Trotz des russischen Angriffskriegs in der Ukraine hält lediglich gut ein Fünftel der Deutschen den russischen Präsidenten Wladimir Putin und sein Militär für eine große Bedrohung für das eigene Land. Das geht aus einer am Montag veröffentlichten Umfrage der Körber-Stiftung hervor, in der 1088 Menschen Anfang August zu außenpolitischen Themen befragt wurden. Einer von vier Deutschen empfindet demnach gar keine militärische Bedrohung für die Sicherheit Deutschlands, die Hälfte der Teilnehmer sieht eine geringe und nur 22 Prozent eine große Bedrohung.
Die Einschätzung der Deutschen unterscheidet sich deutlich von jener der US-Amerikaner. In einer Partnerstudie des Pew Research Centers mit Teilnehmern aus den USA bezeichnen 66 Prozent der Befragten Russland als eine große militärische Bedrohung für das eigene Land, also ein dreimal so hoher Anteil wie bei den deutschen Befragten. Diese Diskrepanz lasse sich unter anderem dadurch erklären, dass die Haltung gegenüber Russland hierzulande gespalten sei, sagt Sönke Neitzel, Professor für Militärgeschichte an der Universität Potsdam auf Anfrage der SZ zu den Ergebnissen. "Ein erklecklicher Teil der Bevölkerung hält immer noch die USA für den eigentlichen Feind."
Aus der Umfrage geht auch hervor, dass die Deutschen einen differenzierten Blick auf die eigene Rolle in der Welt haben. Etwa vier von zehn Bürgern wollen, dass sich ihr Land bei internationalen Krisen künftig stärker engagiert, fünf von zehn sind dagegen. Sechs von zehn wünschen sich, dass die Regierung auch über das 100-Milliarden-Sondervermögen hinaus mehr Geld in die eigene Verteidigung investiert, und drei Viertel der Befragten finden, die Bundeswehr sollte bei Konflikten im Ausland eingesetzt werden, um Verbündete zu schützen. 68 Prozent der Teilnehmer lehnen jedoch eine militärische Führungsrolle Deutschlands in Europa ab.
Diese Zurückhaltung sei auch auf die eigene Geschichte und die Verbrechen während des Zweiten Weltkriegs zurückzuführen, sagt Guntram Wolff, Direktor der Gesellschaft für Auswärtige Politik. "Viele Deutsche fühlen sich wie eine größere Schweiz." Weil man von befreundeten Nationen umgeben sei, seien sicherheitspolitische Themen in der öffentlichen Debatte lange Zeit untergegangen. Das habe sich auf die Bevölkerung niedergeschlagen. "Die Deutschen schauen sehr nach innen." Viele Nationen würden nun jedoch erwarten, dass Deutschland im europäischen Rahmen eine stärkere Führungsrolle einnehme.
Eine weitere, vergangene Woche veröffentlichte Umfrage des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) zeigt, wie der Krieg in der Ukraine die außenpolitischen Ansichten der Deutschen beeinflusst. Die Teilnehmer wurden etwa dazu befragt, ob Deutschland die baltischen Staaten militärisch unterstützen sollte, damit sie sich gegen Russland wehren können. 2021 lag die Zustimmung noch bei 31 Prozent, bei der aktuellen Umfrage sind es 53 Prozent. Die Deutschen seien also nicht per se Pazifisten, sagt Militärhistoriker Neitzel. "Sie stellen der Politik aber keinen Blankoscheck aus, sondern wollen konkrete Begründungen."
Nicht nur gegenüber Russland, auch gegenüber China hat die Skepsis zugenommen. Laut der Studie der Körber-Stiftung beurteilen etwa sechs von zehn Deutschen den wachsenden Einfluss Chinas als negativ. Vor zwei Jahren hatte dieser Anteil noch bei 43 Prozent gelegen. Zudem wünschen sich rund zwei Drittel der Befragten, dass Deutschland seine Abhängigkeiten von China reduziert - selbst wenn dies zu wirtschaftlichen Einbußen führen sollte.
Das transatlantische Verhältnis ist hingegen im Aufschwung. 2020 waren nur 18 Prozent der Befragten der Meinung, die Beziehungen zwischen Deutschland und den USA seien "gut" oder "sehr gut", nach dem Amtsantritt von Joe Biden stieg dieser Wert auf 71 Prozent, bei der aktuellen Umfrage liegt er sogar bei 82 Prozent. Auf die Frage, welches Land der wichtigste Partner für die deutsche Außenpolitik sei, entschieden sich 36 Prozent der Teilnehmer für die USA, 32 Prozent der Befragten wählten Frankreich.