Die Regierungen von Deutschland und Polen haben in Warschau einen bilateralen Aktionsplan beschlossen, der die Zusammenarbeit beider Länder auf eine neue Grundlage stellen soll. Konkrete finanzielle Vereinbarungen zu Weltkriegsentschädigungen und Militärhilfe sind in dem Plan allerdings nicht enthalten, wie sich aus dem von der Bundesregierung verbreiteten Papier ergibt.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) war gemeinsam mit zwölf Bundes- und Staatsministern zu den deutsch-polnischen Regierungskonsultationen nach Warschau gereist. Es ist das erste Mal seit November 2018, dass dieses Treffen wieder stattfindet. In den vergangenen Jahren hatte die nationalkonservative PiS-Regierung, die Polen von 2015 bis 2023 führte, das Verhältnis mit antideutschen Tönen und Reparationsforderungen in Höhe von 1,3 Billionen Euro zerrüttet. Mit der Mitte-links-Regierung von Donald Tusk soll nun ein Neustart in den Beziehungen beider Länder beginnen.
Der Aktionsplan sieht eine engere Zusammenarbeit in einer Vielzahl von Feldern vor – etwa bei Grenzkontrollen, Migration und Sicherheit. Ein großer Teil des 40-seitigen Papiers befasst sich mit dem Thema Verteidigung. Eine Übersicht zu den wichtigsten Punkten:
Grenzkontrollen und Migration
„Wir werden darauf hinwirken, dass der Schengen-Raum ohne Grenzkontrollen an den Binnengrenzen reibungslos funktioniert, indem wir die grenzüberschreitende Polizeizusammenarbeit verbessern“, heißt es. Da derzeit aber Kontrollen auch an den deutsch-polnischen Grenzen nötig seien, wolle man die Auswirkungen auf den Straßenverkehr sowie auf den freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen und Personen zumindest minimieren. Die jüngst eingerichtete gemeinsame Taskforce gegen Schleusungskriminalität und die gemeinsamen Patrouillen auf polnischem Hoheitsgebiet sollen fortgesetzt werden. Beide Regierungen fordern eine solidarischere Lastenverteilung in der EU bei der Aufnahme und Finanzierung ukrainischer Kriegsflüchtlinge.
Sicherheit und Verteidigung
Russland wird in dem gemeinsamen Papier als die größte Bedrohung für den Frieden in Europa genannt. Zudem wird eine engere Zusammenarbeit in einer Reihe von Feldern wie der militärischen Logistik oder der Treibstoffversorgung der Nato angestrebt. „Wir beabsichtigen, gemeinsame Initiativen zu eruieren und zu entwickeln, insbesondere im Bereich Panzer und Munition“, heißt es zum Rüstungsbereich. Hier dringt Polen darauf, Zugang zu westlichen Technologien zu bekommen. Beide Regierungen wollen auch über die mögliche Reparatur von an die Ukraine gelieferten Leopard-2-Panzern reden. Polen erwägt zudem, sich an der von Deutschland koordinierten Initiative „European Sky Shield“ zu beteiligen. „Polen ist mit der Absicht Deutschlands einverstanden, den Aufbau interoperabler bodengebundener Luftverteidigungsfähigkeiten in Europa zu beschleunigen und Synergien durch gemeinsame Übungen, Logistik, Sicherung der Durchhaltefähigkeit und Einsätze sowie Interoperabilität zu nutzen“, heißt es.
Russland und die Ukraine
Beide Regierungen betonen, dass Russland die größte und „unmittelbarste“ Gefahr für den Frieden in Europa sei. Gemeinsam wird die Entschlossenheit betont, weitere Sanktionen gegen Russland zu verhängen und die Ukraine in ihrem Abwehrkampf zu unterstützen. Auch die Sanktionen gegen Belarus sollen verstärkt werden. Geplant ist darüber hinaus eine Abstimmung im Abwehrkampf gegen von Russland ausgehende Desinformation.
Reparationen und Vergangenheit
Reparationen werden in dem Aktionsplan nicht erwähnt – vor allem keine Zahlen für Leistungen aus Deutschland an überlebende polnische NS-Opfer. Deutschland bekennt sich aber zu der Verantwortung für die Gräuel des Nationalsozialismus. „Die beiden Regierungen führen einen intensiven Dialog über Maßnahmen zur Unterstützung für die noch lebenden Opfer des deutschen Angriffs und der Besatzung in den Jahren 1939 bis 1945, des Gedenkens sowie der Sicherheit“, heißt es allgemein. Eine wichtige Rolle werde dabei die Stiftung Deutsch-Polnische Aussöhnung spielen.
EU-Reformen
Beide Regierungen betonen, eine „ehrgeizige“ Reformagenda in der EU vorantreiben zu wollen und sich dabei eng abzustimmen. Dazu soll eine bilaterale Gruppe ins Leben gerufen werden. Berlin und Warschau bekennen sich sowohl zur geplanten Erweiterung der EU als auch zu inneren Reformen. Dies ist ein Bruch zur europa- und deutschlandkritischen Politik der nationalkonservativen PiS-Vorgängerregierung in Warschau. „Die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit ist daher eine Grundvoraussetzung für eine Stärkung der EU insgesamt“, wird deshalb auch betont.
Wirtschaft, Umwelt und Verkehr
Beide Regierungen bekennen sich zu einer Kapitalmarktreform in der EU und Investitionen in geostrategisch wichtige Bereiche. Auch die polnische Regierung bekennt sich zum ökologischen Umbau der Energieversorgung. Zudem soll eine deutsch-polnische Arbeitsgruppe für Energie und Klima eingerichtet werden. Die PiS-Regierung hatte stark auf Kohle gesetzt. Bestehende Bahnstrecken sollen ausgebaut werden und „mögliche zukünftige Infrastrukturprojekte, die Polen und Deutschland verbinden“, geprüft werden – sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr. Diese Projekte will man gemeinsam auch bei der Aufstellung des Arbeitsprogramms der neuen EU-Kommission vertreten.
Raffinerie in Schwedt
Beide Regierungen bekennen sich dazu, die deutsch-polnische Zusammenarbeit von Unternehmen in den Bereichen Rohöl-Infrastruktur und Stabilität der Kraftstoffversorgung von Deutschland nach Polen zu fördern. „Wir werden uns im Hinblick auf die Sicherstellung der Öllieferungen an die Raffinerie PCK in Schwedt, den Bedarf und Status von Öllieferungen an die Raffinerie PCK in Schwedt über das polnische Unternehmen Naftoport und dessen Eigentümerstatus abstimmen“, heißt es dazu. Bei einer Störung der Transitflüsse durch Russland will man zusammenarbeiten, um eine stabile Versorgung der PCK in Schwedt zu gewährleisten.