Kritische Infrastruktur:Wie sich Deutschland vor Saboteuren schützen will

Kritische Infrastruktur: Behörden wie Unternehmen müssen sich wohl auch für Hackerangriffe rüsten.

Behörden wie Unternehmen müssen sich wohl auch für Hackerangriffe rüsten.

(Foto: Oliver Berg/dpa)

Verfassungsschützer und Sicherheitsexperten warnen vor Angriffen auf verwundbare Infrastruktur. Im Konflikt mit Russland und China drohen Spionage, Zerstörung und Hackerattacken.

Von Christoph Koopmann, Berlin

Es gehört zur Jobbeschreibung eines Nachrichtendienstlers, Gefahren möglichst realistisch einzuschätzen. Sinan Selen, Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) sagt: "Nachrichtendienstler neigen nicht zu Superlativen." Erst sein Nachsatz kann Anlass zur Sorge geben: "Aber angesichts der aktuellen Sicherheitslage..." Die Welt, sagt er, sei in Aufruhr: Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, Chinas Drohgebärden gegen Taiwan, das unbedingte Weltmachtstreben des Regimes in Peking. All das habe auch Folgen für Deutschland, zwangsläufig, in einer durchglobalisierten Welt.

"Die Welt in Aufruhr", das ist auch der Titel der Sicherheitskonferenz, die das BfV zusammen mit der Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft (ASW) an diesem Donnerstag in einem glasüberdachten Konferenzsaal am Brandenburger Tor in Berlin abhält. Das BfV ist neben der Extremistenbeobachtung auch für Wirtschaftsschutz und Spionageabwehr zuständig. Es ist ein Austausch von Unternehmen und Sicherheitsbehörden, der so dringend erscheint wie lange nicht.

"Die Bedrohungslage ist umfassend, sie ist sehr intensiv"

Ende September 2022 explodierten die Pipelines Nord Stream 1 und 2 am Grund der Ostsee. Zwei Wochen später wurden Kabel an Bahnstrecken durchtrennt, der Zugverkehr in Norddeutschland stand stundenlang still. Dann ist da ja noch Russlands Großinvasion am 24. Februar 2022, in deren Sog klar wurde, dass die Abhängigkeit von russischem Gas kolossale Nachteile hatte. Das Ende der Lieferungen führte zu mittelschwerer Panik und dazu, dass großen Teilen der Bevölkerung das Wort "Gasmangellage" nun ein Begriff ist. Auch ist manchem aufgegangen, dass die riesige Abhängigkeit vieler Schlüsselsektoren der deutschen Wirtschaft vom autokratischen und vor allem eigeninteressierten China im schlechtesten Fall katastrophal werden kann.

Die jüngsten Erfahrungen zeigen: Deutschlands kritische Infrastruktur, Deutschlands Wirtschaft insgesamt ist verwundbar. Verfassungsschützer Sinan Selen spricht auf dem Podium in Berlin nicht mehr von den Handelspartnern Russland und China, er spricht von "unseren Gegnern". In erster Linie (geo-)politisch, aber das sei vom Rest nicht zu trennen, weil diese "Gegner" ihren Kampf eben mit allen Mitteln führten: "Der Systemwettkampf findet zu wesentlichen Teilen auf den Gebieten der Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung statt", sagt Selen. Und den Dutzenden anwesenden Wirtschaftsvertretern zugewandt: "Sie sind Objekt der Begierde für mächtige Player."

Es geht um Spionage, Hackerangriffe, Sabotageakte, die ganze Bandbreite geheimdienstlicher Waffen eben. Oder einen möglichen Krieg, der einen riesigen Markt mal eben von der Karte nimmt. Was, wenn China Taiwan angreift und Sanktionen Handel unmöglich machen? Volker Wagner sieht diese Gefahren ebenfalls. Er ist im Hauptberuf bei BASF für die Konzernsicherheit zuständig, dazu ist er Vorstandsvorsitzender des Sicherheitsverbunds ASW, dem große Unternehmen wie Mercedes-Benz oder Lidl, aber auch Hochschulen angehören. Wagner sagt: "Die Bedrohungslage ist umfassend, sie ist sehr intensiv."

Das hat in Deutschland mittlerweile auch der letzte Politiker und der letzte CEO erkannt. Oder? Verfassungsschützer Selen hat da seine Zweifel. Gerade hat die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, dass die Deutsche Bahn, immerhin Staatskonzern, im Dezember einen Auftrag für ein Großupdate der betriebsinternen IT-Infrastruktur vergeben hat - bei dem Technologie des chinesischen Unternehmens Huawei zum Einsatz kommen soll. Den konkreten Fall will Selen zwar noch nicht bewerten, aber: "Wir sprechen hier von einem Unternehmen, das sich staatlicher Einflussnahme nicht entziehen kann." Heißt: Wenn die Technik geeignet ist, Daten abzugreifen, hat das Regime in Peking bei Bedarf Zugriff darauf. Diese Konsequenzen seien offenbar nicht jedem Entscheider in Deutschland klar. "Ich habe nicht den Eindruck, dass die Kronjuwelen unserer Wirtschaft gut genug geschützt werden", sagt Selen.

Die Bundesregierung plant ein "Dachgesetz"

Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, als Gastredner geladen, sagt, es sei ja nicht verboten, sich auf chinesische Technologie zu verlassen, oder, wie große deutsche Autokonzerne das weiterhin täten, auf China als größten Absatzmarkt. Aber mindestens fahrlässig eben schon. Im Fall Russland habe Deutschland "den Karren schon gegen die Wand gefahren". Und bei China? "Wenn wir diesen Karren gegen die Wand fahren, dann Gnade uns Gott."

Die Lösung, sagen aber alle an diesem Tag, sei nicht, sich einfach von einem Markt wie China zurückzuziehen. Aber sich abzusichern. Andere Lieferanten für Rohstoffe zu finden, andere Absatzmärkte zu erschließen. Und wenn man schon Produktionsstätten in China habe, sagt ASW-Chef Wagner, sollten diese wenigstens ein IT-Netz haben, das nicht direkt an die deutsche Konzernzentrale angedockt ist. Unternehmen und Hochschulen müssten auch strenger kontrollieren, wer bei ihnen arbeitet, wer ein- und ausgeht - China und Russland setzen dem Verfassungsschutz zufolge wieder stärker auf Spione.

Um zumindest die kritische, also lebenswichtige Infrastruktur (Kritis) in Deutschland besser zu schützen, plant die Bundesregierung zudem ein "Kritis-Dachgesetz", auf das vor allem die Grünen schon lange drängen. Darin soll zum ersten Mal bundesweit geregelt werden, wie man physische Infrastruktur schützen will. Pipelines und Bahnstrecken zum Beispiel. Ganz konkrete Ideen sind noch nicht bekannt, nur vage "Eckpunkte". Den Entwurf will das Bundesinnenministerium vor der Sommerpause fertig haben, heißt es. Im Bundestag halten das einige für ziemlich ambitioniert. Es kann noch dauern.

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