Süddeutsche Zeitung

Umweltpolitik:Deutschland lenkt bei Klimaschutz ein

  • "Klimaneutralität" bedeutet nicht den Verzicht auf jegliche Treibhausgas-Emissionen.
  • Unter dem Strich darf das Land jedoch keine klimaschädlichen Gase mehr verursachen. Emissionen müssen dann kompensiert oder technisch aufgefangen werden.
  • Mitte Mai hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel noch gezögert, die Verpflichtung zu akzeptieren.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Kurz vor dem EU- Gipfel diese Woche in Brüssel stellt sich auch Deutschland hinter das Ziel einer klimaneutralen EU bis 2050. Das geht aus der Rückäußerung Deutschlands für den Europäischen Rat hervor, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Darin hat auch der Bund das Zieljahr 2050 für die Klimaneutralität eingetragen. Eine entsprechende Langfriststrategie solle spätestens Anfang kommenden Jahres verabschiedet werden.

"Klimaneutralität" bedeutet nicht den Verzicht auf jegliche Treibhausgas-Emissionen. Es heißt, dass die EU unter dem Strich keine klimaschädlichen Gase mehr verursachen darf. Sie kann also verbleibende Emissionen kompensieren, etwa durch Aufforstungen. Auch könnte die Industrie entstehendes Kohlendioxid abscheiden und unterirdisch speichern. Die Kommission hatte schon vorigen Winter eine Strategie für all das vorgelegt - bisher aber keine Rückendeckung durch den Rat erfahren.

Im Kreis der Mitgliedstaaten galt Deutschland bislang eher als Bremser. Als sich vor dem EU-Rat im rumänischen Sibiu kürzlich eine Gruppe von acht Staaten - neben Frankreich und den Benelux-Staaten auch Dänemark, Schweden, Spanien und Portugal - zu dem schärferen EU-Ziel bekannte, stand Berlin im Abseits.

Beim Petersberger Klimadialog Mitte Mai in Berlin hatte Kanzlerin Angela Merkel eine Unterstützung des Ziels noch davon abhängig gemacht, dass sich im deutschen Klimakabinett eine "vernünftige Antwort" findet, wie es sich erreichen lasse. Sie wolle, "dass wir nicht einfach Ja sagen, sondern dass wir das untermauern und es fundiert betreiben". Dieses Ja kommt nun etwas rascher.

Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der Rat sich geschlossen hinter das höhere Ziel stellt. Die EU will so international wieder an die Spitze der Bewegung - rechtzeitig vor einem Sondertreffen der Staats- und Regierungschefs, zu dem UN-Generalsekretär António Guterres im September nach New York lädt. Nach Unterlagen, die der SZ vorliegen, drängen auch Italien, Österreich, Finnland, Slowenien, Lettland und Griechenland auf Klimaneutralität bis 2050, teils mit dem Zusatz: "spätestens".

Erst vorige Woche hatte die scheidende britische Premierministerin Teresa May eine Verordnung vorgelegt, nach der auch Großbritannien bis 2050 treibhausgasneutral werden soll. Und beim Treffen der EU-Mittelmeeranrainer in La Valletta stützten diese ebenfalls das schärfere Ziel, darunter auch Zypern und Malta. Es gehe darum, gemeinsam den "beschleunigten Klimawandel im Mittelmeerbecken anzugehen", heißt es in der gemeinsamen Erklärung.

Einzig osteuropäische Länder bleiben zurückhaltend. Sie lehnen zwar das Ziel an sich nicht ab, scheuen aber eine Jahreszahl. Auch das Klimaabkommen von Paris spricht nur von "der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts". Das ist Ländern wie Polen und Ungarn recht. Umweltschützer verlangen nun von Deutschland, auch diese Länder zu überzeugen. "Angela Merkels Zustimmung zu diesem Prinzip ist der erste Schritt", sagt Sebastian Mang, der für Greenpeace die EU-Klimapolitik verfolgt. "Der eigentliche Test für die Kanzlerin ist, ob es ihr gelingt, auch die anderen EU-Länder ins Boot zu holen."

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Quelle:
SZ vom 17.06.2019/hach
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