Süddeutsche Zeitung

Deutschland und Frankreich:Eine kleine Revolution

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Am Montag ist zum ersten Mal die deutsch-französische parlamentarische Versammlung zusammengetreten. Sie soll das Verhältnis zwischen beiden Ländern nachhaltig prägen.

Von  Nadia Pantel, Paris

Manchmal kommt die Freundschaft zwischen Paris und Berlin pompös daher, manchmal eher unauffällig. Als Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel im Januar den Aachener Vertrag unterzeichneten, saßen sie auf einer Bühne an einem golden verzierten Schreibtisch neben einem ausladenden Blumenbouquet. Die Unterzeichnung des deutsch-französischen Parlamentsabkommens findet in deutlich bescheidenerem Rahmen statt. Man muss in Paris' Repräsentationsgebäuden lange suchen, bis man Räume findet, die so funktional und schmucklos sind wie der Saal, in dem an diesem Montag zum ersten Mal die deutsch-französische parlamentarische Versammlung zusammenkommt. Doch der Eindruck täuscht: Diese Sitzung steht nicht für graue Bürokratie, sondern für eine kleine Revolution im Verhältnis der Nachbarländer.

Zum ersten Mal verzahnen zwei Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ihre Parlamente. 50 Abgeordnete des Bundestages und 50 Abgeordnete der Nationalversammlung werden künftig mindestens zweimal im Jahr zusammenkommen, um über Themen zu debattieren, die auf beiden Seiten des Rheins gleichermaßen aktuell sind. Von Rüstungs- und Verteidigungspolitik über Umweltfragen bis zum Zusammenleben in der Grenzregion. Die Versammlung kann nichts bindend beschließen, doch sie könnte zu einem wichtigen Ratgeber der Parlamente werden. Auch die französischen und deutschen Ausschüsse sollen zusammenarbeiten.

Christophe Arend von der République en marche hat die französische Delegation der Arbeitsgruppe geleitet, die das Parlamentsabkommen ausgearbeitet hat. Im Gespräch mit der SZ nennt er als eines der Ziele der Zusammenarbeit: "Ich will, dass die Leute in der Grenzregion sagen können: Es ist ein echter Zugewinn, direkt neben Frankreich zu leben, es ist ein echter Zugewinn, direkt neben Deutschland zu leben." Und schiebt schnell hinterher: "Der deutsch-französischen Gruppe muss es gelingen, zu zeigen, dass wir kein altes Ehepaar sind, dass sich auf sich selbst zurückzieht. Sondern dass unsere Arbeit andere Parlamente ermutigen kann, das zu machen, was wir tun." Diese Sorge, andere europäische Länder durch zu viel Initiative zu verschrecken, ist inzwischen im Herzen der deutsch-französischen Zusammenarbeit angekommen. Es ist ein Balanceakt zwischen Vorpreschen und Wiederzurückrudern. Paris und Berlin wollen europäische Vorbilder sein, die Exklusivität, die damit einhergeht, wollen sie vermeiden.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble eröffnet den deutsch-französischen Vormittag mit einer Rede, die dem Eindruck entgegenwirken soll, dass Paris und Berlin sich auf sich selbst zurückziehen. Auf den Tag genau vor 62 Jahren wurden die Römischen Verträge unterschrieben, erinnert Schäuble, der Beginn der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Dieses Datum unterstreiche "unseren Willen, die bilaterale Kooperation in einen europäischen Kontext zu stellen". Es klingt, als wäre der 25. März ein Wunschtermin. Tatsächlich hatten die Parlamentarier darauf gehofft, ihre Arbeit zum Jubiläum des Élysée-Vertrags am 22. Januar zu beginnen. Ein Plan, der von Macron, Merkel und der Signierstunde am Pomp-Schreibtisch durchkreuzt wurde. Aus dem Élysée-Vertrag wurde in seiner Neuauflage der Aachener Vertrag und es wirkte, als bliebe die deutsch-französische Freundschaft Chefsache.

Man werde sich noch "viel streiten" über Ideen - nicht mehr entlang nationaler Linien

Spricht man mit dem Parlamentarier Arend, klingt es manchmal, als habe diese Rangelei zwischen Exekutive und Legislative die Abgeordneten von Nationalversammlung und Bundestag zusammenrücken zu lassen. Der Aachener Vertrag sei auf Englisch verhandelt worden, erzählt Arend, das Parlamentsabkommen hingegen auf Französisch und Deutsch. Man arbeite "einfacher, direkter, authentischer".

Parlamentstypisch authentisch wird in dieser ersten deutsch-französischen Versammlung auch direkt gestritten. Der deutsche AfD-Abgeordnete Norbert Kleinwächter nutzt seine Redezeit, um sich einerseits als großer Frankreich-Fan, andererseits als großer Europa-Kritiker zu inszenieren. Er hätte sich "nie träumen lassen, irgendwann mal in diesen heiligen Hallen hier zu sitzen, um zu kritisieren", so Kleinwächter. Michael Georg Link von der FDP kommentiert, der AfD-Mann sei wohl "1919 hängen geblieben". Und Fabio De Masi von der Linken betont, wie kritisch seine Fraktion die deutsch-französische Annäherung in Verteidigungsfragen sehe. Man werde sich noch "viel streiten", so De Masi, nur eben nicht entlang nationaler Linien, sondern "entlang von Ideen". Auf französischer Seite ist die Einigkeit an diesem Tag größer: Der Rassemblement national von Marine Le Pen ist in der Nationalversammlung nicht in Fraktionsstärke vertreten, die Angriffe auf die Europäische Union bleiben aus.

Auch die ewige Frage, inwiefern die deutsch-französischen Beziehungen nun darunter leiden, dass Macron in europäischen Fragen deutlich mehr Fantasie aufbringt als die Regierung in Berlin, wird von den Abgeordneten nicht ausgespart. Er habe im Bundestag gesehen, was er vorher noch nie erlebt habe, sagte der französische Abgeordnete Antoine Herth (Republikaner): "In der Nationalversammlung wurde noch nie so lebhaft über Ideen eines ausländischen Staatschefs diskutiert wie im Bundestag über die Ideen von Emmanuel Macron." Es klingt wie eine Aufmunterung an die deutschen ebenso wie an die französischen Abgeordneten: Man hört auf der anderen Seite der Grenzen inzwischen nicht mehr nur die Stimmen von Regierung und Präsident, sondern auch die der Parlamente.

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SZ vom 26.03.2019
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