Hisbollah:Warum Deutschland die Hisbollah nicht als terroristische Vereinigung einstuft

Kundgebung der Hisbollah zum vierten Jahrestag des Libanonkrieges

Auf einer Hisbollah-Kundgebung in Beirut werden libanesische und Hisbollah-Fahnen geschwenkt. (Archivbild)

(Foto: dpa)
  • Deutschland stuft die Hisbollah nicht als terroristische Vereinigung ein.
  • Die Gruppe ist auch in Deutschland aktiv und sammelt Geld für Aktionen im Ausland. Die Spenden werden allerdings sowohl für politische als auch für militärische Zwecke verwendet.
  • Die Bundesregierung will ihre Position als Vermitter im Nahen Osten nicht gefährden.

Von Ronen Steinke

Es ist kein Geheimnis, dass die Hisbollah auch in Deutschland aktiv ist. Die schiitische Miliz, die stark mit Iran verbandelt ist, nutzt dieses größte und wirtschaftlich stärkste Land der Europäischen Union, in dem zugleich eine der größten libanesischen Exilgemeinden lebt, um Geld zu sammeln - für Dinge, die sie anderswo auf der Welt tut. Die deutschen Sicherheitsbehörden sprechen von einem "Rückzugsraum". Sie beobachten, wie auf der alljährlichen Al-Quds-Demonstration in Berlin gelbe Hisbollah-Fahnen geschwenkt werden, wie Spendenbüchsen herumgehen, wie sich die - laut Verfassungsschutz - 950 aktiven Hisbollah-Mitglieder im Bundesgebiet vernetzen. Aber als terroristische Vereinigung stuft der Staat sie bislang nicht ein.

Längst wäre dies der Bundesregierung möglich. Es ist eine recht freie Entscheidung der Exekutive hierzulande, welche militanten Gruppen sie zu einer ausländischen terroristischen Vereinigung im Sinne des Paragrafen 129b Strafgesetzbuch ernennt. So wurde es 2004 festgelegt, als man diesen Paragrafen schuf. Die Idee damals war: Auch die einstige Untergrundorganisation von Nelson Mandela, der African National Congress, nutzte ja lange Zeit Terrormethoden; bei der strafrechtlichen Beurteilung müsse es schon auch noch auf die Legitimität der Ziele ankommen. "Wer heute der Topterrorist ist, ist morgen der Friedensnobelpreisträger", sagt ein Strafverfolger, der ganz froh ist, dass daher die Regierung verantwortlich zeichnet und nötigenfalls auch geradesteht.

Zur wachsenden Verwunderung einiger Beobachter zögert die Bundesregierung aber im Fall der Hisbollah. Schon seit Jahren. Die Bewertung dieser Gruppe als terroristisch wird intern zwar diskutiert, im Bundesjustizministerium trifft sich alle paar Wochen eine vertrauliche Arbeitsgruppe aus Referatsleitern des Innen-, Außen-, Justizministeriums und Kanzleramts, um über "Ermächtigungen" für die Terror-Ermittler zu diskutieren. Der Fall der Hisbollah sei aber "anspruchsvoll", sagt ein Teilnehmer, und der Fall ist nicht nur wegen der zunehmenden Spannungen im Nahen Osten brisant. In Bulgarien beginnt gerade der Prozess gegen zwei Hisbollah-Männer, die im Jahr 2012 einen voll besetzten israelischen Reisebus in die Luft gesprengt haben sollen. 32 Touristen wurden damals verletzt, sieben von ihnen getötet. Auch für Attacken auf jüdische religiöse Einrichtungen wird die Hisbollah immer wieder verantwortlich gemacht, etwa auf das Gemeindehaus in Buenos Aires 1994 mit 87 Toten.

