Außenpolitik:Deutschland ist zu sehr mit sich selbst beschäftigt

Bundestag

Bleiben in Deckung: Kanzlerin Angela Merkel und Bundesaußenminister Heiko Maas,

(Foto: dpa)

Trump erschüttert den Westen, Putin bombt Syriens Präsidenten zum Sieg, China wird zur globalen Macht. Und Deutschland? Ist leider unpässlich für seine Aufgaben in der Welt.

Kommentar von Daniel Brössler

Vor 15 Jahren blickte die Welt mit Sorge auf Deutschland. Während es anderswo aufwärtsging, wollte die Konjunktur in der größten Volkswirtschaft der Europäischen Union nicht anspringen. Der "deutsche Patient" sei ernstlich krank, diagnostizierte damals der Economist.

2018 schaut die Welt wieder nach Deutschland. Diesmal nicht der Wirtschaft wegen; sie ist gesund. Deutschlands Schwäche ist anderer Art. US-Präsident Donald Trump erschüttert lustvoll die westliche Welt, Kremlchef Wladimir Putin bombt den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad zum Sieg, und China baut in aller Ruhe seine globale Macht aus. Derweil ist der Berliner Betrieb mit sich selbst beschäftigt. Deutschland ist unpässlich.

Von vorneherein einfach "Nein" zu sagen, egal, was auf der Welt passiere, könne nicht die deutsche Haltung sein, hat Angela Merkel vergangene Woche im Bundestag gesagt. So signalisierte die Kanzlerin den Verbündeten, dass sie sich persönlich die Beteiligung der Bundeswehr an Militäraktionen vorstellen könne, sollte Assad bei der Eroberung von Idlib Chemiewaffen einsetzen. Zugleich rügte sie auf diese Weise ihren Koalitionspartner SPD dafür, eine solche Beteiligung präventiv ausgeschlossen zu haben. Im Ergebnis aber wissen Amerikaner, Briten und Franzosen, was sie im Ernstfall von den Deutschen zu erwarten haben: nichts.

Dieses Nichts wird in Deutschland überwiegend nicht als Problem wahrgenommen. Das Grundgesetz setzt dem Einsatz militärischer Gewalt im Ausland klare Grenzen. Hinzu kommt ein Ausmaß parlamentarischer Beteiligung, das Deutschlands Verbündete in dieser Form nicht kennen.

Suche nach dem richtigen Maß zwischen Selbstbeschränkung und Solidarität

Diese Schutzmauer ist aus guten historischen Gründen errichtet worden, bietet aber auch bequeme Deckung, wenn andere ins Feuer gehen. Als im April nach dem Einsatz von Giftgas in Duma Amerikaner, Briten und Franzosen Marschflugkörper nach Syrien schickten, hieß die Bundesregierung das gut, schloss aber eine eigene Beteiligung aus.

Seit Ende des Kalten Krieges besteht eine der großen Aufgaben deutscher Politik darin, das richtige Maß zu finden zwischen militärischer Selbstbeschränkung und dem Solidaritätsbedürfnis der Verbündeten in einer sich ständig verändernden Welt. Es ist ein Weg, der die Bundeswehr mit der Nato zuerst auf den Balkan und dann nach Afghanistan geführt hat. Deutschland könne und müsse mehr tun, um seiner Verantwortung in der Welt gerecht zu werden, hatte der damalige Bundespräsident Joachim Gauck 2014 gefordert.

Fast fünf Jahre danach ist von diesem Anspruch nicht viel übrig. Wach wird das politische Berlin immer dann, wenn es zu erklären gilt, warum Deutschland etwas eben gerade nicht tun kann. Zum Beispiel die Verteidigungsausgaben perspektivisch auf zwei Prozent der Wirtschaftskraft zu erhöhen.

Debatten im Bundestag schwer in Einklang zu bringen mit der Wirklichkeit

Kurioserweise geht ausgerechnet das mit einem beachtlichen Maß an Selbstüberschätzung einher. In der Debatte darum, ob neuerliche Giftgasverbrechen an Syriens Zivilbevölkerung militärisch verhindert oder beantwortet werden sollen, hat die Bundesregierung auf ihre diplomatischen Bemühungen verwiesen, während die Opposition genau diese als unzureichend gebrandmarkt hat. Das ist in Ordnung.

Entstanden ist aber der absurde Eindruck, Kanzlerin Merkel und Außenminister Heiko Maas müssten sich nur ein bisschen mehr anstrengen, und schon könnten die Menschen in Idlib vor dem Schlimmsten bewahrt werden. Es ist schwer geworden, die Debattenlage im Bundestag in Einklang zu bringen mit der hässlichen Wirklichkeit in der Welt.

Es ist eine Wirklichkeit, in der gerade jenes Fundament zerbricht, auf dem über Jahrzehnte auch deutscher Wohlstand und deutsche Sicherheit fußten. Die Unverletzlichkeit von Grenzen in Europa ist spätestens seit der russischen Aggression gegen die Ukraine nur noch Wunsch und nicht mehr Wirklichkeit.

Eine mutige Agenda in der Außenpolitik ist nicht in Sicht

Autoritäre Parteien höhlen die EU von innen aus, Donald Trump traktiert die westliche Wertegemeinschaft mit dem Vorschlaghammer. In dieser Lage kann niemand fertige Antworten erwarten. Wichtig aber wäre das Gefühl, dass die Politik existenziellen Bedrohungen die nötige Aufmerksamkeit und Ernsthaftigkeit schenkt.

Europa müsse ein Gegengewicht bilden, wo die USA rote Linien überschreiten, fordert Außenminister Maas. Trumps "America first" sei ein "Europe United" entgegenzuhalten. So gut das klingt: Dafür fehlt es Europa, Deutschland und speziell auch dieser Bundesregierung an Glaubwürdigkeit und Stärke.

Maas beschwört nun eine globale Allianz der Multilateralisten, die bereit und in der Lage wäre, Trump die Stirn zu bieten. In der Praxis ist von so einer Allianz kaum etwas zu erkennen und noch weniger etwas davon, dass Deutschland bereit und in der Lage wäre, sich an deren Spitze zu stellen. Eine mutige Agenda in der Außenpolitik ist bislang nicht in Sicht. Der deutsche Patient schwört auf weiße Salbe.

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