Saarland:Croissants kennen kein Coronavirus

Coronavirus - Saarland

Absperrband der Polizei liegt auf der Freundschaftsbrücke über die Saar, die das saarländische Kleinblittersdorf mit dem französischen Grosbliederstroff (dt.: Großblittersdorf) verbindet.

(Foto: dpa)

Vor der Corona-Krise funktionierte der deutsch-französische Alltag, an der Saar lebte man wie selbst­verständlich zusammen. Nun ist vieles plötzlich anders.

Von Nadia Pantel

Hartmut Fey hatte den schönen Einfall, alles wie ein Spiel aussehen zu lassen. Mitte April verbreitete sich im Internet ein Video, in dem der Saarländer mit einer Angelrute an der deutsch-französischen Grenze steht und Baguette angelt. "Wir kaufen seit Jahrzehnten Brote und Croissants bei unserer Bäckerei, und jetzt dürfen wir zu Fuß nicht mehr rüber", erzählt Fey, am rot-weißen Absperrgitter stehend, das das deutsche Lauterbach vom französischen Carling trennt. Auf der anderen Seite der Grenze, im Département Moselle, steht die Bäckerin. "Hallo Myriam", ruft Fey und hängt seinen Einkaufsbeutel an die Angelschnur. Beide lachen, Baguette und Croissants wandern durch die Luft über die Grenze. Doch hinter der Freude der beiden, sich an den neuen Beschränkungen vorbeigeschummelt zu haben, zeigte sich die traurige, neue Realität in der Grenzregion. Die war im Alltag der Menschen längst ein gemeinsamer, europäischer Raum geworden. Ein Raum, der mit der Ankunft des Coronavirus zerteilt wurde.

Am 15. März 2020 endete, was über Jahrzehnte aufgebaut worden war: ein selbstverständliches deutsch-französisches Zusammenleben. 200 000 Franzosen pendeln zur Arbeit ins Saarland, deutsche Supermärkte profitieren von französischen Kunden. Frankreich und Deutschland sind nirgends so verwoben wie entlang der Saar.

Als die deutsche Kanzlerin und Frankreichs Präsident im Januar 2019 den Aachener Vertrag unterzeichneten, wurde diese Region als beispielhaft gepriesen, ein Experimentallabor europäischen Zusammenwachsens. Die Kooperation, Zweisprachigkeit und Versöhnung, die Politiker mit großen Worten versprechen, wird zwischen Saarbrücken und Forbach gelebt. Doch dort, wo die Menschen schon vergessen hatten, dass sie von einem Land ins andere hinüberwechseln, standen auf einmal wieder Zäune und Gitter. Und deutsche Grenzpolizisten. Deutschland machte dicht.

Es dauerte nicht lange, bis die staatliche Entscheidung auch privates Umdenken nach sich zog. Nachbarn wurden auf einmal als Gefährder wahrgenommen. Lokale Medien in der Region Grand Est, zu der das Elsass und Lothringen gehören, berichteten darüber, wie Franzosen von Deutschen beschimpft und mit Eiern beworfen wurden; französische Nummernschilder wurden auf deutschen Parkplätzen zerkratzt.

Der Abgeordnete Christophe Arend gehört zu den wenigen französischen Politikern, die ihren Unmut über die deutsche Virusbekämpfung mit Schlagbäumen laut und deutlich äußern. Arend ist Zahnarzt, in die Nationalversammlung kam er für die Präsidentenpartei La République en Marche. Einem Virus sei es doch egal, wo ein Land endet und wo das andere beginnt, sagt er. Arend kennt die deutsch-französische Freundschaft aus zwei Perspektiven. Zum einen aus seiner Heimatstadt Forbach, von wo aus der Regionalzug nach Saarbrücken zehn Minuten braucht. Eine Fahrt, auf der nichts daran erinnert, dass man eine Grenze überquert. Zum anderen aus der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung. Auf Pariser und Berliner Ebene sorge er sich nicht um die Freundschaft zwischen den Ländern, sagt Arend. Doch die Lage in der Grenzregion habe sich in kurzer Zeit "deutlich verfinstert".

Arend teilt sich die Präsidentschaft der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung mit dem CDU-Politiker Andreas Jung. Gemeinsam haben sie am 7. Mai eine Erklärung verfasst, in der sie beide "Regierungen auffordern, ihre jeweiligen Grenzmaßnahmen zurückzunehmen". Die Grenzschließung führe zu "inakzeptablen Zumutungen im Alltag der Bürgerinnen und Bürger". Man dürfe "im Kampf gegen das Virus nicht nachlassen, aber es ist nun an der Zeit für europäische und grenzüberschreitende Lösungen".

Ihre Bewährungsprobe bestand die deutsch-französische Kooperation in den vergangenen Wochen erst in einer absoluten Ausnahmesituation. Als im Elsass nicht mehr genug Intensivbetten zur Verfügung standen, nahmen deutsche Krankenhäuser die französischen Covid-19-Patienten auf.

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