Deutschland:Niedrigste Arbeitslosigkeit seit 25 Jahren

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Die Erwerbslosenzahl sinkt im Herbst überraschend auf 2,54 Millionen. Als Ursache sehen Experten die Agenda 2010. Nicht in die Statistik aufgenommen sind Tausende Flüchtlinge, die auf einen Job hoffen, aber noch in Kursen geschult werden.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

In Deutschland sind so wenige Menschen arbeitslos gemeldet wie seit kurz nach der Wiedervereinigung im Jahr 1990 nicht mehr. Die Bundesagentur für Arbeit registrierte im Oktober 68 000 Menschen weniger auf der erfolglosen Suche nach einem Job als im September. Damit sank die Zahl der gemeldeten Arbeitslosen auf 2,54 Millionen und eine Quote von 5,8 Prozent. Agenturchef Frank-Jürgen Weise sagte in Nürnberg, der Arbeitsmarkt habe sich im Oktober "gut entwickelt".

Der Sachverständigenrat der Bundesregierung geht davon aus, dass die gute Lage auf dem deutschen Arbeitsmarkt anhalten wird. Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft sei insgesamt sehr gut, sie befördere den Absatz von Waren und Dienstleistungen und damit Beschäftigung, sagte der Wirtschaftsweise Lars Feld der Süddeutschen Zeitung. Die Wirtschaftsweisen legten an diesem Mittwoch ihr Jahresgutachten für 2016/2017 vor.

Die Zahl der Erwerbstätigen war zuletzt im September auf den Rekordwert von 43,8 Millionen gestiegen, für das kommende Jahr werden 44,3 Millionen Erwerbstätige vorausgesagt. Dass die Beschäftigung einen Rekord nach dem anderen bricht, führen die Wirtschaftsweisen zum einen auf frühere Arbeitsmarktreformen wie die Agenda 2010 zurück. Das anhaltende Jobwunder ist nach Ansicht des Wirtschaftsweisen Peter Bofinger allerdings auch dadurch begründet, dass viele Jobs in Dienstleistungsbranchen entstehen. Diese Arbeitsplätze seien "nicht so produktiv wie Jobs in der Industrie", sagte Bofinger der SZ. Es müssten also vergleichsweise mehr Jobs geschaffen werden, um dieselbe Produktivität zu erreichen. Insgesamt jedoch zeuge das Jobwunder "vom Wandel Deutschlands zur Dienstleistungsgesellschaft".

Der Sachverständigenrat betrachtet die Integration anerkannter Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt als mittelfristig machbar. Deren Erwerbslosenquote werde von 75 Prozent im laufenden Jahr auf weniger als 40 Prozent im Jahr 2021 fallen, schreibt der Rat im Jahresgutachten. Derzeit werden rund 230 000 Flüchtlinge, die Interesse an einem Job haben, noch nicht in der Statistik der Arbeitsagentur mitgezählt, weil sie in Kursen geschult werden. Sobald sie dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, dürfte die Arbeitslosenquote leicht ansteigen. Davon geht auch die Arbeitsagentur aus.

Die Wirtschaftsweisen übten zugleich heftige Kritik an der Bundesregierung, die es versäume, das Land zu modernisieren. Nötig seien Reformen in der Bildung und in der Altersvorsorge. Sie empfehlen, das Renteneintrittsalter für Jahrgänge ab 2009 auf 71 Jahre anzuheben. Um neue Arbeitskräfte schneller in Jobs zu bringen, soll der Niedriglohnsektor nicht weiter durch Lohnvorgaben eingeschränkt werden.

Die Bundesregierung wies die Kritik der Wirtschaftsweisen zurück. Die Politik der großen Koalition sei erfolgreich, die Wirtschaft "in guter Verfassung", ließ Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel mitteilen.

© SZ vom 03.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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