Sie hätten es tun können. Ein Wort nur, und der Expertenrat für Klimafragen hätte die neue Bundesregierung in eine Kaskade der Hektik gestürzt. Ministerien hätten fieberhaft neue Klimaschutzpläne erarbeiten müssen, binnen weniger Monate hätte ein Sofortprogramm stehen müssen. „Natürlich haben wir das intensiv diskutiert“, sagt Hans-Martin Henning, der Vorsitzende des Klimarats. Am Ende aber seien die Unsicherheiten zu groß gewesen, um der Bundesregierung zu attestieren: So wird das nichts mit dem deutschen Klimaziel für 2030.
Das zu prüfen, ist der Job dieses Zirkels aus Expertinnen und Experten. Das Umweltbundesamt hat einen Bericht über die weitere Entwicklung erstellen lassen, der Expertenrat klopft ihn ab. Kommt er in zwei aufeinanderfolgenden Jahren zu dem Ergebnis, dass sich die Klimaziele bis 2030 nicht halten lassen, muss die Bundesregierung handeln, und zwar umgehend.
Kein Erfolg, sondern eine Folge der Pandemie und der Wirtschaftsflaute
All das steht so im Klimaschutzgesetz, lässt also auch der neuen Koalition keinen Spielraum. Doch anders als noch im vorigen Jahr sieht der Expertenrat nun gute Chancen, dass es klappen könnte mit den Klimazielen. Jedenfalls in dieser Dekade.
Das allerdings liegt nicht in erster Linie an beherzter Klimapolitik, sondern an Pandemie und Wirtschaftsflaute. So seien in den Jahren 2021 bis 2024 die zulässigen Gesamtemissionen um 113 Millionen Tonnen Kohlendioxid unterschritten worden, und dies vorwiegend in Kraftwerken und Industrie.
Für die Jahre 2025 bis 2030 dagegen dürften sie nach Einschätzung des Umweltbundesamtes um 32 Millionen Tonnen CO₂ überschritten werden – macht einen Puffer von 81 Millionen Tonnen. Angesichts von knapp 6,2 Milliarden Tonnen CO₂, die das Gesetz in dieser Dekade in Deutschland zulässt, ist ein solcher Puffer allerdings auch schnell weg. Zumal er nach Auffassung des Expertenrats tendenziell eher überschätzt wird.
Zu viele Verbrenner, zu viele Öl- und Gasheizungen
Der neuen Bundesregierung gibt das alles ohnehin nur begrenzt Grund zum Aufatmen. Denn an den Ungleichgewichten in der Klimabilanz hat sich nichts geändert: Vor allem im Energiebereich fallen die Emissionen rasant, weil zunehmend erneuerbare Energien an die Stelle von Kohlekraftwerken treten, den größten Klimasündern im Land. Im Verkehr dagegen stagnieren die Emissionen nahezu, weil sich die Deutschen zu langsam den Alternativen zum Verbrenner zuwenden. Auch der Gebäudebereich, in dem immer noch hauptsächlich öl- und gasbefeuerte Heizungen verwendet werden, verfehlt das Ziel.
Das wird absehbar zum Problem für den Bundesfinanzminister. Denn was Deutschland in diesen Bereichen zu viel ausstößt, muss es durch Emissionszertifikate ausgleichen, so verlangt es die „europäische Lastenteilung“. Bis 2030 wächst dieses Defizit nach Einschätzung des Expertenrats auf 224 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalent an. Je nach Zertifikatspreis kommen da schnell zweistellige Milliardenbeträge zusammen.
Und auch von anderer Stelle droht Ungemach. Bisher hatten deutsche Regierungen stets damit kalkuliert, dass auch Wälder, Moore und Landwirtschaft der Klimabilanz auf Dauer nutzen. Bis 2040, so will es auch das Gesetz, sollten so 35 Millionen Tonnen Treibhausgase aus der Bilanz verschwinden, aufgenommen von der Natur.
Auch auf die Natur kann sich die Regierung immer weniger verlassen
Stattdessen haben nicht zuletzt Dürren dem Wald so zugesetzt, dass er mehr Kohlenstoff freisetzt, als er aufnimmt. Mehr noch: Jüngste Pläne der EU-Kommission sollen es sogar noch erleichtern, Grünland in Äcker zu verwandeln. Auch das setzt gebundenen Kohlenstoff frei. Statt 35 Millionen Tonnen zu binden, könnte die Landnutzung bis 2040 rund 37 Millionen Tonnen verursachen.
Die Prognosen über 2030 hinaus sind deshalb alles andere als günstig. „Deutlich“ würden die Ziele gerissen, warnt der Chef des Klimarats Henning. Auch das Ziel, Deutschland bis 2045 klimaneutral zu machen, „wird merklich verfehlt“. Es werde Zeit, dies in den Blick zu nehmen.
Darum kommt die Bundesregierung nicht herum, auch wenn sie einem Sofortprogramm nun ganz knapp entgangen ist. Das Klimaschutzgesetz verlangt nämlich von jeder neuen Regierung binnen zwölf Monaten nach Beginn der Legislaturperiode ein Klimaschutzprogramm. Schon im September müssen die zuständigen Ministerien erste Pläne vorlegen, bis Ende des Jahres will der neue Umweltminister Carsten Schneider das Programm fertig haben. Schließlich gebe es im Zahlenwerk deutliche Defizite, etwa bei Verkehr und Gebäuden. „Das müssen wir gemeinsam in Ordnung bringen“, sagt Schneider.