Ziemlich genau ein Jahr ist es her, da fand die „EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur“ doch noch eine Mehrheit. Handstreichartig stimmte die damalige österreichische Umweltministerin Leonore Gewessler der Verordnung zu. Im Kreis der EU-Staaten war damit die Mehrheit in letzter Minute gesichert, Österreich dagegen stürzte der Vorstoß der grünen Ministerin in eine Koalitionskrise. Dieser Tage erst hat der Naturschutzbund Österreich den 17. Juni zum „Tag der Renaturierung“ erklärt – denn Naturschützer feiern das Gesetz. Viele Landwirte dagegen weniger.
Und für die ziehen nun neun Unionslandwirtschaftsminister ins Feld. In einem Brief an die EU-Kommission verlangen sie nicht weniger als die Abschaffung des neuen Gesetzes.
Die Verordnung ist schon in Kraft getreten
„Angesichts der aktuellen globalen Herausforderungen wie steigende Zölle auf Agrarprodukte, zunehmende Risiken durch eine europaweite Dürre sowie der Bedeutung einer souveränen europäischen Lebensmittelversorgung, halten wir diese Verordnung in ihrer jetzigen Form für kontraproduktiv“, heißt es in dem Schreiben, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt.
Wobei kontraproduktiv durchaus wörtlich gemeint sein dürfte: Denn gerade auf die intensive Landwirtschaft dürften mit der Verordnung Einschnitte zukommen.
Dafür sorgt deren Artikel 4: Danach sollen Ökosysteme, die nicht mehr intakt sind, sich Schritt für Schritt erholen. Bis 2030 sind demnach 30 Prozent aller angegriffenen Lebensräume „in einen guten Zustand zu versetzen“. Bis 2040 soll das 60 Prozent der Flächen betreffen, bis 2050 dann 90 Prozent. Wo solche Ökosysteme schon nicht mehr vorhanden sind, sollen sie schrittweise wiederhergestellt werden, und wo sie noch in gutem Zustand sind, darf der sich nicht verschlechtern. Die Umsetzung in den Mitgliedstaaten soll über „nationale Wiederherstellungspläne“ laufen, vorzulegen bis August 2026.
Das Ganze ist gewissermaßen der Naturschutzteil des europäischen Green Deals; im vorigen August trat das Gesetz in Kraft, nachdem auch das EU-Parlament zugestimmt hatte. Doch der Widerstand ebbt nicht ab, zumal die Europäer sich gerade daranmachen, per „Omnibus-Verordnung“ etwa das eigene Lieferkettengesetz und die Nachhaltigkeitsregeln für Unternehmen noch einmal abzuschwächen.
„Ich bin sehr froh, dass wir diese Gesetzesgrundlage zum Schutz der Natur haben.“
Dergleichen schwebt den Landesministern nun auch für das Wiederherstellungsgesetz vor. Allein die Forderungen aus Artikel 4 könnten einen Finanzbedarf von 1,7 Milliarden Euro jährlich nach sich ziehen, warnen die Minister. Woher dieses Geld kommen soll, sei unklar. „Vor diesem Hintergrund bitten wir Sie, die Verordnung zur Wiederherstellung der Natur in der nächsten Omnibus-Verordnung vollständig aufzuheben“, verlangen die Länder.
Stattdessen solle ein komplett neues Regelwerk entstehen, „das sowohl dem Ziel des Naturschutzes als auch den berechtigten Interessen der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft gerecht wird“. Die derzeitige Regelung sei ein „Bürokratiemonster“, sagt Sachsen-Anhalts Landwirtschaftsminister Sven Schulze (CDU), der den Brief initiiert hatte. „Das können wir so nicht länger akzeptieren.“
Dass das Unterfangen fruchtet, ist allerdings ungewiss – schließlich ist das Gesetz längst verabschiedet. Auch die Bundesregierung dürfte sich kaum für die Belange der Unionsminister einsetzen. „Von einer Abschaffung dieses Gesetzes halte ich nichts“, sagte Bundesumweltminister Carsten Schneider (SPD) der SZ. „Ich bin sehr froh, dass wir diese Gesetzesgrundlage zum Schutz der Natur haben.“
Gerade die Landwirtschaft sei auf intakte Böden angewiesen, warnt der DNR-Präsident
Erst kürzlich hatte er sich die Klagen der Länder bei einer Umweltministerkonferenz anhören müssen, doch ging es dort weniger um das Ob als ums Wie. Wenig später teilte das Ministerium mit, dass es sich für etwas Aufschub bei der Einreichung eines nationalen Plans einsetzen werde, über den September 2026 hinaus.
Schon die Idee so einer Fristverlängerung sei skandalös, findet Grünen-Umweltpolitiker Jan-Niclas Gesenhues. Der „Frontalangriff“ der Unionsminister auf das Gesetz sei aber nachgerade gefährlich. „Das setzt unsere Lebensgrundlagen aufs Spiel“, warnt Gesenhues. Und auch Umweltverbände schlagen Alarm.
Deren Dachverband, der Deutsche Naturschutzring (DNR), verweist darauf, dass derzeit fast 70 Prozent der deutschen Lebensräume in einem unzureichenden oder schlechten Zustand seien. Dabei sei gerade die Landwirtschaft auf intakte Böden und gesunde Ökosysteme angewiesen, warnt DNR-Präsident Kai Niebert. Wer das Aus des zentralen Regelwerks für die Natur fordere, statt an seiner möglichst bürokratiearmen Umsetzung zu arbeiten, „verhöhnt die Bedarfe von Natur und Landwirtschaft“.