Deutsch-französisches VerhältnisTreffen der Gegensätze

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Ausgerechnet Fischbrötchen: Kanzler Scholz und Gast Macron im Oktober bei einem Spaziergang in Hamburg-Blankenese.
Ausgerechnet Fischbrötchen: Kanzler Scholz und Gast Macron im Oktober bei einem Spaziergang in Hamburg-Blankenese. (Foto: Gregor Fischer/Getty)

Emmanuel Macron kommt am Sonntag nach Deutschland - der erste Staatsbesuch eines französischen Präsidenten seit 24 Jahren. Und er ist nötig, denn zwischen ihm und Olaf Scholz läuft es nicht rund. Die drei wichtigsten Streitpunkte.

Von Oliver Meiler, Paris

Staatsbesuche sind nicht einfach Besuche. Protokoll, Reden, Symbolik - die ganze Emphase drum herum ist eine Nummer größer und glamouröser als bei Dienstfahrten und Arbeitstreffen. Das ist gerade bei Ländern der Fall, die sich schicksalshaft verbunden fühlen, die sich gar wie ein Paar sehen, ein "couple". Eben wie Deutschland und Frankreich. Immer mal wieder muss man sich wortreich und salbungsvoll versichern, dass man sich noch liebt, trotz Streitereien. Aber passiert das auch oft genug?

Wenn Emmanuel Macron nun ab Sonntag für drei Tage in Deutschland erwartet wird, in Berlin, Dresden und Münster, dann wird das erst der sechste Staatsbesuch eines französischen Präsidenten in mehr als sechzig Jahren sein.

Zuletzt kam Jacques Chirac - im Jahr 2000

Das hielt man auch im Élysée für so denkwürdig wenige, dass man die Historie noch einmal genau studierte, die Protokolle miteinander abglich, und tatsächlich: Charles de Gaulle 1962, Valéry Giscard d'Estaing 1981, François Mitterrand 1987 und 1989, zuletzt Jacques Chirac 2000 - vor 24 Jahren! Georges Pompidou, Nicolas Sarkozy und François Hollande waren wohl nicht lang genug im Amt, alle nur fünf Jahre. Macron erfährt die Ehre nach sieben Jahren, das ist nicht schlecht.

Und es ist wohl auch wieder mal an der Zeit, sich zu sagen, was man aneinander hat. Macrons Berater wiesen vor der Reise darauf hin, man könne zwar immer "über Pannen spotten". Am Ende aber sei bedeutsam, dass diese "sehr besondere Beziehung" fortdauere. Das läuft gerade etwas zäh, obschon die Grundlagen solide sind. Und es hat auch mit dem Personal an der Spitze zu tun. Macron und der deutsche Kanzler Olaf Scholz verstehen sich nur leidlich. Kein Wunder: Da trifft ein Redseliger auf einen Schweigsamen, ein Vorprescher auf einen Vorsichtigen, ein Euphoriker auf einen Nüchternen.

Die berühmte Chemie? Die stimmt noch nicht, und das ist nicht unwesentlich. Auf vielen aktuell zentralen Gebieten ist die Interessenlage beider Länder sehr unterschiedlich. Das wird auch die Harmonie nicht wegzuwischen vermögen, die bei solchen Staatsbesuchen sozusagen als Grundmelodie vorausgesetzt wird. Drei wichtige Baustellen, oder um beim Bild zu bleiben: drei große Streitpunkte gibt es im "Couple franco-allemand".

1. Die Ukraine - und die gemeinsame Verteidigung Europas

Das Wichtigste vorweg: Nach mehr als zwei Jahren Krieg in der Ukraine sind Paris und Berlin im gleichen Maß überzeugt, dass Kiew größtmögliche Unterstützung erhalten muss. Macron benötigte etwas Zeit, dann aber sah er ein, dass auch er nicht in der Lage ist, auf Wladimir Putin einzuwirken. Jetzt gibt er den Falken; er sprach sogar von der Eventualität eines Einsatzes westlicher Bodentruppen in der Ukraine - im Wissen, wohlgemerkt, dass Deutschland in militärischen Belangen historisch befangen ist.

Scholz kanzelte Macron dafür ziemlich trocken ab. Worauf Macron den Deutschen vorwarf, sie hätten zu Beginn des Kriegs nur "Schlafsäcke und Helme" in die Ukraine schicken wollen. Der Streit über die tatsächlichen Hilfeleistungen beider Länder verkam zum kleinlichen Aufrechnen und schwelt leise weiter. Fakt ist: Deutschland leistete bislang im Vergleich zu Frankreich ein Vielfaches an Unterstützung.

Macron hat die Debatte aber inzwischen auf eine höhere Ebene verlegt, auf die europäische. Europa, sagte er neulich bei einer Rede an der Sorbonne, sei "sterblich", es müsse sich dringend besser schützen - gemeinsam und unabhängig von den USA. "L'Europe de la défense" ist ein altes Verlangen der Franzosen. Macron spricht von einem "europäischen Souveränismus", eine Terminologie, die den Deutschen missfällt. Und er stellt in Aussicht, dass die ganze EU Platz finden könne unter dem Nuklearschirm der französischen Atommacht. Ob die ausreichen und wer über ihren Einsatz gegebenenfalls entscheiden würde, ist offen.

