Deutschlands erste Kanzlerin:Ein Rollenmodell probt seine Rolle

Wahrscheinlich ist es die falsche Frage. Man kann aber trotzdem versuchen, sie zu beantworten: Was haben die Frauen in Deutschland davon, dass zum ersten Mal in der Geschichte des Landes, 87 Jahre nach Erringung des Frauenstimmrechtes und 56 Jahre nach der Verankerung der Gleichheit von Mann und Frau im Grundgesetz, eine Frau Bundeskanzlerin und damit nach Ansicht des Wall Street Journal die "derzeit mächtigste Politikerin" der Welt wird?

Evelyn Roll

Es könnte deswegen die falsche Frage sein, weil Angela Merkel ihre bemerkenswerte politische Karriere nicht darauf aufgebaut hat, dass sie sich in ihren Eigenschaften als Frau, als Physikerin und als Ossi besonders für die Interessen und Belange von Frauen, Ossis und Physikern eingesetzt hat. Sie wird ja auch nicht Familienministerin der neuen Bundesregierung, nicht einmal Frauenbeauftragte. Angela Merkel wird Bundeskanzlerin, als solche ist sie auf das Gemeinwohl eingeschworen - und eben nicht auf die Förderung von Partikularinteressen.

Angela Merkel (li.) mit Hillary Clinton 2004

Merkel wundert sich über die Anteilnahme der Amerikaner an Hillary Clintons Frisur

(Foto: Foto: ddp)

Eine Gesellschaft, die Frauen wenig zutraut

Und trotzdem wird Angela Merkel, weil sie eine Frau ist, jetzt von allen Seiten noch einmal mit frauenpolitischen Erwartungen und Ratschlägen überzogen, in denen sich die große Verunsicherung einer Gesellschaft spiegelt, in der Frauen wenig zugetraut wird.

Grünen-Chefin Claudia Roth fordert: "Ich erwarte von einer Kanzlerin Merkel, dass sie ihr Frausein nicht versteckt. Sie muss Politik mit weiblicher Kompetenz betreiben und sich dafür einsetzen, dass Geschlechtergerechtigkeit endlich Realität wird."

Die Vorsitzende der Frauenunion, Maria Böhmer, klagt: "Zwei der sieben unionsgeführten Ministerien in Frauenhand - das kann doch nicht das Ende der Fahnenstange sein." Und die Ministerinnen aus dem scheidenden rot-grünen Kabinett haben der zukünftigen Kanzlerin dringend geraten, jetzt Frauen-Seilschaften zu bilden.

Merkels "Girls-Camp"

Die aber hat sie schon längst. Sie selbst hat gar nicht viel dafür tun müssen. Die Verlegerinnen Friede Springer und Liz Mohn, die Filmproduzentin Regina Ziegler, die Rechtsanwältin Gräfin Pilati, die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer, die Unternehmerinnen Martine Dornier-Tiefenthaler, Ann Kathrin Bauknecht, die Journalistinnen Inga Giese und Patricia Riekel, die Schriftstellerin Freya Klier und viele andere haben in den letzten Jahren ein engmaschiges und tragfähiges Netzwerk für Angela Merkel gewebt. In jedem Bundesland agiert inzwischen mindestens eine mächtige oder einflussreiche Frau, die ihrerseits Merkel-Unternetzwerke hat, die noch einmal nach unten verzweigt sind.

Und dann ist da angeblich auch noch Merkels "Girls-Camp". Angela Merkel hat, was die meisten Spitzen-Männer in der Politik auch haben: eine Büroleiterin (Beate Baumann) und eine Pressesprecherin (Eva Christiansen), die seit Jahren ihre engsten Vertrauten sind.

Ein Girls-Camp wurde daraus, weil drei verschworene Frauen offenbar schon etwas Verdächtiges an sich haben. Weil es kein Rollenmodell und keinen fertigen Instrumentenkasten für weibliche Machtinszenierungen in diesem Land gibt. Und weil deswegen jeder sein Frauenbild auf die eine an der Spitze projiziert.

Hat Merkel Vorbilder?

Angela Merkel hat jetzt die Aufgabe und die Freiheit, dieses Rollenmodell selbst erfinden und liefern zu müssen. Kleine Mädchen werden jetzt zum ersten Mal eine Frau in den Nachrichten sehen, für die überall auf der Welt Soldaten salutieren und rote Teppiche ausgerollt werden. So ein Rollenmodell kann motivieren: An Universitäten, an denen der Professor für Physik eine Frau ist, entwickeln mehr Physik-Studentinnen Lust auf eine wissenschaftliche Karriere. Die Vorbildfunktion gilt daher neben der Quotenregelung als einzig messbar taugliches Instrument zur Frauenförderung.

Ob Merkel selber Vorbilder hat? Auf ihrem Schreibtisch steht ein Porträt von Katharina der Großen. Und an Hillary Clintons Biographie fand sie zweierlei bemerkenswert: Dass die amerikanische Nation so sehr Anteil nahm an der Frisurwerdung der Präsidentengattin und Senatorin. Und dann noch diesen eher komischen Satz: "Frauen sind wie Teebeutel. Du weißt nicht, wie stark sie sind, bis du sie ins heiße Wasser tauchst."

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