Fachkräfte aus Bosnien-Herzegowina:"Viele meiner Freunde wollen gehen"

Pflege

Viele Bosnier zieht es nach Deutschland, wo sie als Pflegekraft, Handwerker oer Hilfsarbeiter eingesetzt werden.

(Foto: Federico Gambarini/dpa)

Seit einigen Jahren kommen viele Bosnier nach Deutschland, um als Pflegekraft, Handwerker und Hilfsarbeiter zu arbeiten. Nadina Maličbegović fürchtet nun um ihr Land.

Interview von Nina von Hardenberg

Laut Wanderungsmonitor des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge waren Bosnier im ersten Halbjahr 2019 mit fast 790 Personen die fünftgrößte Gruppe aus einem Nicht-EU-Land. Fast 950 erhielten Arbeitsvisa für ungelernte Hilfstätigkeiten. Das Land profitiert von der Westbalkanregelung: Menschen aus Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro und Serbien können von 2016 bis 2020 ein Arbeitsvisum erhalten, sobald sie Deutschkenntnisse und Jobangebote nachweisen können. Diese Regelung geht teils über das jetzt in Kraft tretende Fachkräfteeinwanderungsgesetz hinaus. Trotzdem hoffen viele Bosnier auf das neue Gesetz.

Die Journalistin Nadina Maličbegović lebte als Kind während des Bosnienkrieges zwei Jahre lang als Flüchtling in Deutschland. Seit einiger Zeit beobachtet sie, wie ganze Familien aus Bosnien-Herzegowina nach Deutschland aufbrechen.

SZ: Frau Maličbegović, seit 1. März ist das Fachkräfteeinwanderungsgesetz in Kraft. Spielt das in Bosnien eine Rolle?

Maličbegović: Ja, die Menschen verfolgen das mit großer Aufmerksamkeit. Auch die Medien berichten viel darüber. Es gehen seit Jahren viele Bosnier nach Deutschland. Meine Schwester lebt schon dort, viele meiner Freunde wollen gehen. Für Menschen aus den Westbalkanstaaten ist es schon seit 2016 leichter geworden, nach Deutschland zu kommen: Wer ein festes Jobangebot hat und Deutsch spricht, kriegt ein Arbeitsvisum. Egal welche Branche. Aber es ist nicht ganz einfach, aus Bosnien heraus einen Job zu finden. Künftig darf man auch für sechs Monate zur Jobsuche kommen. Anders als früher geht nicht nur der Vater für eine Saison. Ich sehe ganze Familien, die ihren Besitz verkaufen, gute Jobs aufgeben und aufbrechen.

Wollen die Menschen speziell nach Deutschland oder egal wohin?

Es gehen nicht alle nach Deutschland, aber viele haben noch einen Bezug zu dem Land, weil sie als Flüchtlinge hier waren. Ich selbst kam mit zwölf Jahren mit meiner Schwester nach Deutschland. Meine Eltern schickten uns zu meiner Tante, weil es zu Hause zu gefährlich war. Kurz vor Kriegsende 1994 gingen wir zurück. Ich weiß aus dieser Zeit wie Deutschland riecht, es erinnert mich an meine Kindheit.

Sprechen noch viele Bosnier Deutsch?

Einige haben Deutschkenntnisse aus dieser Zeit. Meine Schwester zum Beispiel war eine der Ersten, die sich als Pflegekraft anwerben ließ. Sie studierte eigentlich gerade in Bosnien und wollte das nur für eine Zeit unterbrechen. Aber dann ist sie geblieben. Aber es lernen jetzt auch viele Menschen Deutsch in Sprachschulen. Es gibt so viele wie nie zuvor. Und es öffnen private medizinische Schulen, weil das die Kenntnisse sind, die im Ausland gefragt sind.

Was erhoffen sich die Menschen?

Die Leute fühlen, dass Deutschland ein sicheres Land ist, das ihnen Perspektiven bietet, die sie in Bosnien nie bekommen könnten. In Bosnien haben die Leute keine Arbeit. Es gibt ein Gefühl von Unsicherheit, das auch 25 Jahre nach dem Krieg geblieben ist.

Nadina Malicbegovic

Nadina Malicbegovic, 39 Jahre, arbeitet für den Fernsehsender Aljazeera Balkans.

(Foto: Nadina Malicbegovic)

Als Journalistin haben Sie auch über den Terroranschlag von Hanau berichtet. Erschüttert das Ihr Bild von Deutschland?

Was in Hanau passiert ist, finde ich schlimm. Und ich denke schon, dass die Deutschen heute anders auf Flüchtlinge schauen als früher. Zu uns waren sie so nett. Wir haben uns wirklich als ein Teil von Deutschland gefühlt. Ich weiß nicht, ob die Menschen aus Syrien das heute so sagen würden.

Sie selbst wollen in Bosnien bleiben. Was wünschen Sie sich für Ihr Land?

Ich mache mir Sorgen um Bosnien. Ich frage mich, wer wird bleiben, wenn alle gehen. In den letzten fünf oder sechs Jahren haben 130 000 Menschen Bosnien verlassen. Das ist zu viel für ein Land mit drei Millionen Einwohnern. Wir sagen oft, dass wir in fünf Jahren keinen Arzt und keine Krankenschwester mehr haben werden. Handwerker findet man schon heute keine mehr.

Die wenigen, die noch da sind, verlangen überhöhte Preise. Ich glaube, dass ein EU-Beitritt gut für uns sein könnte. Aber ich sehe nicht, dass die Politik viel dafür tut.

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