Aber es geht um den großen Bogenschlag: Wer kann was? Wer trägt was bei? Und: Geht das alles auch gemeinsam, ohne dass sich die geopolitischen Gleichgewichte auf dem Kontinent verschieben? Paris würde den Ausbau der europäischen Verteidigung auch über gemeinsame Schulden finanzieren wollen. Was die eher frugalen Deutschen davon halten, ist bekannt.

Schon das lange Drama um den Bau des sogenannten Panzers der Zukunft, den die Deutschen und die Franzosen nun für 2040 terminiert haben, zeigt auf, wie schwierig das Gemeinsame ist. Die Franzosen werfen den Deutschen auch oft vor, sie würden beim Rüstungskauf europäische (und dabei natürlich auch und vor allem französische) Konzerne übergehen und lieber in die USA oder nach Südkorea schauen - etwa beim Projekt eines Raketenabwehrschirms für Europa. Frankreich war zunächst wild dagegen, jetzt weicht es den Widerstand etwas auf. "Pourquoi pas?", sagte Macron neulich. Warum nicht? Bei der gemeinsamen Ministerratssitzung in Berlin wird man auch darüber reden wollen.

2. China, die E-Autos und Macron als CEO der Frankreich AG

Wie geht man klugerweise mit China um? Beide, Scholz und Macron, haben sich in den vergangenen Wochen mit dem chinesischen Staatschef Xi Jinping getroffen - der Kanzler in China, der Präsident in Paris. Es hätte eine Möglichkeit gegeben, dass auch Scholz im Élysée dabei gewesen wäre, Macron hatte ihn dazu eingeladen - bei ihrem Essen in La Rotonde, einer Pariser Brasserie, wo die beiden kürzlich an ihrer Chemie arbeiteten. Doch Scholz war dummerweise schon verplant, und sowieso: Er war ja gerade erst bei Xi gewesen.

In Frankreich deutete man das so, dass die Deutschen lieber weiterhin ihren eigenen Kurs fahren, dass sie Chinas mächtigen Mann nicht brüskieren und ihre Autoexporte nach China nicht unnötig gefährden wollen. Etwa mit Strafzöllen auf chinesische E-Autos, wie sie die EU plant. Die treibende Kraft dahinter? Paris. Deutsche Konzerne haben Werke in China, sie wären wohl doppelt bestraft durch die Zölle. Freier Handel gegen Protektionismus: So holzschnittartig ist es zwar nicht, aber fast. Das sah man auch bei den Verhandlungen über ein Abkommen der EU mit dem Mercosur, dem gemeinsamen Markt südamerikanischer Staaten. Beiden Politikern geht es in erster Linie um das Wohl der eigenen Wirtschaft.

Da der französische Präsident kraft seines Amtes viel Macht hat, führt er sich als CEO der Frankreich AG auf. Macron, früher mal Investmentbanker, veranstaltet Investorentreffen, verhandelt über die passende Niederlassung von Batterie- und Halbleiterfabriken und bestimmt, welchen Wirtschaftssektoren der Zukunft der Staat helfen wird. Er tut das fast allein, in seinem Palast. Scholz ist Kanzler einer Ampelkoalition, er entscheidet nie allein.

3. Atomkraft - und der unfair billige Strom aus Frankreich

Im Sommer, mit zwölf Jahren Verspätung, wird in Flamanville im Norden Frankreichs der EPR ans Netz gehen, das Akronym steht für: "Europäischer Druckwasserreaktor". Die Franzosen sprechen von "moderner, sauberer Atomkraft"; außer den Grünen ist niemand mehr dagegen. Der Krieg in der Ukraine und die damit verbundene Offenlegung einer grotesken Abhängigkeit Europas von russischem Gas haben die Franzosen in ihrer Energiepolitik bestärkt. Sie beziehen einen guten Teil ihres Stroms aus ihren Kernkraftwerken, obschon etliche Reaktoren stillstehen. Dafür ist Frankreich ziemlich schwach bei den erneuerbaren Energien.

In Paris hört man oft, die Deutschen hätten einen großen Fehler begangen, als sie nach dem Unfall in Fukushima ihr Nuklearprogramm beendet hätten - und dafür die Kohlekraftwerke wieder hochfahren mussten.

In dieser Kritik schwingt eine unbescheidene Note mit: In den großen Fragen, finden viele Franzosen, sei ihr Land halt visionärer als der Partner jenseits des Rheins. Deutschland fürchtet vor allem, dass der billige, vom französischen Staat subventionierte Atomstrom die französische Industrie über die Maßen bevorteilt, dass er den Wettbewerb verzerrt. Auch darüber soll debattiert werden am Rand des Staatsbesuchs, möglichst harmonisch.

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