Süddeutsche Zeitung

Deutschland im Libyenkonflikt:Westerwelles Halbwahrheit

Während die verzweifelten Aufständischen in Libyen einer Niederlage entgegengehen, erweckt Guido Westerwelle den Eindruck, als könne Gaddafi mit Kontosperrungen entmachtet werden. Das ist unehrlich.

D. Brössler

Unter allen Formeln aus der Welt der Diplomatie hat Guido Westerwelle jene besonders lieb gewonnen, der zufolge interessengeleitete und werteorientierte Außenpolitik kein Widerspruch seien. Zahllose Male hat er diesen Satz wiederholt - gleichsam als Patentrezept für eine deutsche Außenpolitik, die den eigenen Vorteil sucht und doch anständig bleibt. Wie es im wirklichen Leben zugeht, zeigt nun das libysche Drama. Da droht beides auf der Strecke zu bleiben: der Vorteil und der Anstand.

Dabei enthält die Politik des Außenministers alle Zutaten, die zum Wunschbild vom guten Deutschland gehören. Einerseits unterstützt die Bundesregierung alle denkbaren Sanktionen gegen Muammar al-Gaddafi. Andererseits bremst sie alle Initiativen, die zu einem militärischen Eingreifen gegen dessen bombende Truppen führen könnten. Deutschland ist gegen den Diktator und gegen den Krieg. Kann etwas falsch daran sein?

Diese Frage wird kaum noch gestellt, weil sich hinter dem Außenminister eine ungekannt breite Koalition versammelt hat. Im Kern stehen alle Bundestagsparteien bis hin zur Linken und einer Umfrage zufolge fast 90 Prozent der Deutschen hinter Westerwelles Libyen-Politik. Überzeugend ist es dem Außenminister gelungen, die Risiken einer Flugverbotszone darzulegen. Eindrucksvoll hat er vor der Gefahr eines Bodenkrieges gewarnt, in den auch Deutschland verwickelt werden könnte. Als Mahner hat er jene Statur gewonnen, die viele Bürger am neuen Außenminister bis dato vermisst hatten.

Deutschland in der Nähe Russlands und Chinas

Westerwelles Wahrheit aber ist nur eine halbe. Während die verzweifelten Aufständischen in Libyen einer Niederlage entgegengehen, erweckt der deutsche Außenminister noch den Eindruck, als könne Gaddafi mit Kontosperrungen aus dem Amt getrieben werden. Das ist unehrlich. Westerwelle müsste das enorme Risiko benennen, dass das Regime sich - übrigens mit Militärtechnik auch aus Deutschland - über eine längere Zeit behaupten kann und der Westen zum Zuschauer einer blutigen Abrechnung wird. Weder wäre das anständig, noch würde diese Tragödie Deutschland zum Vorteil gereichen.

Westerwelle aber hat im libyschen Drama seine Rolle gefunden - vor heimischem Publikum wie auf der Weltbühne. Deutschland agiert nicht mehr mit berechtigter Skepsis und Zurückhaltung wie etwa die USA. Es ist - auch im Sicherheitsrat - zu einer treibenden Kraft geworden gegen die tatsächliche oder vermeintliche Kriegskoalition aus Briten und Franzosen. Damit rückt es, ganz automatisch, in die Nähe Russlands und Chinas. Zweier Länder, die sich aus gutem Grund nicht nur jetzt, sondern auch künftig jeglicher Gewalt gegen Despoten in den Weg stellen werden.

Im Angesicht des libyschen Bürgerkrieges gibt es keinen eindeutig richtigen Weg für Deutschland und die Welt. Westerwelle sollte aufhören so zu tun, als hätte er ihn gefunden.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1073097
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 17.03.2011/beu
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.