Deutschlands Haltung zu Militäreinsatz gegen Syrien:Von Stoppschildern umzingelt

Die USA und Großbritannien rüsten zum Krieg gegen Assad. Was macht die Bundesregierung? Sie fordert "Konsequenzen" für die syrischen Giftgasangriffe auf Zivilisten. Was genau sie will, sagt sie lieber nicht. Der Wahlkampf und böse Erinnerungen an Libyen bremsen Merkel und Westerwelle. Und dann sind da noch die deutschen Raketen in der Türkei.

Von Michael König, Berlin

Ein altes Wort ist in Berlin gerade neu in Mode: "Konsequenz" stammt aus dem Lateinischen (consequi) und bedeutet "Folge" oder "Auswirkung", aber auch "Unbeirrbarkeit" oder "(feste) Entschlossenheit", wie der Duden weiß. Das macht das Wort für deutsche Regierungsvertreter in der Syrien-Frage attraktiv: Sie wollen aktiv und durchsetzungsstark wirken, ohne erklären zu müssen, was genau sie eigentlich zu tun gedenken.

Zum Beispiel Außenminister Guido Westerwelle, der am Montag sagte: Für den Fall, dass sich die Giftgas-Vorwürfe gegen Syriens Machthaber Baschar al-Assad bestätigten, "dann wird Deutschland zu denjenigen gehören, die Konsequenzen für richtig halten".

Oder Regierungssprecher Steffen Seibert, der am selben Tag die deutsche Übersetzung des Wortes in einer Art doppelten Verneinung benutzte: "Eine schwere Verletzung der internationalen Chemiewaffenkonvention" dürfe "nicht folgenlos bleiben."

Dass es besagte Verletzung gab, dass also im vom Bürgerkrieg zerrissenen Land Giftgas gegen Zivilisten zum Einsatz kam, daran besteht kaum Zweifel. Die UN-Inspektoren untersuchen den Fall noch, doch Frankreich, Großbritannien und die USA gehen davon aus, dass der syrische Machthaber Baschar al-Assad hinter der Attacke steckt.

Was ist die Konsequenz? Das ist die für die Bundesregierung so heikle Frage. Bislang lautete die offizielle Haltung: Wir wollen eine diplomatische Lösung. Doch nachdem US-Außenminister John Kerry am Montag ziemlich unmissverständlich klar machte, dass die amerikanische Regierung nach Monaten des Zauderns nun doch militärisch gegen Assad vorgehen wolle, muss auch Berlin sich bewegen. Zumal auch Großbritannien inzwischen offiziell angekündigt hat, sich auf einen Militäreinsatz vorzubereiten.

Merkels und Westerwelles Probleme sind innen- und außenpolitischer Natur. National wie international wimmelt es für die Bundesregierung von Stoppschildern, die ihren Handlungsradius begrenzen.

In 26 Tagen ist Bundestagswahl

Die CDU fährt im Wahlkampf gut damit, jede Zuspitzung zu vermeiden. Gerade die Frage "Krieg - ja oder nein" birgt für Merkel große Gefahren. Erinnerungen an 2002 werden wach, als Gerhard Schröder mit einem klaren Nein zum Einmarsch der Amerikaner und Briten in den Irak seine rot-grüne Koalition in eine zweite Legislaturperiode rettete. Merkel hatte sich damals als Oppositionspolitikerin dafür ausgesprochen, alle Optionen offenzuhalten.

Zwar hinkt dieser Vergleich: Die Gräueltaten in Syrien sind seit Monaten im öffentlichen Bewusstsein verankert und gut dokumentiert. Auch im Irak herrschte zwar ein Despot, aber das Land war seinerzeit friedlich - die US-Regierung stützte sich beim vermeintlichen Beweis irakischer Massenvernichtungswaffen auf fragwürdige Quellen, um einen Kriegsgrund zu schaffen.

Dennoch muss Merkel fürchten, dass SPD, Grüne und Linke die Pazifismus-Karte ausspielen, sollte sich die Kanzlerlin zu eng an die Seite der Amerikaner und Briten stellen. Erste Hinweise darauf gibt es: "Ich rate zur äußersten Zurückhaltung, in eine militärische Logik zu verfallen", sagte SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück.

