Die Podcast-Auftritte der Kanzlerin sind in ihrer Wirkung bislang recht begrenzt geblieben. Zwar wendet sich Angela Merkel inzwischen regelmäßig via Internet an die Öffentlichkeit. Aber fast genauso regelmäßig bleibt das ohne Folgen. So gesehen ist schon sehr interessant, dass die Kanzlerin wenige Tage vor den deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen ausgerechnet diesen Weg wählte, um die Proteste in Hongkong zu kommentieren. Sie sei froh, "dass die Proteste bislang friedlich waren", betonte sie. Und: "Ich hoffe auf eine besonnene Reaktion auch der Polizei."
Schöne, harmlose Sätze waren das, und sehr wahrscheinlich haben weder die Demonstranten in Hongkong noch Chinas Kritiker in Deutschland davon groß Notiz genommen. Nur in Peking ist das, wie man hört, etwas anders gewesen. Kurz vor den am Freitag beginnenden Regierungskonsultationen schwirrten Gerüchte durch Chinas Hauptstadt, aus Protest gegen Merkels Sätze sei schon der deutsche Botschafter zum Gespräch gebeten worden.
Das Gerücht ist am Ende zwar ein Gerücht geblieben. Die Nervosität aber, die stets aufbricht, wenn es um Pekings Menschenrechtspolitik geht, zeigt, wie wackelig die vermeintlich so stabile strategische Partnerschaft zwischen beiden Ländern ist. Auch diese Regierungskonsultationen werden deshalb wieder ein Spagat werden. Obwohl die Verbindungen zwischen den Regierungen und den Volkswirtschaften wahrscheinlich noch nie so eng waren wie heute, wird es auf kleinste Nuancen ankommen, um keinen Affront auszulösen. Vielleicht hat Merkel Hongkong deshalb Tage vorher übers Internet angesprochen. Das war klein genug, um keinen offenen Krach auszulösen. Und doch kann seither kein China-Kritiker mehr behaupten, sie habe es unerwähnt gelassen.
Peking wird zunehmend vom Juniorpartner zu einem Wettbewerber auf Augenhöhe
China pflegt mit keinem anderen Land Konsultationen, die bis hinauf zum Premierminister reichen. Vierzehn chinesische Minister werden am Freitag auf zwölf deutsche Kollegen treffen, und dabei wird es um mehr als 100 gemeinsame Projekte gehen. Im Zentrum soll eine sogenannte Innovationspartnerschaft stehen. Doch was besonders klug klingen soll, birgt Risiken. Während Peking darunter vor allem mehr Austausch von Hochtechnologie versteht, versucht Berlin den Begriff auf andere Bereiche auszudehnen. Umwelt und Klimaschutz, Landwirtschaft und Lebensmittel, aber auch Gesellschaftspolitik, Bildung und Demokratie sollen dazugehören. Die Bundesregierung hofft, unter dem Dach des Begriffs darüber zu diskutieren, dass ,,eine Gesellschaft nur dann wirklich innovativ sein kann, wenn ihre Menschen auch wirklich frei denken dürfen'', wie es ein Berliner Regierungsmitglied ausdrückt. Ob das gelingt? Immerhin sei die chinesische Seite bei der Vorbereitung "gesprächsbereit" gewesen, heißt es.
Das freilich könnte auch daran liegen, dass Peking wie Berlin mit schlechteren Wirtschaftsdaten zu kämpfen haben und sich mehr denn je brauchen. Beide Volkswirtschaften haben sich in den vergangenen zehn Jahren gut ergänzt. Mittlerweile aber wird die Lage angespannter. Eine Umfrage der Berliner Mercator-Stiftung unter deutschen Unternehmen zeigt, dass die Geschäftsbedingungen immer härter werden und die Unternehmen vermehrt nach Alternativen zum chinesischen Markt suchen.
China ist für viele deutsche Konzerne unersetzlich
Das dürfte vor allem mit dem Bestreben vieler chinesischer Firmen zusammenhängen, den Deutschen dort Konkurrenz zu machen, wo diese bisher den Weltmarkt anführten. China werde zunehmend "vom Juniorpartner zum Wettbewerber", sagt Marc Szepan von Mercator. Dabei spielt auch Spionage eine Rolle. Deutschen Sicherheitskreisen zufolge vergeht keine Woche ohne Hacker-Angriffe aus China auf deutsche Mittelständler. Ob die deutsche Seite auch das ansprechen wird? Bei allem Ärger ist nämlich klar, dass der chinesische Markt bislang unersetzlich ist für viele deutsche Konzerne.
Auf alle Fälle angesprochen werden sollen die Fälle zweier Deutscher, die in China im Gefängnis sitzen und denen die Todesstrafe droht. Ebenso sicher wird es bei den Gesprächen um Visa-Erleichterungen auf beiden Seiten gehen - und um die Schwierigkeiten deutscher politischer Stiftungen, die in China arbeiten. Der Ton wird wohl freundlich bleiben. Denn neben wirtschaftlichen Interessen verfolgen Berlins Diplomaten auch politische Ziele: Sie werden versuchen, Peking dafür zu gewinnen, mit Blick auf den Nahen Osten und die Ukraine mäßigend auf Moskau einzuwirken. Seit Russland sich wegen der Ukraine-Krise im Konflikt mit dem Westen befindet, ist Wladimir Putin immer stärker von guten Beziehungen zu China abhängig. Berlin sieht daher eine Chance, über Peking entspannend auf Putin einzuwirken.