Polen:Das Pochen auf die Rechtslage passt nicht zur deutschen Verantwortung

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Ein Graffiti in Wieluń zeigt ein Flugzeug, das Bomben abwirft, mit dem Datum 1939 und der Uhrzeit 4:40. (Foto: dpa)

80 Jahre nach Kriegsbeginn instrumentalisiert die PiS die Geschichte - und zwingt so die Deutschen, sich den Versäumnissen der Vergangenheit zu stellen.

Kommentar von Daniel Brössler, Berlin

Dreißig Jahre nach dem großen Umbruch in Europa bestimmt ein großes Paradoxon die deutsch-polnischen Beziehungen. Sie sind sowohl miserabel als auch ausgezeichnet. Große Nähe und erhebliches Misstrauen gehen Hand in Hand. Wenn Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an diesem Sonntag an den Gedenkfeiern zum 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen und des Beginns des Zweiten Weltkriegs teilnimmt, wird er beides zu spüren bekommen - sowohl den Wunsch nach enger Partnerschaft als auch die Verbitterung darüber, dass das ungeheure Leid der Polen während der deutschen Besatzung keinen angemessenen Platz im kollektiven Gedächtnis der Deutschen zu haben scheint.

Unvergleichlich stärker als ihre liberalen Vorgänger haben Polens Regierende von der national orientierten Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) diesem Empfinden Ausdruck verliehen - und ganz im Gegensatz zu ihren Vorgängern sind sie auch stets bereit, es innenpolitisch für sich nutzbar zu machen. Die Forderung nach Reparationen mag rechtlich aussichtslos sein und das Verhältnis zu Deutschland belasten. Sie zahlt sich aber aus, um vor der Parlamentswahl Stimmung zu machen. Es gehört geradezu zum Markenkern der PiS, Geschichtspolitik zu instrumentalisieren, das sollten sich auch die Deutschen klarmachen. Falsch wäre es jedoch, wegen dieser Instrumentalisierung den polnischen Ärger über oft zu Recht beklagte deutsche Ignoranz nicht ernst zu nehmen.

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Wer sich zur Verantwortung für die von Deutschen während des Zweiten Weltkriegs begangenen Untaten bekennt, muss das auch und gerade unter schwierigen Umständen tun. In dieser Hinsicht stehen die deutsch-polnischen Beziehungen an einem historisch entscheidenden Punkt. Nach der Zeitenwende vor 30 Jahren hatten die Deutschen in Warschau so weltoffene und großherzige Partner für die Aussöhnung wie den einstigen Außenminister und Auschwitz-Überlebenden Władysław Bartoszewski. Dass dies nun anders ist, bedeutet in gewisser Weise auch eine Chance. Die deutsch-polnische Aussöhnung muss und kann sich unter schwierigsten Bedingungen beweisen.

Das zwingt die Deutschen aber, sich den Versäumnissen der Vergangenheit zu stellen. Dazu gehören Überlegungen für ein Mahnmal, das in Berlin an die polnischen Opfer der Nazis erinnert. Und dazu sollte auch die Bereitschaft gehören, den wenigen noch lebenden Opfern materiell zu helfen. Das bloße Pochen auf die Rechtslage passt jedenfalls nicht zu den Reden von der deutschen Verantwortung.

Im Verhältnis zu Polen geht es im Übrigen nicht nur um historische Verantwortung, sondern auch um strategische Ziele für die Zukunft. Wirtschaftlich ist Polen das dynamischste Land der Region. Als Handelspartner ist es für Deutschland mittlerweile wichtiger als Großbritannien. Zum gegenseitigen Nutzen sind die Volkswirtschaften miteinander verflochten. Einer politischen Partnerschaft, die annähernd so eng wäre wie jene zu Frankreich, aber steht die Agenda der jetzigen Regierung entgegen, die eine Gefahr für Rechtsstaat und Demokratie in Polen und damit auch in Europa darstellt.

Polen wird dringend gebraucht als östliche Führungskraft in der EU. Die Entscheidung, ob sie das sein wollen, liegt bei den Polen. Deutschlands Aufgabe liegt darin, ihnen diesen Weg offenzuhalten.

© SZ vom 31.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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