Süddeutsche Zeitung

Nationale Sicherheitsstrategie:Die Verbündeten werden langsam ungeduldig

Lesezeit: 3 min

Das Konzept für die Sicherheit Deutschlands könnte noch etwas Zeit benötigen. Alle Partner, voran die USA, fragen sich inzwischen, was des Kanzlers Zeitenwende konkret bedeutet.

Von Paul-Anton Krüger, Nicolas Richter und Henrike Roßbach, Berlin

Für den Donnerstag ist in Berlin ein Treffen von politischen Spitzenbeamten anberaumt. Das Ampelbündnis will damit einen Konflikt entschärfen, der Deutschlands Ansehen in der Welt nicht zuträglich ist: Vertreter von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) sollen den Entwurf für die im Koalitionsvertrag verabredete Nationale Sicherheitsstrategie konsolidieren - dass diese dann wie geplant noch vor der Münchner Sicherheitskonferenz am dritten Februarwochenende durchs Kabinett geht, gilt in allen drei Häusern als möglich. Es sei aber auch nicht auszuschließen, dass es länger dauern könnte, heißt es.

Das Auswärtige Amt wollte das unter seiner Federführung erstellte und bisher wichtigste Grundlagenpapier der Koalition noch vor Weihnachten in die Ressortabstimmung geben, um den Termin zu schaffen. Dem Vernehmen nach haben aber Kanzleramt und Finanzministerium um mehr Zeit gebeten und den weiteren Prozess verschoben, wie Spiegel und Welt kurz vor Jahreswechsel zuerst berichtet hatten.

Wie detailliert soll das Dokument sein? Umfangreicher als das der Vereinigten Staaten?

Sowohl der Kanzler als auch seine Außenministerin haben sich in München beim alljährlichen Hochamt der Sicherheitspolitik angesagt - da wäre es hilfreich, ein gemeinsames Papier vorweisen zu können, vor allem aber eine einheitliche Position. Denn Verbündete, allen voran die USA, fragen sich inzwischen, was des Kanzlers Zeitenwende konkret bedeutet, nicht zuletzt im Umgang mit China. Doch es gibt noch Diskussionsbedarf, zu viele offene Punkte, heißt es in der Regierung. Hinter mancher Formalie jedoch verbergen sich Konflikte in der politischen Substanz.

Manchem ist der Entwurf des Auswärtigen Amtes zu weitschweifig. Man könnte bei etwa 60 Seiten landen - viel mehr aber solle es nicht werden. Die US-Sicherheitsstrategie hat nur 48 Seiten. In Koalitionskreisen heißt es, Ziel sei es nicht, ein außenpolitisches Grundsatzseminar abzuhalten, sondern eine knappe Beschreibung zu liefern, wie sich die Welt verändert habe und welche Rolle Deutschland darin spiele. Das Dokument dürfe nicht so sehr ins Detail gehen, dass kein Gestaltungsraum mehr bleibe.

Baerbock dagegen legt Wert auf den Begriff "integrierte Sicherheit" und darauf, dass die Sicherheitsstrategie bindend für die gesamte Regierung sein müsse. Gestaltungsraum kann auch eine Vokabel sein, mit der sich unliebsame Grundsatzentscheidungen umschiffen lassen, etwa in der Beziehung zu Peking. Das Ansinnen des Auswärtigen Amtes ist es, Zielkonflikte in der Regierung verbindlich zu klären und dabei aus Fehlern der Vergangenheit zu lernen.

Ein Beispiel ist die Energieversorgung, bei der sich Deutschland lange von Russland abhängig gemacht und sogar seine Gasspeicher an den russischen Staatskonzern Gazprom verkauft hat. Der langjährige sicherheitspolitische Berater von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), Christoph Heusgen, hatte es jüngst im Handelsblatt als Fehler bezeichnet, dass Wirtschaftsinteressen dabei über sicherheitspolitische Bedenken gestellt worden seien.

