci les Allemands!").

Doch das Klischee des militaristischen, superdisziplinierten Deutschland bekommt kräftige Risse, etwa beim Schüleraustausch. Da wundert sich die junge Französin, dass es in der Deutschen Schule in Paris so fidel zugehe. "Die Kinder reden durcheinander, sogar wenn der Lehrer in der Klasse ist." Die Tochter des Korrespondenten erzählt dagegen nach einigen Tagen in einem französischen Gymnasium fassungslos: "Die Schüler sind im Unterricht dermaßen ruhig, dass man sie atmen hört."

Weitere Eindrücke von SZ-Korrespondenten lesen Sie in der Süddeutschen Zeitung.

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