Süddeutsche Zeitung

EU-Ratspräsidentschaft und UN-Sicherheitsrat:Wegducken ist für Deutschland keine Option

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An diesem Mittwoch übernimmt Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft und den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat. Die Erwartungen sind riesig - doch Israel könnte Berlin in eine Zwickmühle zwingen.

Von Daniel Brössler, Berlin

Größere Feierlichkeiten sind nicht geplant. Am Brandenburger Tor wird es an diesem Mittwoch lediglich das geben, was im politischen Betrieb ein Bildtermin genannt wird. Der kroatische Außenminister Goran Grlić Radman übergibt seinem deutschen Kollegen Heiko Maas den Staffelstab. Damit wäre der Übergang von der kroatischen zur deutschen Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union dann auch symbolisch vollzogen. Mehr ist in Corona-Zeiten aus Sicherheitsgründen nicht drin. Was auch dazu passt, dass es nicht wirklich etwas feiern gibt.

Zusätzlich zur sechsmonatigen Ratspräsidentschaft beginnt am 1. Juli auch der einmonatige deutsche Vorsitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Das ist ein zwar ein kalendarischer Zufall, aber in ihm bündelt sich die Last der Verantwortung, die deutsche Diplomaten derzeit auf ihren Schultern spüren. Mitunter riesig sind die Erwartungen und erheblich ist auch das Risiko des Scheiterns.

Das gilt besonders für ein Thema, das Deutschland sowohl in der EU als auch im Sicherheitsrat in die Rolle des Krisenmanagers zwingt. Ebenfalls an diesem Mittwoch ist der Stichtag, den sich die neue israelische Regierungskoalition für die mögliche Annexion von Teilen des besetzten Westjordanlandes gesetzt hat. Sollte eine solche Entscheidung tatsächlich fallen, würde sie sowohl im UN-Sicherheitsrat als auch im Rat der EU-Außenminister massive Konflikte nach sich ziehen - was Deutschland in eine schwierige Position bringen dürfte.

Als er neulich auf seiner Nahost-Reise nach einer deutschen Vermittlerrolle gefragt wurde, gab Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) das auch unumwunden zu. "Wir werden ganz sicher eine Vermittlerrolle spielen, aber erst einmal innerhalb der Europäischen Union und innerhalb des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen", sagte er. Die unterschiedlichen Positionen zusammenzuführen, werde "schon schwer genug werden".

So prallen in der EU die Positionen der Kritiker und der Freunde Israels schon seit Jahren aufeinander, was oft genug zu einer Blockade führt. Eine große Gruppe, unter ihnen die Skandinavier, verlangt nun scharfe Reaktionen bis hin zu Sanktionen für den Fall, dass Israel ernst macht mit den Annexionsplänen. Länder wie Österreich und Ungarn haben derweil schon klargemacht, dass sie jedwede Strafmaßnahme ablehnen. Ebenso heftig dürften im UN-Sicherheitsrat die Positionen aufeinanderprallen, wo sich Israel auf die Unterstützung durch die USA verlassen kann.

In beiden Fällen ist Deutschland in der Zwickmühle. Die von Maas gerade erst in Jerusalem noch einmal betonte besondere Freundschaft zu Israel soll nicht infrage gestellt, der Ärger über eine völkerrechtswidrig eingestufte Annexion aber auch nicht kaschiert werden. Fest steht: Wegducken kann sich die Bundesregierung nicht.

Ein Erfolg bei den Vereinten Nationen könnte in Brüssel helfen

Das gilt insbesondere auch für die Ratspräsidentschaft, die Deutschland streng nach dem EU-Vertrag viel Einfluss auf Sitzungen, Abläufe und Tagesordnungen im Rat gibt, aber keine wirkliche Macht. Tatsächlich aber verdichten sich in den kommenden sechs Monaten die besonderen Erwartungen an Deutschland, dessen Gewicht als ohnehin bevölkerungsreichstes und wirtschaftsstärkstes Land nach dem Brexit noch einmal zugenommen hat.

Wie schwer solche Erwartungen wiegen können, wird sich im Juli erst einmal im Sicherheitsrat zeigen. Am 8. Juli etwa steht Libyen auf der Tagesordnung. Da wird es auch darum gehen, was eigentlich aus den Ergebnissen der Berliner Konferenz im Januar geworden ist, die ein Ende der Waffenlieferungen an die Kriegsparteien und einen Weg in Richtung Frieden versprachen.

Auch der Bürgerkrieg in Jemen, die Lage in Syrien und womöglich auch der erbitterte Konflikt um das iranische Atomprogramm werden den Sicherheitsrat beschäftigen - und das alles in einer Zeit, in der das Gremium "kurz vor der Handlungsunfähigkeit steht", wie Außenminister Maas konstatiert. "In den großen, aktuellen Krisen wie Syrien oder Corona wird der Sicherheitsrat nicht mehr den Ansprüchen gerecht, die man an ihn haben müsste. Es gibt eine dauerhafte Selbstblockade - mal von der einen, mal von der anderen Seite", sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Ernüchtert stellen deutsche Diplomaten fest, dass seit der Corona-Pandemie die Gräben im Sicherheitsrat noch einmal tiefer geworden sind. So ist der Aufruf von UN-Generalsekretär António Guterres zu einem weltweiten Waffenstillstand verhallt. Eine Corona-Resolution scheiterte am Streit der USA und Chinas über die Schuldfrage in der Pandemie. Zusammen mit Frankreich will Deutschland seinen Vorsitz nun nutzen, um noch einen Vorstoß für die Resolution zu unternehmen.

Im Erfolgsfall könnte das der deutschen Sache in Brüssel helfen - denn dort soll es während der deutschen Ratspräsidentschaft zwar hauptsächlich, aber nicht nur um die wirtschaftliche Erholung nach der Corona-Krise und den Wiederaufbaufonds gehen. Als eines der Kernthemen hat sich die Bundesregierung "ein starkes Europa in der Welt" ins Arbeitsprogramm geschrieben. "Nur gemeinsam können wir Europäer internationalen Herausforderungen wirksam begegnen, unsere Interessen kooperativ durchsetzen und unsere Werte verteidigen", heißt es da.

Mit der Präsidentschaft übernehme Deutschland eine "besondere Verantwortung für ein effektives europäisches Außenhandeln". Den Widerspruch zwischen europäischen Bekenntnissen und der häufig etwas anderen Realität löst das allerdings nicht auf. So ist Maas während seines Nahost-Besuches ziemlich klargemacht worden, dass man die deutschen Bedenken ernst nehme - eine mögliche europäische Reaktion dagegen nicht so sehr.

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SZ vom 01.07.2020
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