In dieselbe Kategorie fällt aus Sicht von Baerbocks Leuten etwa die Debatte um die Beteiligung des chinesischen Konzerns Huawei an der Infrastruktur für das schnelle Mobilfunknetz 5G. Oder der Einstieg des Cosco-Konzerns bei einem Container-Terminal im Hamburger Hafen, den Kanzler Scholz gegen Widerstand von Ressorts aller drei Koalitionspartner durchgedrückt hatte.

Der integrierte Sicherheitsbegriff bedingt aus Baerbocks Sicht, dass derlei sicherheitsrelevante Fragen, die nicht in die Zuständigkeit des Auswärtigen Amtes oder des Verteidigungsministeriums fallen, in der Strategie zumindest im Grundsatz geklärt werden, und nicht Gegenstand von Ad-hoc-Entscheidungen werden, bei denen sicherheitspolitische Argumente dann wieder übergangen werden.

Baerbock hat zudem deutlich gemacht, dass sie eine Zuständigkeit des Bundes für die Abwehr von Cyberangriffen samt der dafür nötigen Grundgesetzänderung ebenso für sinnvoll hält wie eine Ausweitung der Kompetenzen beim Katastrophenschutz. Das erzürnt das SPD-geführte Innenministerium und die Länder. Ministerpräsidenten aus der Union und der SPD beschwerten sich öffentlich über mangelnde Einbindung; die Länder sollen nun Mitte Januar über den Stand der Arbeiten informiert werden.

Die Union schlägt einen deutschen Sicherheitsrat vor. Die Koalition ist dagegen

Strukturell ist das Verteidigungsministerium, ebenfalls SPD-geführt, ins Hintertreffen geraten. Bisher hatte es das Weißbuch verantwortet, in dem die verteidigungs- und sicherheitspolitischen Linien der Bundesregierung vorgezeichnet wurden. Das sicherheitspolitische Grundsatzkapitel aus dem Auswärtigen Amt war dort bei der letzten Abfassung im Bezug auf Russland "weichgespült" worden - derlei wollen die Grünen nun bei der Analyse Chinas vermeiden. Umgekehrt will Ministerin Christine Lambrecht das Zwei-Prozent-Ziel der Nato für Verteidigungsausgaben festschreiben und Exporte aus europäischen Rüstungsprojekten vereinfachen - was bei den Grünen auf Widerstand stößt.

Strittig ist dem Vernehmen nach auch, welche Strukturen geschaffen werden sollen für die regierungsinterne Koordinierung in sicherheitspolitischen Krisen - ob dabei das Kanzleramt eine größere Rolle spielen soll. Die Union hatte vorgeschlagen, einen Nationalen Sicherheitsrat einschließlich eines Nationalen Sicherheitsberaters zu schaffen und beim Kanzleramt anzusiedeln.

Dass noch nichts durchgesickert ist, könnte bei der Kompromisssuche helfen

Dazu heißt es in Koalitionskreisen, ein solches Konzept passe gut zu einem präsidialen System wie den USA, nicht aber zu einem parlamentarischen wie dem deutschen, wo mehrere Koalitionspartner mitredeten. Ein Sicherheitsrat würde zwar im Interesse des Kanzleramtes liegen - aber nicht unbedingt im Interesse seiner Koalitionspartner. Es brauche aber bessere Prozesse.

Zu hören ist auch, dass die Sicherheitsstrategie zu wichtig sei für Formelkompromisse unter Zeitdruck, sie werde nicht nur für ein Jahr verfasst. Außerdem müsse man sich noch mit Partnern und Verbündeten absprechen. Nachdem der ebenfalls im Auswärtigen Amt erarbeitete Entwurf für eine nachgelagerte China-Strategie öffentlich wurde, ist der bisher vorliegende Text für die Sicherheitsstrategie als "vertraulich" deklariert, die zweite von vier Sicherheitsstufen, und bislang auch nicht in Teilen durchgesickert. Das könnte die Suche nach Kompromissen erleichtern.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5726333
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.