Süddeutsche Zeitung

Deutsch-französische Freundschaft:"Nichts anderes als atemberaubend"

  • Merkel und Macron unterzeichnen einen neuen deutsch-französischen Freundschaftsvertrag.
  • Der Weg der Aussöhnung zwischen beiden Ländern sei "atemberaubend", sagt Merkel.
  • Auf den Tag genau vor 56 Jahren unterschrieben Konrad Adenauer und Charles de Gaulle den Élysée-Vertrag .

Deutschland und Frankreich wollen "die großen Herausforderungen unserer Zeit Hand in Hand angehen". Das sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Unterzeichnung des Aachener Vertrags im Krönungssaal des historischen Aachener Rathauses. Dies sei angesichts der langen Epoche von Rivalität und Kriegen zwischen beiden Ländern nicht selbstverständlich.

Die deutsch-französische Freundschaft sei inzwischen tief in den beiden Gesellschaften verwurzelt. "Damit hat die Geschichte eine Wendung genommen, die für uns nicht glücklicher hätte sein können." Der Weg vom Waffenstillstand von Compiègne am Ende des Ersten Weltkrieg 1918 bis zum gegenseitigen Beistand in militärischen Fragen sei "nichts anderes als atemberaubend". Der Freundschaftsvertrag sei eine gemeinsame Antwort beider Länder auf erstarkenden Populismus und Nationalismus, sagte Merkel.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bekräftigte, wer die Aussöhnung in Frage stelle, mache sich zu Komplizen der Verbrechen der Vergangenheit. Er hob hervor, es müsse das gemeinsame Ziel sein, "dass Europa der Schutzschild unserer Völker gegen die neuen Stürme in der Welt ist". Die deutsch-französische Freundschaft, die gemeinsamen Projekte und Ziele machten es möglich, "unser Leben in die eigene Hand zu nehmen, unser Schicksal frei aufzubauen", fügte Macron hinzu.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker würdigte die deutsch-französische Freundschaft als Garanten für den Frieden in Europa. "Es gab in der deutsch-französischen Geschichte öfters - ja - Unbill. Krieg. Schlimmes", sagte Juncker. Darunter hätten die Nachbarn sehr gelitten. "Die Aussicht, dass dies nie mehr passieren wird, gibt unserem Kontinent die Ruhe, die der Kontinent braucht, um gedeihen zu können", sagte Juncker.

Auch EU-Ratschef Donald Tusk begrüßte den neuen deutsch-französischen Freundschaftsvertrag. Er betonte aber gleichzeitig, die verstärkte Zusammenarbeit einzelner Länder dürfe nicht die gesamteuropäische Kooperation ersetzen.

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet hatte zuvor in seiner Begrüßungsrede gemeinsame gesellschaftliche Debatten in beiden Ländern gefordert. "Wir brauchen endlich eine gemeinsame Öffentlichkeit diesseits und jenseits des Rheins."

Mit Blick auf den bevorstehenden Austritt Großbritanniens aus der EU hob Laschet die Bedeutung der deutsch-französischen Zusammenarbeit hervor. Es habe wohl kaum einen Moment gegeben, "in dem es mehr darauf ankam, dass das deutsch-französische Tandem läuft".

Mit dem neuen "Vertrag von Aachen" legen beide Länder fest, dass sie unter anderem ihre Zusammenarbeit in der Europapolitik und bei Rüstungsprojekten verstärken und sich für eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik einsetzen wollen. Außerdem soll die Integration der beiden Volkswirtschaften vertieft und der öffentliche Nahverkehr besser koordiniert werden. Auch in der Bildungspolitik wollen Deutschland und Frankreich ihre Beziehungen vertiefen. Schulabschlüsse sollen gegenseitig anerkannt, deutsch-französische Studiengänge und gemeinsame Kindertagesstätten geschaffen werden.

Unterhändler beider Regierungen hatten sich zuvor auf eine Liste von rund 15 Projekten verständigt, deren Umsetzung sofort angegangen werden soll. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur soll unter anderem das als Sicherheitsrisiko kritisierte Atomkraftwerk Fessenheim endgültig abgeschaltet werden. Fessenheim ist das älteste Atomkraftwerk in Frankreich und befindet sich in direkter Nähe zur deutschen Grenze. Auf der Liste der Projekte mit hoher Dringlichkeit stehen demnach auch grenzüberschreitende Bahnprojekte, der gemeinsame Einsatz für EU-Standards zur Regulierung von Finanzdienstleistungen und die Einrichtung einer hochrangigen Arbeitsgruppe zur Energiepolitik.

Das Datum der Unterzeichnung erinnert an den historischen Élysée-Vertrag, den der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer und Frankreichs Präsident Charles de Gaulle am 22. Januar 1963 in Paris unterschrieben. Der Freundschaftsvertrag sollte damals die jahrhundertelange Feindschaft mit mehreren Kriegen zwischen beiden Ländern beenden.

Begleitet wurde die Zeremonie von proeuropäischen Demonstranten, aber auch von Gelbwesten, die die Ablösung von Macron fordern. Rund 120 Gelbwesten versammelten sich in Sichtweite des Aachener Rathauses. Sie forderten etwa billigere Mieten und mehr soziale Gerechtigkeit. Nach Angaben der Polizei handelte es sich wohl in der Mehrzahl um deutsche Staatsbürger.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4297847
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/dpa/afp/saul/odg
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.