Süddeutsche Zeitung

Außenpolitik:Deutschland geht den Konflikten aus dem Weg

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Der moralische Hochsitz ermöglicht der deutschen Außenpolitik einen wunderbaren Überblick über das Getümmel - aber von da oben mischt man nicht mit. Und Autonomie gibt es in dieser Welt für niemanden.

Kommentar von Stefan Kornelius

Natürlich haben die Führungsprobleme in der CDU auch die Welt in Nervosität versetzt. Gemessen an den Schwingungsamplituden dieses Zitterplaneten war es nämlich bisher Deutschland, das nach außen bemerkenswert viel Ruhe und Berechenbarkeit ausstrahlte. In der reduzierten Weltwahrnehmung wird diese Stabilität Bundeskanzlerin Angela Merkel zugeschrieben.

Wenn nun diese Angela Merkel ihre designierte Nachfolgerin verliert und der Nachbesetzungsprozess in einem unberechenbaren Verfahren endet, dann wird es grundsätzlich: Wie stabil ist Deutschland? Wie steht es um die Ansteckungsgefahr in einer populistischen, autoritär-konservativen Welt? Oder, um es mit den gerne gebrauchten Metaphern zu sagen: Wird der Anker Europas, der Leuchtturm der Freiheit, der Retter des Westens jetzt zu einem neuen Trumpistan?

Deutschland spielt tatsächlich eine eigentümliche Rolle in der Welt, die auch Anlass zur Sorge geben kann. Das Land birst vor wirtschaftlicher Kraft und Innovationsbereitschaft, und gleichzeitig zeigt es nur wenig Ambitionen, seine Interessen mit den klassischen Methoden der politischen Machtprojektion durchzusetzen. Das ist historisch begründet und lässt sich schnell mit Strukturen und Kapazitäten erklären: Im außenpolitischen Betrieb Deutschlands gibt es kaum strategische Tradition oder eine außenpolitische Hierarchie, wie sie in Paris, Washington oder Moskau zu finden ist. Dort ist es am Ende der Präsident, der entscheidet.

In Deutschland ist der fragmentierte Apparat aus Parlament, Koalitionsregierung und Beamtenschaft zum Konsens gezwungen. So kommt es, dass Entscheidungen von enormer Tragweite wie etwa die Zulassung für das 5G-Geschäft in endlosen Runden kleingerieben und in Konsensformulierungen austariert werden, bis es eben passt.

Während Europa auf deutsche Klarheit und, zum Beispiel, deutsches Geld zur Förderung skandinavischer 5G-Technologie hofft, verliert sich Berlin in Definitionen von Netzsicherheit, verlangt Absichtserklärungen, legt Schlüsselkomponenten fest, um sich zwischen Wirtschaftsinteressen mit China und ehrlichen Sicherheitsbedenken durchlavieren zu können.

Die Deutschen mögen diese Politik. Sie ist wenig aggressiv und beschränkt sich in der Regel auf die Analyse und aufs Lamento. Der Krieg in Syrien wird verdammt, an die Vernunft wird appelliert, Gewalt ist keine Lösung. Das ist alles richtig. Aber was dann? Deutsche Außenpolitik ist deskriptiv, aber nur begrenzt aktiv, sie geht den Konflikten aus dem Weg und erlaubt sich den größten Luxus in der Außenpolitik überhaupt: Sie ignoriert die Tatsache, dass die wirklich schwierigen Probleme auf der Welt häufig nur die Wahl zwischen schlechten und besonders schlechten Reaktionen lassen - und dass man sich unbeliebt macht, wenn man dann Partei ergreift. Dabei geht es übrigens überhaupt nicht um militärische Einsätze. Es geht im Gegenteil um außenpolitische Instrumente, die Militäreinsätze unnötig machen.

Der moralische Hochsitz ermöglicht also einen wunderbaren Überblick über das Getümmel - aber von da oben mischt man eben nicht mit. Was viel schlimmer ist: Die Attitüde des Unbeteiligten nährt den Frust und manchmal auch den Zorn der anderen. Eine ganz eigentümliche Form des Widerstands dagegen hat der französische Präsident entwickelt, der die von ihm als passiv empfundene deutsche Außenpolitik schonungslos mit Grundsatzpamphleten und Forderungskatalogen traktiert, offenbar in der Hoffnung, dass schon etwas hängen bleiben werde.

Ohne mutige Initiativen aus Deutschland wird Europa verkümmern

Wenn die Welt also nicht automatisch immer demokratischer und liberaler wird, wenn der Rechtsstaat nicht auf-, sondern abgebaut wird, wenn rohe Gewalt wütet und zivilisatorische Errungenschaften wie Toleranz und friedliche Konfliktlösung auf der Mülldeponie der Ideen landen - dann hat dieses Deutschland nicht nur ein moralisches oder intellektuelles Problem mit der Welt, sondern ein handfestes strategisches. Denn die Grundannahmen dieses Landes für seine Stabilität, Prosperität und Sicherheit wanken: die friedliche Übermacht des westlichen Bündnisses, die ökonomische und politische Attraktivität der Europäischen Union, die Immunität vor Populismus und Illiberalität.

Falsch ist die Binse nicht, dass dieses Deutschland nur in Europa seine Rolle bewahren kann. Europa ist Deutschlands Sicherheitskissen und Spielfeld seiner Wirtschaftsmacht. Aber: Europa darf nicht als Abraumhalde für die Weltprobleme missbraucht werden. Deutschland ist der Kern Europas, und ohne mutige, große Initiativen aus Deutschland wird dieses Europa verkümmern. Europa braucht Deutschlands Kraft bei den Menschheitsthemen Klima, Technologie und Daten, beim Schutz von Kommunikation, Wahrheit, Privatheit, Zivilität und Recht. Europa braucht Deutschland für die Korrekturen eines exzessiven Wirtschaftsmodells - nicht zuletzt, weil Deutschland auf Kosten seiner Nachbarn so sagenhaft profitiert hat von der Offenheit der Märkte und der Arbeitskraft ganzer Staaten, die nun demografisch auf der Kippe stehen und zum Kostgänger der EU-Subventionspolitik zu geraten drohen.

Schließlich braucht Deutschland dieses Europa für seine Sicherheit. Sicherheit ist ein abstrakter Begriff geworden für eine Nation, die von Freunden umgeben ist und befremdet feststellen muss, dass ein paar Söldner die Machtbalance in einem Land wie Libyen verändern können. Sicherheit braucht also Vorsorge und Investitionen, es braucht Militär und einen Apparat, der die politischen und ökonomischen Hebel anwendet.

Kaum eine Begriffsschöpfung zeugt mehr von der moralischen Überheblichkeit als die "strategische Autonomie", die sich manche für Europa wünschen. Autonomie, die ist in dieser Welt keinem mehr vergönnt. Europa nicht, und Deutschland schon gar nicht.

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Quelle:
SZ vom 15.02.2020
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