Es gibt da einen BND-Beamten, der "Mr. Hisbollah" gerufen wird. Es ist als Kompliment gemeint

Und ausgerechnet Deutschland hält sich hier mit der Anti-Terror-Strafverfolgung zurück? Bislang hält die Bundesregierung an einer Differenzierung fest: Sie erlaubt Spendensammlungen für die Hisbollah, wenn sie für deren "politischen Arm" bestimmt sind, für Sozialprojekte in Libanon zum Beispiel. Den Behörden ist schon lange klar, dass dieses Geld natürlich auch den anderen, den sogenannten "militärischen Arm" der Hisbollah entlastet, der terroristische Akte begeht. "Das ist kaum zu trennen", sagt ein Beamter. Ungeduldig beschwerte sich deshalb jüngst der Nahost-Beauftragte des amerikanischen Präsidenten, David Satterfield, bei einem Berlin-Besuch: Die angebliche Trennung in "Flügel" werde von der Hisbollah als politisches Mittel eingesetzt, aber sie habe "keine Entsprechung in der Realität". Im März hat Großbritannien die Hisbollah rundweg zur Terrororganisation erklärt. Neuerdings fordert dies auch die FDP im Bundestag. Die Hisbollah "ist in ihrem Kern terroristisch und muss auch so behandelt werden", sagt ihr Innenpolitiker Benjamin Strasser.

Die Bedenken der Bundesregierung haben allerdings mit einer politischen Überlegung zu tun. Deutschland spielt im Nahen Osten immer wieder eine Rolle als diplomatischer Makler - auch zum Nutzen Israels. Dies will vor allem das Auswärtige Amt nicht aufs Spiel setzen, das in den internen Debatten um die Aufnahme der Hisbollah auf die deutsche Terrorliste als Bedenkenträger gilt. Die Hisbollah, die "Partei Gottes", sitzt in Libanon mit am Regierungstisch. Sie verfügt über mehr Kämpfer als die staatliche libanesische Armee. Die deutsche Botschaft in Beirut pflegt gute Kontakte zu ihr, die immer dann wertvoll werden, wenn es zwischen Israel und der Miliz zu vermitteln gilt. Immer wieder sind Präsidenten des Bundesnachrichtendiensts dafür in die Region gereist. Ein langjähriger Beamter erwarb sich als geschickter Verhandler unter anderem im Fall des gekidnappten israelischen Soldaten Gilad Shalit gar den Beinamen "Mr. Hisbollah". Im Juli 2018 berichteten palästinensische Zeitungen, Deutschland sei weiterhin als Vermittler in Geiselfällen gefragt.

Würde man sich klarer auf eine Seite stellen, dann würde dies schwieriger, so die Sorge in Berlin. Das führt zu der juristischen Zurückhaltung hierzulande: Hier und da gibt es mal ein Vereinsverbot, etwa des Hisbollah-nahen Fernsehsenders Al Manar TV im Oktober 2008 oder auch des Tarnvereins "Waisenkinderprojekt Libanon e.V." im April 2014. Mehr geschieht aber nicht, die Karlsruher Terror-Ermittler können also nicht die 950 ihnen bekannten Hisbollah-Mitglieder in Deutschland wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vor Gericht bringen.

USA agierten bei al-Nusra ähnlich abwägend

Ähnlich realpolitisch sind die deutschen Erwägungen übrigens auch in anderen Fällen, bei Gruppen in der Ukraine zum Beispiel oder im Südsudan. Auch dort vermittelt Deutschland, auch dort hält man sich darum mit dem Vorwurf des Terrorismus zurück. Auch in Afghanistan gibt es Gruppen, sagt ein deutscher Beamter, die mit ihren Methoden den in Deutschland geächteten Taliban durchaus ähneln. "Aber sie werden gebraucht im politischen Prozess."

Und ähnlich taktisch-abwägend gehen durchaus auch andere westliche Staaten vor. Auch die USA, die gerade so scharfe Kritik an der deutschen Haltung üben. Es ist nicht lange her, da zögerte die US-Regierung, die mächtigste syrische Oppositionsmiliz, die teils dschihadistische al-Nusra, auf ihre Terrorliste zu setzen. Der Grund: Mit ihr waren moderatere Gruppen verbündet. Eine Brandmarkung der Nusra hätte sie "vor den Kopf gestoßen, während gleichzeitig al-Nusra weniger Anreiz haben würde, sich von Extremisten fernzuhalten", so erinnert sich der Berater des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama, Ben Rhodes, in einem jüngst erschienenen Buch.

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