Der Verteidigungsexperte der Grünen, Omid Nouripour, machte einen Beschluss der Vereinten Nationen zur Bedingung für ein Einschreiten Deutschlands - den es jedoch nicht geben wird, weil Russland und China als Veto-Mächte im Weltsicherheitsrat Assad die Treue halten. Die Linke kündigte derweil an, zu Demonstrationen aufzurufen: "Wir wären nicht nur nicht dabei, sondern wir würden wirklich Proteste dagegen organisieren", sagte ihr Vorsitzender Bernd Riexinger.

Wohl auch deshalb beeilten sich am Dienstag die Experten der CDU, die Aussagen der Regierung ins rechte Licht zu rücken: Der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Philipp Mißfelder, bezeichnete ein militärisches Eingreifen als "abträglichste Variante zur Lösung des Syrien-Konflikts". Im Übrigen habe "die Bundeswehr durch ihre derzeitigen internationalen Einsätze bereits die Grenze der Belastbarkeit erreicht." Der CDU-Außenpolitiker Rupert Polenz warnte vor einem "Flächenbrand" in der Region.

Furcht vor der Isolation

Parteipolitiker wie Mißfelder dürfen sich klar gegen den Kriegskurs aussprechen, die Regierung wird das um jeden Preis vermeiden. Sie will nicht schon wieder isoliert dastehen, ihre internationalen Verbündeten nicht schon wieder brüskieren.

Bundestags-Sondersitzung

Merkels und Westerwelles Handlungsspielraum ist national wie international begrenzt

(Foto: picture alliance / dpa)

Vor allem Westerwelle wird sich gut daran erinnern, wie sich Deutschland vor zwei Jahren im UN-Sicherheitsrat enthalten hatte, als alle wichtigen Bündnispartner - USA, Frankreich, Großbritannien - für die Einrichtung einer Flugverbotszone in Libyen stimmten. Aus dem Außenminister wurde damals ein Außen-vor-Minister, dem seine ausländischen Amtskollegen nicht mehr trauten.

Auch im Auswärtigen Amt war die Entscheidung umstritten. Als der französische Außenminister Alain Juppé nach dem Sturz des libyschen Despoten Gaddafi in Westerwelles Haus zu Gast war, applaudierten ihm deutsche Diplomaten für seine Entschlossenheit in der Libyen-Frage. Westerwelle war blamiert.

Seit diesen Tagen hat der FDP-Politiker international wie national stark an Ansehen gewonnen, er gilt trotz des Sturzes von der Parteispitze als Kandidat für vier weitere Jahre im Amt des Außenministers, sollte Schwarz-Gelb die Wahl gewinnen. Westerwelle wird aufpassen, diesen Status nicht zu gefährden.

Streit um die "Patriot"-Raketen

Die Sicherheit deutscher Soldaten dürfte auch ohne eine direkte Beteiligung am Einsatz zum Thema werden: Ende 2012 forderte die Nato deutsche Patriot-Raketen an, um die Türkei vor möglichen Luftangriffen aus dem Nachbarland Syrien zu schützen. Die Bundeswehr kam der Bitte nach, seitdem sind deutsche Soldaten unweit der türkisch-syrischen Grenze stationiert.

Ihr Anteil an dem Konflikt war bislang theoretischer Natur, ihr größter Gegner ist die Langeweile. Das könnte sich im Falle eines amerikanisch-britischen Militärschlages ändern. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan fordert seit Langem ein Eingreifen gegen Assad, sein Außenminister Ahmet Davutoğlu hat am Montag in bislang ungekannter Offenheit eine Beteiligung der Türkei an einem Militäreinsatz in Aussicht gestellt.

Assad könnte das zum Anlass nehmen, Raketen auf das Nachbarland abzuschießen - mit ihrer Abwehr wären auch die deutschen Soldaten betraut. Für die Bundesregierung wäre das Chance und Gefahr zugleich.

Zum einen könnte sich Berlin darauf zurückziehen, Deutschland beteilige sich bereits am Krieg gegen Assad und brauche keine weiteren Mittel einzubringen. Zum anderen würde sich die Frage stellen, ob der Einsatz innenpolitisch legitimiert ist.

Nein, findet die Linke: "Das defensive Mandat der Patriot-Raketen ist beendet, seit die Türkei sich faktisch zur Kriegspartei erklärt hat", sagte ihr Vorsitzender Riexinger. Die Patriots müssten unverzüglich abgezogen werden, andernfalls bräuchte die Regierung ein neues Bundestagsmandat. Das würde jedoch eine Debatte erfordern - und spätestens dann wäre die Syrien-Frage wohl voll im Wahlkampf angekommen.

Mit Material von dpa, AFP und Reuters

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: